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Winterdienst auf Radwegen: Salz oder Rollsplit gegen den Schnee

Achtung, hier liegt Schnee von gestern!

Winterdienst auf Radwegen: Salz oder Rollsplit gegen den Schnee

Viele Radfahrer sind unzufrieden mit dem Winterdienst auf Radwegen in ihrer Kommune. Für manch einen ist es sogar der Grund, das Rad zur kalten Jahreszeit öfter stehen zu lassen. Und die Entscheider in den Rathäusern suchen noch nach der idealen Lösung, Straßen sicher und auch umweltfreundlich zu räumen. Wie ist der Stand der Dinge in deutschen Gemeinden? Woran hakt's und was könnte die Lösung sein? Eine Spurensuche durch den Schnee.
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Die Stadt München hat im vergangenen Jahr ein Tabu gebrochen: Statt wie bisher Rollsplitt wurde erstmals Streusalz auf Radwegen aufgetragen, zumindest auf einigen Pilotstrecken. Im Fokus steht bei der Maßnahme die Sicherheit der Radfahrer. Bislang war das undenkbar – vor allem aus Umweltschutzgründen wurde Salz in den letzten Jahren abgelehnt. Ein Dilemma, das viele Städte kennen.

Rollsplitt versus Salz

In den meisten Kommunen wird aktuell sogenannter Rollsplitt gestreut, winzige Steinchen mit abstumpfender Wirkung. Sie gelten als umweltfreundlich und können, auf Schnee aufgetragen, die Rutschgefahr für Radfahren­de und Fußgänger verringern. Das klappt auch – doch in den Tagen drauf wird es pro­blematisch: Ist der Schnee mal weg, liegt der Splitt auf den Wegen und sorgt erst recht für rutschige Bedingungen. Er müsste also streng genommen direkt weggekehrt werden, sobald der Schnee geschmolzen ist. Auch bei länger anhaltendem Schneefall kommt die positive Wirkung von Rollsplitt an ihre Grenzen: Fallender Schnee überdeckt den Kies, man muss immer wieder neu streuen, die Räumfahrzeuge kommen nicht hinterher. Liegengebliebener Schnee kann außerdem vereisen, gefährliche Rillen entstehen.

Der klare Vorteil von Salz: Einmal gestreut bzw. als Sole-Lösung gespritzt, lässt er den Schnee und das Eis auftauen und sorgt so für trockene Bedingungen. Er ist nicht nur Streustoff, sondern auch Taumittel und wäre aus Sicherheitsgründen das Mittel der Wahl. Wären da nicht die umweltbelastenden Faktoren: Salz ist für die Bäume und andere Pflanzen am Straßenrand schädlich, gelangt zwangsläufig in Gewässer und wird dort auch für Tiere zur Gefahr. Hunde sollten beim Gassigehen ebenfalls nicht mit Salz in Kontakt kommen. Doch Sole schadet nicht nur Flora und Fauna, Salz kann beim Fahrrad und anderen Fahrzeugen für Rost sorgen, setzt Beton und Böden zu. Die Folgekosten sind also enorm.

In den meisten Kommunen ist die Verwendung von Streusalz für den Privatgebrauch daher verboten und mit einem Bußgeld belegt. Der städtische Winterdienst hingegen darf auf Salz zurückgreifen, wenn es aus Sicherheitsgründen nötig ist – vor allem auf Hauptstraßen kommt es zum Einsatz und wie erwähnt in der Regel in flüssiger Form.

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Forschung in Hamburg

Allerorten ist man deshalb auf der Suche nach alternativen Tau- und Streustoffen, die sowohl umweltverträglich sind als auch eine hohe Sicherheit für die Verkehrsteilnehmer bieten. Ein großes Forschungsprojekt hierzu lief zuletzt in Hamburg. Es nannte sich E-WIN – „Effizienter Winterdienst auf Radverkehrsanlagen am Beispiel der Stadt Hamburg“ und wurde von der Stadtreinigung Hamburg in Auftrag gegeben, gefördert durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Viele Akteure waren interdisziplinär daran beteiligt. Sieben potenzielle Wasser-Tausalz-Gemische wurden erst im Labor untersucht, vier von ihnen anschließend auf Teststrecken erprobt. Zusätzlich haben die Wissenschaftler Vertreter von Kommunen sowie Radfahrer befragt.

Das Resultat ernüchternd: Keines der getesteten Taumittel ist frei von negativen Auswirkungen auf Böden. Dabei gibt es teilweise lokalen Schaden, aber teilweise auch eine negative globale Wirkung. Letztere fällt bei den in Hamburg getesteten Mitteln sogar höher aus als beim Referenzstoff Natriumchlorid, also herkömmlichen Salz. Aktuell werden Folgeuntersuchungen durchgeführt, um die Auswirkungen der alternativen Taumittel auf stehende Gewässer weiter zu erforschen. Zunächst bleibt es also bei Splitt und Salz. Die beiden Streumittel sind auch aus Kostengründen vorne mit dabei. Denn auch diese Punkte spielen selbstverständlich eine Rolle: Wie leicht sind die Stoffe verfügbar, was kosten sie und wie lässt sich das Auftragen effizient umsetzen?

Räumfahrzeug auf einem Radweg in Hamburg.

Großeinsatz in München

In Hamburg wird also weiter geforscht. Und auch in anderen Kommunen sucht man nach der perfekten Lösung. So wie in München, der schneereichsten Großstadt Deutschlands. Hier ist grundsätzlich mit mehr Schnee zu rechnen als in Norddeutschland – trotz oft mildem Winter durch die Klimaerwärmung. Laut Baureferat München standen deshalb über 1000 Einsatzkräfte sowie mehr als 600 Fahrzeuge für den Winter 2023/24 bereit. Dazu sind 13.600 Tonnen Streusalz und 3000 Tonnen Streusplitt im Lager.

Eine Frage der Priorisierung

Doch in welcher Reihenfolge geht die Stadt beim Winterdienst vor? Selbst wenn eine Stadt so wie München über viel Personal und viele Räumfahrzeuge verfügt – sie kann nicht überall gleichzeitig sein. Das ist unter anderem auch ein politischer Aspekt bei dem Thema: Welche Strecken werden priorisiert? Wie weit oben stehen Radverkehrsanlagen in der Hierarchie der Räumung? In München haben laut Baureferat 10.000 verkehrswichtige Fußgängerüberwege, 2300 Haltestellen und etwa 290 spezielle Gefahrenstellen oberste Priorität. Das Hauptstraßennetz wird zuerst geräumt und gegebenenfalls gestreut, zeitgleich Radwege, Radfahrstreifen und Schutzstreifen. Erst dann kommt das Nebenstraßennetz dran.

Interessant ist das Vorgehen der Stadtregierung Stockholms. 2016 wurde entschieden, künftig zuerst die Geh- und Radwege und erst danach die Straßen von Schnee zu befreien. Argumentiert wurde in der schwedischen Hauptstadt mit „geschlechtergerechtem Schneeräumen“, da Frauen laut Statistik häufiger zu Fuß gehen, das Fahrrad oder den öffentlichen Nahverkehr als Männer nutzen. Sie wären im autozentrierten Winterdienst benachteiligt, so die Stadtregierung. Aber auch eine klimapolitische Argumentation ist denkbar. Städte, die etwas für umweltfreundliche Mobilität tun wollen, können hier ein Zeichen setzen. Städte, die sich Fahrradstadt nennen oder künftig nennen wollen, können zeigen, dass ihnen der Radverkehr wirklich am Herzen liegt.

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Liegt’s wirklich am Wetter?

Die Unzufriedenheit bei Radfahrern ist auf jeden Fall groß. Laut Studien ist der schlechte Winterdienst auf Radwegen für Menschen in Deutschland ein Grund, das Rad stehen zu lassen – das zeigte auch die Befragung, die im Rahmen des Hamburger Projekts E-WIN deutschlandweit durchgeführt wurde. Menschen, die grundsätzlich Ganzjahresradfahrer waren, nannten „Probleme mit dem Winterdienst“ sogar als wichtigsten Punkt bei der Bereitschaft, im Winter mit dem Rad zu fahren. Das Potenzial könnte enorm sein.

Diesbezüglich ist auch der Vergleich zu den Niederlanden interessant. Der Soziologe Dr. Ansgar Hudde vom Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität zu Köln konnte in einer Studie zeigen, dass in den Niederlanden die saisonalen Unterschiede bei der Fahrradnutzung demnach geringer ausgeprägt sind als in Deutschland. Während in Deutschland die Radfahrerquote sinkt, sobald das Thermometer unter 15 Grad fällt, bleibt sie in den Niederlanden fast konstant. Dabei ist die Wetterlage bei unseren Nachbarn nicht bedeutend anders, wie ebenfalls von Hudde erforscht. Ja, an Schneetagen werden auch in den Niederlanden Geh- und Radwege priorisiert geräumt, aber diese machen ja einen verhältnismäßig kleinen Zeitraum im ganzen Winter aus. Der Soziologe ist sich sicher: Es scheint eine Frage der Fahrradkultur zu sein. Deutschland ist ein Land der Schönwetterradfahrer, hier gibt es sogar einen Begriff wie „Fahrradsaison“. Aber Kultur ist nicht statisch, sondern immer im Wandel. Das Potenzial ist enorm und Politiker können sich das zunutze machen.

Es ist also nur sinnvoll, wenn Städte wie München experimentieren und das Dilemma Sicherheit versus Umweltschutz durch einen Kompromiss zu lösen versuchen. Der Plan, minimal zu salzen und dabei dennoch die Gesundheit von Pflanzen und Tieren zu wahren, wie es aktuell in der bayrischen Großstadt durchgeführt wird, kommt auch bei den Naturschutzverbänden vor Ort gut an. Weitere Forschung ist notwendig, damit es künftig auch den Kommunen leichter gemacht wird.

Exkurs: Die Pflichten der Kommunen

Für den Winterdienst sind die Kommunen zuständig, er ist je nach Bundesland unterschiedlich geregelt. Ganz grundsätzlich sind Kommunen jedoch nicht verpflichtet, rund um die Uhr zu streuen oder alle Straßen zu räumen. Es gibt auch keinen Rechtsanspruch an eine bestimmte Qualität des Winterdienstes. Verkehrswichtige und gefährliche Stellen müssen durch die Räumung sicher gemacht werden, weitere Straßen liegen im Ermessen und den finanziellen Möglichkeiten der Gemeinde. Vom Verkehrsteilnehmer wird erwartet, dass dieser sich an die Witterungsbedingungen anpasst, beispielsweise durch langsameres Fahren.

Der Winterdienst wird meist so geleistet, dass zwischen 7 und 20 Uhr die Straßen in einem verkehrssicheren Zustand sind. Dies kann je nach Wetterlage bedeuten, dass der städtische Winterdienst an Werktagen schon um 2 Uhr morgens beginnt. An Feiertagen und am Wochenende sind die Straßen in der Regel erst um 9 Uhr verkehrssicher.

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