Fahrrad-App: Radbonus-Gründerin Nora Grazzini im Interview
Sie entwickelte eine revolutionäre Fahrrad-App: Die Mobilmacherin
Fahrrad-App: Radbonus-Gründerin Nora Grazzini im Interview
in Story
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Breite Straßen, großzügige Parkplätze und eine Verkehrsregelung, die einen selbst stark in den Fokus rückt: aus der Sicht des Autofahrers gewohnter, oft als selbstverständlich erachteter Luxus. Von dem können Radfahrer vielerorts nur träumen. Damit sich das ändert, auch, indem mehr und mehr Radfahrer das Verkehrsbild prägen, hat die Kölnerin Nora Grazzini 2015 ihre Firma Radbonus an den Start gebracht. Die Idee hinter der gleichnamigen, kostenlosen Fahrrad-App (für iOS- und Android-Geräte), die Radbonus für Fahrradfahrer entwickelt hat: Mithilfe der Beschleunigungssensoren und der GPS-Einheit des Smartphones lassen sich über die App die zurückgelegten Fahrradkilometer sammeln und speichern.
Je nach Kilometerstand wird der Vélofahrer mit unterschiedlichen Rabatten bei kooperierenden Onlineshops – unter anderem aus dem Outdoorbereich – belohnt. Zusätzlich werden die Radkilometer, die eifrige Cyclisti während Challenges zurücklegen, beispielsweise mit der automatischen Teilnahme an Verlosungen, gewürdigt. Ziel einer Challenge ist es, in einem festgelegten Zeitraum eine bestimmte Kilometerzahl zu erreichen.
Die gewitzte Idee von Nora Grazzini, begeisterte Radfahrer – und nicht zuletzt solche, die es (wieder) werden wollen – für ihre umweltfreundliche, gesundheitsfördernde Fortbewegung zu belohnen, ist aufgegangen. Seit Einführung der Fahrrad-App Radbonus im Herbst vor drei Jahren haben zahlreiche Nutzer zigtausende Kilometer „erradelt“.
Der starke, beharrliche Glaube der 37-Jährigen an ihre Idee, die Gesellschaft mittels einer einfachen App zu mehr Bewegung zu animieren, hat zum Erfolg geführt. Hilfreich war vermutlich auch, dass Grazzini – vor Gründung ihres Unternehmens Radbonus als Diplom-Kommunikationsdesignerin kreativ tätig – seit Kindesbeinen auf zwei Rädern zuhause ist, Radfahren lebt. Mut und Zielstrebigkeit der gebürtigen Kölnerin, das Radfahrglück in die eigenen Hände zu nehmen und andere zum Radfahren zu motivieren, haben Grazzini rasch unternehmerischen Erfolg beschert.
Gut 20 Mitarbeiter beschäftigt sie als Radbonus-Geschäftsführerin mittlerweile. Diese kümmern sich um die Weiterentwicklung der App ebenso wie um die Kooperation mit Städten und Unternehmen, mit dem Ziel, mehr Menschen zu mehr Radkilometern zu verhelfen und die Umwelt zu entlasten.
Fahrrad-App Radbonus und die Idee dahinter
aktiv Radfahren: Frau Grazzini, mit welcher Motivation wurde die Radbonus-App 2015 geboren?
Ich war in der Fahrradszene schon länger aktiv und unter uns Radfreaks gilt es als offensichtlich, dass Fahrradfahren gesellschaftlich sehr wertvoll ist. Als Radfahrer wirft man zwar gern mit ökonomischen Zahlen um sich, die die Vorteile des Radfahrens betonen, aber letztlich tut man doch oft sehr wenig. Und da ich weniger der Typ bin, der lange in politischen Veranstaltungen sitzt, um bei überschaubaren Ergebnissen viel zu diskutieren, habe ich überlegt, was ich beitragen kann, um das Radfahren zu fördern.
So hab ich mir das Belohnungssystem ausgedacht, mit dem ich zwar auf politischer Ebene nichts unmittelbar bewirke, dafür direkt beim Radfahrer ansetze. Ich stärke ihn, indem ich ihm eine Extramotivation an die Hand gebe und ihm zu mehr Anerkennung verhelfe. Tatsächlich fahren viele Deutsche viel Fahrrad, was lange zwar als süß betrachtet, aber nicht als wirklich relevant für ein besseres Verkehrswesen gesehen wurde. Durch die Belohnung, die wir für gefahrene Radkilometer in unserer App aussprechen, bekommt das Radfahren einen anderen Stellenwert. Unsere App unterstreicht: Wenn du viel Rad fährst, tust du etwas Gutes!
Wird Ihre App überwiegend von Fahrradenthusiasten genutzt, die ohnehin viel Zeit im Sattel verbringen oder auch vom Gelegenheitsradler, dem das Belohnungssystem der App hilft, häufiger Rad zu fahren?
Der größte Gewinn unserer App besteht darin, dass sie die Menschen zu regelmäßigem Fahrradfahren anregt. Jemand, der sowie schon jede Strecke mit dem Rad fährt, ist uns natürlich herzlich willkommen. Unser Programm zielt indes verstärkt auf Leute ab, die in punkto Radfahren noch Potential haben. Leute, die sich in der Radszene bewegen, sprechen wir leichter an: Diese konditionell starken Fahrer waren auch unsere ersten Nutzer.
Gleichzeitig ist unser Programm für jedermann ausgelegt und alle werden für regelmäßiges Radfahren belohnt. Bei einer Challenge gewinnen also nicht nur die stärksten Fahrer etwas, sondern alle, die die gesetzten Kilometerziele in der App erreichen. Jeder Radkilometer wird wertgeschätzt! Wir arbeiten dazu auch mit Firmen zusammen. Wenn ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern kommuniziert „hey, wenn jemand Rad fährt, ist uns das eine finanzielle Belohnung wert“, hat das weitreichende Signalwirkung für alle Mitarbeiter.
Die Betreuung des Radbonus-Konzepts ist bestimmt zeitintensiv. Schaffen Sie es selbst noch regelmäßig aufs Rad?
Ich bin überzeugte Radlerin und pendle jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit. Es sei denn, ich muss Termine wahrnehmen, die weiter außerhalb liegen. Ich lebe und atme Radbonus durch jede Pore und denke stets darüber nach, was Menschen bewegt oder wie wir unseren Dienst noch verbessern können. Ideen, wie wir noch mehr Anreize fürs Radfahren schaffen oder die App optimieren können, gibt’s viele. Die Zeit reicht kaum aus, alles zu realisieren!
Updates bei Radbonus und Krankenkassen
Was für Neuerungen sind für die App zu erwarten?
Ein großer Schritt wird die Anbindung unserer App an andere Radfahrer-Apps wie Strava oder Runtastic sein. Wir fokussieren uns aber nicht auf Gewinnung vieler Analysedaten des Nutzers, sondern auf unser Belohnungsprogramm. Uns würde die Streckenaufzeichnung, etwa durch ein Garmin-GPS-Gerät, gar nicht stören, solange die Belohnung des Radfahrers bei uns stattfindet.
Künftig wollen wir zudem diverse Zusatzfunktionen der App weiterentwickeln, so dass zum Beispiel verschiedene Abteilungen einer Firma untereinander Wettkämpfe austragen können. Wünschenswert wäre auch, dass noch mehr Arbeitgeber bei unserem Belohnungssystem mitmachen und dass wir hier deutschlandweit eine noch bessere Abdeckung erreichen. Außerdem wollen wir nächstes Jahr mit einigen Städten, darunter Stuttgart, bei verschiedenen Aktionen rund ums Rad kooperieren.
Sie wollen auch Krankenkassen verstärkt in das App-Belohnungssystem einbeziehen. Wo ergeben sich Vorteile für die Kassen?
Richtig, wir arbeiten auf verschiedenen Stufen mit Unternehmen zusammen. Ein Vorteil für die Krankenkassen ist, dass die Leute orts- und zeitungebunden zur Bewegung animiert werden – anders als bei einem Fitnesskurs der Fall. Fahr ich mit unserer App Fahrrad, muss ich keinen Kursraum besuchen. Insbesondere Männer haben oft keine Lust an einem Fitnesskurs teilzunehmen und ziehen Individualsportarten vor. Krankenkassen gefällt natürlich der Gedanke, die Leute dann anderweitig zur Bewegung zu bringen.
Die Gründerin der Fahrrad-App über ihr Radfahren
Stichwort Bewegung: Sie sind selbst begeisterte Mountainbikerin?
Ja, ein bisschen (lacht). Wir haben hier das Bergische Land, was zwar nicht sehr hoch liegt, dafür sehr schön ist. So oft es geht, reise ich in die Alpen und fahre dort dann gerne große Touren. Ich mag die Natur und hab auch nichts gegen eine gute Abfahrt einzuwenden.
Gibt’s eine MTB-Tour, von der Sie träumen?
Ich bin absoluter Alpenfreak, hab aber noch nie eine Transalp gemacht. Die steht ebenso auf meiner Mountainbike-Wunschliste wie eine Montblanc-Umrundung. Eine Trans-Provence bin ich mit dem Mountainbike bereits gefahren.
Unternehmensgründung und Verkehrssituation
Haben Sie die Radbranche bei Ihrer Unternehmensgründung als männerdominiert erlebt? Galt es, besondere Hürden zu überwinden?
Ich habe sehr positive Erfahrungen gemacht, als Frau gegründet zu haben. Das Gefühl, dass mir das als Nachteil ausgelegt wird, kenne ich nicht. Generell würde ich nur sagen, dass die Fahrradbranche nicht sehr digitalaffin ist. Alle sind sehr technikverliebt (lacht), inhaltlich gibt es aber wenig Bewegung.
Digitale Dienstleistungen für Radfahrer kommen weniger aus der Radbranche als von Außenseitern. Ich find’s schade, dass es so wenig Interesse dafür gibt und habe den Eindruck, dass die Gründer großer Radmarken oft Ingenieure sind – alle versuchen immer nur, das beste Fahrrad zu produzieren. Dabei scheint mir, geht der Blick dafür verloren, was die Leute wirklich bewegt. Man müsste sich als Hersteller eigentlich verstärkt fragen, wie man eine bessere Kundenbindung auch über Digitalanwendungen erreicht.
Beschäftigen Sie sich mit der derzeitigen Verkehrssituation für Radfahrer?
Ich bin aktiver Teil der Radszene und ja, es gibt viel Potential, das Radfahrerlebnis in den Städten zu verbessern. Die Politik sollte mehr Geld ausgeben, um dieses Potential zu nutzen. Viele Radinitiativen haben guten Zug auf dieses Thema gebracht, worüber ich happy bin. Es bewegt sich langsam etwas, aber eben: langsam. Wir haben hier in Köln beispielsweise die „Ring-frei“-Initiative, die sehr lange für Verbesserungen gekämpft hat, die jetzt allmählich umgesetzt werden. Das hat wirklich Jahre gedauert …!
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