e-motion E-Bike-Welt Erding: Hinter den Kulissen
"Wir wollten eigene Entscheidungen treffen"
e-motion E-Bike-Welt Erding: Hinter den Kulissen
in Hintergrund
Bereits beim Abbiegen auf die umfangreiche Parkplatzfläche im Gewerbegebiet Erding-Süd wird unübersehbar klar, dass man es hier mit etwas Größerem zu tun haben wird. Während in der vorderen von zwei Schaufensterfronten Highlights aus dem Bereich Drei- und Lastenräder ausgestellt sind, warten hinter der Scheibe ein paar Meter weiter E-Bikes aller Gattungen von namhaften Markenherstellern darauf, genauer besichtigt und Probe gefahren zu werden. Die Hausfassade über den beiden Eingangsbereichen ziert der Schriftzug der e-motion e-Bike Welt Erding mit den Experten-Plaketten für die Bereiche E-Bikes und Dreiräder.
Und genau als solche führt das Ehepaar Martina und Jens Fricke seit Anfang 2019 das Fachgeschäft in der 34.000-Einwohner-Stadt, knapp 45 Kilometer nordöstlich von München. „Auf e-motion aufmerksam geworden sind wir über eine Internetrecherche“, blickt Jens Fricke zu Beginn unseres Gesprächs in gemütlicher Atmosphäre im Ausstellungsraum zurück. Er und seine Frau Martina hatten sich in dieser Zeit ihre ersten E-Bikes privat angeschafft und kurz darauf einen Business Case zur Gründung eines Fachhandels ausgearbeitet.
Fricke, über 22 Jahre in der Scheibenbremsentwicklung tätig und davon die letzten acht Jahre bei der Knorr-Bremse AG, dem Weltmarktführer für Bremssysteme, angestellt und zuletzt mit der Leitung der Entwicklung betraut, reizte das Abenteuer Selbstständigkeit ebenso wie seine Frau Martina, die als gelernte Groß- und Außenhandelskauffrau sowie Physiotherapeutin bislang auch ausschließlich auf eine Berufslaufbahn als Angestellte zurückblickte. „Ich hatte immer das Gefühl, ich muss die Kohlen aus dem Feuer für Entscheidungen holen, die andere getroffen haben. Wenn ich selbstständig bin, trage ich die Verantwortung wenigstens für meine eigenen falsch getroffenen Entscheidungen“, erläutert der 53-Jährige die Beweggründe, sich gemeinsam mit seiner Frau bei der e-motion e-Bike Expertengruppe in Köln mit dem Standort Erding zu bewerben.
e-motion: Vorteile für den Händler
Die Vorteile des Expertenverbundes für E-Bikes mit über 13 Jahren Branchenerfahrungen lagen für die Frickes schnell auf der Hand: unabhängiger Zusammenschluss von wirtschaftlich eigenständigen Fachhändlern mit Zugriff auf eine große Markenauswahl –bei gleichzeitiger unternehmerischer Freiheit. Unter dem Dach eines einheitlichen Marktauftrittes werden zudem sämtliche Marketingtätigkeiten on- wie offline zentral aus Pulheim bei Köln gesteuert. Innerhalb der e-motion Portale erhält jeder Partner eine eigene, für Suchmaschinen optimierte, Webpräsenz.
Zudem herrsche ein ständiger Austausch innerhalb der heute über 85 Fachhändler. „Genau unser Ding“, war sich das Ehepaar Fricke nach einem ersten, und durchaus taffen, Bewerbungsgespräch vor Ort im Rheinland, bereits auf dem Rückweg zum Parkplatz, einig. Voller Fokus auf den Aufbau eines stationären Fachgeschäftes in einer Region mit viel Kaufkraft und wenig Wettbewerb – das grüne Licht aus Köln ließ folgerichtig nicht lange auf sich warten.
Welche Marken sind in der Region vertreten?
Bei der Zusammenstellung des Sortiments habe man am Anfang geschaut, welche Marken in der Region überhaupt vertreten seien. Anschließend holten Fricke und seine Frau die Freigaben der Hersteller ein – und verschafften sich einen Überblick, wie viele Stellplätze die Räumlichkeiten bieten würde. Auf einer Gesamtfläche von 900 m² sind es heute bis zu 120 E-Bikes, die in Erding sofort verkauft werden könnten. „Zu kleinteilig wollten wir nicht werden, es gibt aber Topmarken, die musst du einfach haben“, gibt Jens Fricke Einblicke in die Planung und Zusammenstellung des Sortiments, das im E-Bike- und Dreiradbereich Anfang 2023 knapp 20 verschiedene Marken führt.
Während es bei den Trekkingrädern vor allem Riese & Müller, Velo de Ville, Hercules oder Qwic sind, dominieren im sportlichen Segment Marken wie Specialized, Giant oder Focus.Vom letztgenannten sei das E-MTB-Carbon-Hardtail Raven² das erste offiziell über die Ladentheke gegangene E-MTB im November 2019 gewesen. „Mein Geschmack war dieses Rad nie, aber wir haben hier schnell gelernt, dass man von seinem Geschmack nicht auf den von anderen schließen sollte“, scherzt Fricke über die Anfangszeit, in der seine Frau und er erstaunt zur Kenntnis nahmen, dass sich gut 80 bis 90 Prozent der Kunden nur rudimentär mit dem Thema E-Bike vorab auseinandergesetzt hätten, bevor sie bei ihnen in der e-motion e-Bike Welt Erding aufschlugen. „Große Vorkenntnisse haben wirklich die wenigsten. Zurecht wird natürlich erwartet, dass wir mit gezielten Fragen herauskitzeln, was das richtige E-Bike für sie ist“, berichtet Martina Fricke. An dieser Stelle hebt ihr Ehemann auch einen der Markenkerne der e-motion e-Bike Expertengruppe heraus.
Beratungsgespräch und Probefahrt
„Profunde Beratung – auch, weil ohne Onlinehandel alle Verkäufe vor Ort vonstattengehen“, so Fricke, der nach drei Jahren sagen könne, dass 99 Prozent der Käufer das E-Bike vorab auch unbedingt Probe gefahren haben wollen. Neulich habe sich jemand nach umfangreicher fachlicher Aufklärung von Verkäuferin Claudia Neumair für das Load 60 von Riese & Müller entschieden, um fortan gemeinsam mit seinem Hund auf Tour gehen zu können. Eine Probefahrt sei für ihn nicht nötig gewesen, drei Tage später habe der Mann das Lastenrad gekauft. „Das sind natürlich ganz seltene Ausnahmen“, sagt Fricke und skizziert anschließend ein klassischerweise stattfindendes Beratungsgespräch.
Ein Schwerpunkt sei das Thema Bremsen – wie das richtig gehe und was beim Verhältnis von vorne zu hinten beachtet werden sollte. „Ich sage immer, beim Auto gibt es nur ein Pedal, da wird die Bremsverteilung automatisch geregelt – beim E-Bike machen Sie das selber“, so Fricke, dessen potentielle Kunden tendenziell viel zu oft nur die Hinterradbremse benutzen, was sehr schnell zu thermischen Überlastungen führen könne. Wie das in der Praxis am sichersten vonstattengehe, werde auf anschließenden Probefahrten auf der großen Parkplatzfläche veranschaulicht. Gerade bei Cargobikes werde vorab darauf hingewiesen, dass Fahrdynamik und Fahrgefühl gänzlich anders seien. „Kurvenfahren durch Gewichtsverlagerung bei Cargobikes mit drei Rädern funktioniert da nicht – das Lastenrad fährt trotzdem geradeaus“, erläutert Martina Fricke eine der Besonderheiten von Cargobikes, welche die Kunden immer wieder aufs Neue erstaune. Auch deshalb werde die Sattelhöhe bei den Probefahrten grundsätzlich immer sehr niedrig gehalten, um im Zweifel schnell einen festen Stand mit beiden Beinen herstellen zu können.
Prädestiniert für Dreirad-Zentrum
Während sich das Verkaufs- und Beratungsteam den Bereichen E-Bikes und Lastenräder gemeinsam annehmen, legt Martina Fricke von Beginn an ihren Beratungsschwerpunkt auf den Dreiradbereich. Die Entscheidung, auch ein e-motion Dreirad-Zentrum zu eröffnen, sei von vornherein gesetzt gewesen, da sie in diesem Fachbereich ihre Kompetenzen als Physiotherapeutin perfekt einsetzen kann. Sie spricht von einem „sehr emotionalen“ Geschäft, das „große Freude“ bereite. Und sich durch alle Altersgruppen ziehe – von Kindern und Jugendlichen, die wieder mehr am Leben teilnehmen können bis hin zu Menschen, die mit verschiedensten Krankheitsbildern ihre Einschränkungen im Alltag wettmachen wollen.
Ihre Berufserfahrung im Johannesbad Bad Füssing, in dem sie über drei Jahre arbeitete, führe dazu, den Grad des Handicaps schnell überblicken zu können. Und mit beispielsweise Fußschalen, Beinfixierungen oder Kurbelverkürzungen das Dreirad individuell anzupassen. „Die ersten Probefahrten verlaufen hier natürlich angespannter und ich bin auch als Psychologin sehr gefragt. Da ist Ablenkung wichtig, ein positives Gespräch führen und eine vertrauliche Atmosphäre herstellen“, berichtet Martina Fricke, die Interessenten auch regelmäßig ein Schreiben für die Krankenkasse zur möglichen Förderung aushändigt. Leider würden die Kassen den Kaufbetrag nur „ganz oder gar nicht“ übernehmen, was dazu führt, dass Martina bis heute nur drei Fälle im Gedächtnis sind, bei denen die Anschaffung eines Dreirades übernommen wurde. Bei Kindern komme dies immerhin etwas öfter vor.
Risikoabwägung bei Beschaffungen
Nach unserem Rundgang durch die 900 m² große Verkaufsfläche, bekommen wir, am Tisch für Beratungsgespräche in entspannter Atmosphäre Platz genommen, tiefere Einblicke in die drei zurückliegenden Jahre. Vor allem 2021 sei „richtig viel los“ und die Nachfrage schon im Frühjahr enorm hoch gewesen. Konnten Martina und Jens Fricke bei ihrem Start 2019 noch etwa 50 bis 60 Prozent vorab ordern, mussten in den vergangenen beiden Jahren die vollen 100 Prozent der prognostizierten Verkaufsmenge zum Start der Saison bestellt – und, zumindest das meiste, vor allem bezahlt sein. „Das war eine große Herausforderung für uns, zu entscheiden, was wir uns zutrauen, über das Jahr zu verkaufen“, berichtet Jens Fricke, der sich auch daran erinnert, wie er es verflucht habe, als er einen Lastwagen am Wareneingang gehört habe. „Alles stand hier voll mit Kartons, wir wussten irgendwann gar nicht mehr, wohin mit den Rädern“, erinnert sich seine Frau Martina zurück.
Auf der anderen Seite habe dies aber, vor allem im Frühjahr 2021, dazu geführt, dass Kunden den Verkaufsraum mit der ungläubigen Feststellung „oh, Sie haben ja noch E-Bikes“ betreten haben. Hier hebt der 53-Jährige die Stärke der Mehr-Markenpolitik von e-motion hervor, die dazu geführt hätte, E-Bikes immer sofort verfügbar zu haben – und nie leergekauft worden zu sein. Selbstredend sei man bestrebt, stets ein Sortiment aus Marken zu gestalten, die sich nach Möglichkeit gegenseitig ergänzen. Die am meisten nachgefragte Radgattung sei „ganz klar“ Tour und Trekking, bei der die SUVs immer beliebter werden würden. Daran, so prognostiziert Jens Fricke, werde sich auch in absehbarer Zeit nichts ändern.
Auf der Eurobike 2022 habe er wahrgenommen, dass Hersteller zum einen auf immer größere Akkus setzen, die Kraft der Motoren aber längst völlig ausreichend sei. „Kompakte E-Lastenräder oder leichte E-Bikes, wie Specialized oder Riese & Müller sie beispielsweise bauen, sind ein großer Trend, darauf sind wir sehr gespannt“, ergänzt seine Ehefrau Martina. Bei der immer mehr angestrebten Vernetzung und digitalen Ausspielung der Fahrdaten sind die Frickes noch unschlüssig, wie vielen das wirklich einen Mehrwert bringen wird, da die meisten ja ihr Smartphone hätten. Was hingegen eine gewinnbringende Entwicklung sei, ist die Möglichkeit von Over-The-Air-Updates, die einen Gang zum Fachhändler vor Ort ersparen und den Endkunden selbstständiger und handlungsfähiger machen.
Die Verkaufszahlen 2022 hätten sich „absolut auf Vorjahresniveau“ bewegt. „Bis April hatten wir hier in Oberbayern noch Frost, während es in Norddeutschland bereits im März losging. Dafür war der Spätsommer hier wiederum sehr stark“, fasst der 53-Jährige zusammen und ergänzt, dass etwa 50 Prozent der Hersteller im Portfolio die Ware auch pünktlich zu den vorher vereinbarten Einkaufskonditionen liefern konnten. Bei anderen sei es neben der verspäteten Lieferung auch zu Preisanpassungen gekommen.
Teilemangel hat sich 2022 beruhigt
Angesprochen auf die in jüngster Vergangenheit die Fahrradbranche bestimmende angespannte Liefersituation von Ersatzteilen, erinnert sich Fricke daran zurück, wie 2021 der Bestand an 12-Gang-Ketten auf dem Nullpunkt war. Man habe teilweise Komponenten von neuen E-Bikes abmontieren müssen, um die Kundennachfragen bedienen zu können. „Auch weil wir bis vor drei Jahren selbst noch auf Kundenseite waren, widmen wir dem Service-Gedanken ein extrem großes Augenmerk. Wir wissen noch sehr genau, wie ärgerlich es war, wenn man wegen einem fehlenden kleinen Bauteil nicht fahren konnte“, erläutert Martina Fricke, bevor ihr Mann zuversichtlich vorausblickt und berichtet, dass es sich seit dem Frühjahr 2022 merklich entspannt habe.
Schaltgruppen, deren Beschaffung im Jahr 2021 noch „eine Katastrophe“ war, sind wieder verfügbar – allenfalls spezielle Reifentypen seien immer noch schwer zu bekommen.Grundsätzlich können die Kunden aber wieder durchweg mit Markenprodukten versorgt werden, weil die Industrie seit der Corona-Pandemie eine „gesunde Überkapazität“ aufgebaut habe. Ab dem Jahr 2024 rechne er auch damit, dass das Bestreben vieler Hersteller, die Vororder weiter bei 100 Prozent zu belassen, wieder in ein „normales Einkaufsverhalten“ zurückgehe. Als Grund der Annahme führt der 53-Jährige die „deutliche Überkapazität am Markt“ an. Außer, klar, es würde wieder etwas völlig Unerwartetes passieren, wie es zu Beginn des Jahres 2020 der Fall gewesen sei.
e-motion: Zweiten Fachhandel eröffnet
Apropos Überkapazität: So wäre zum Abschluss unseres Besuches nur noch zu klären, was es mit den vier der insgesamt 16 Mitarbeiter auf sich hat, die wir bei unserem Rundgang durch die e-motion e-Bike Welt Erding nicht kennenlernen konnten. Die, so klären Martina und Jens Fricke mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht auf, seien 20 Kilometer südöstlicher in Ismaning anzutreffen. Dort haben die Frickes nämlich zu Jahresbeginn 2022 ihr zweites Fachgeschäft unter dem Dach der e-motion e-Bike Expertengruppe eröffnet – wo auf einer Verkaufsfläche von 500 m² knapp 90 E-Bikes ausgestellt sind. Und als letzter Beweis dafür herhalten, dass das Ehepaar Fricke seinen Schritt in die Selbstständigkeit alles andere als bereut hat. Im Gegenteil: Sich dank einem starken Support aus Pulheim hier vor Ort auf das Wesentliche konzentrieren und bei Herstellern als Gruppe von mehr als 85 Händlern auftreten zu können, bringe den beiden einen unglaublichen Spaß bei der täglichen Arbeit.
Seine ehemaligen Arbeitskollegen bei der Knorr Bremse AG, die damals ungläubig zur Kenntnis nahmen, dass der Entwicklungsleiter seine Kündigung einreichte, um sich als Fahrradhändler zu versuchen, lädt Jens Fricke jedenfalls herzlich nach Erding oder Ismaning ein, um sich selbst davon zu überzeugen, dass für ihn und seine Frau Martina der Traum der Selbstständigkeit noch lange nicht zu Ende geträumt ist.
Dieser Artikel erschien in der ElektroRad 1/2023. Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.