Dervla Murphy: Fahrrad-Reisende und Schriftstellerin
Dervla Murphy: Gedankenfreiheit auf dem Rad
Dervla Murphy: Fahrrad-Reisende und Schriftstellerin
in Story
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Bereits als Vierjährige kündigte Dervla Murphy als einziges Kind ihrer Mutter an: „Ich will Bücher schreiben.“ Mit zehn Jahren bekommt sie von ihrem Großvater ein Fahrrad und einen Atlas geschenkt. Wenige Jahre später gibt sie sich das Versprechen, nach Indien zu radeln. Erst weitere 22 Jahre später geht sie auf ihre Reise und schreibt. Sie wird nie wieder davon loslassen. Ohne jede Absicht auf Rekorde, ohne Kilometerzähler, mit dem einzigen Wunsch, mit Freude die Welt zu entdecken, beginnt für sie ein neues Leben. Ausgerüstet mit einer geladenen Pistole hat sie mehr Angst vor dem Schuss, als dass sie jemanden damit abschrecken könnte.
Lange genug schlummerte ihr Wunsch, hart war ihr Weg bis dahin: Im Alter von 14 verlässt sie die Schule und verbringt die folgenden 16 Jahre mit der Pflege ihrer Mutter, die dann im August 1962 an rheumatischer Arthritis stirbt.
Trotz ihrer schweren Krankheit klagt ihre Mutter nie und war Dervla mit ihrer Haltung immer ein großes Vorbild. Ihr Vater, an einer Nephritis erkrankt, war bereits eineinhalb Jahre zuvor verstorben. In diesen Jahren hat Dervla, abgesehen von einigen kurzen Radreisen in Zentraleuropa, viel zu wenig freie Zeit zum Reisen.
Dervla Murphy: Mit dem Rad nach Indien
In einem der härtesten Winter seit fast zwei Jahrzehnten verlässt sie am 14. Januar 1963 ihre Heimat Irland. Die extreme Kälte verwandelt die tapfere Reisende alsbald in eine demoralisierte Fluchende, die am Ende ihr Fahrrad in einen Muldenkipper wirft – die größte Frustration auf ihrer Reise.
Aber sie gibt nicht auf, so dass sie schließlich am 18. Juli Neu-Delhi erreicht. In Nordindien arbeitet sie freiwillig in einem tibetischen Flüchtlingscamp und unternimmt einige Tracks im Himalaya, bevor sie Ende Februar 1964 nach Irland zurückfliegt.
Radfahren als Schubhilfe der weiblichen Emanzipation
Radfahren und Schreiben werden eins
Weit weg von der Zivilisation, mit der Präzision eines Chirurgen taucht Dervla Murphy ihre Feder in die Geschichten vieler spannender Reisen, fremder Kulturen, ergreifender Erlebnisse und Begegnungen. Das Radfahren und das Schreiben werden eins: Manchmal hat sie das Gefühl, es gäbe kein Zurück und es wird unklar, was Teil des Rades, Teil des Manuskripts oder Teil von ihr selbst ist. Die feine Grenze zwischen Lenker und Feder ist fließend: „Am Ende einer Etappe schwitzt man genauso wie am Ende eines Kapitels.“
Dervla Murphy ist auf der fortwährenden Suche des vitalen Gleichgewichtes: Zu langsam ist man verwirrt, zu schnell begibt man sich in Gefahr. Der Schriftsteller Thierry Consigny beschreibt dies so: „Die Feinheit der Reibung des Reifens, der kurz den Asphalt berührt und seine Spuren hinterlässt, ist dieselbe wie eine Feder, die das Papier ritzt.“ Dervla ist eine Handwerkerin mit hartnäckiger Ausdauer, einfühlsam und aufrichtig. 1931 geboren, besteht heute ihr Werk aus mehr als 20 Titeln, fast alles Reiseberichte. Sie ist vor allen Dingen eine unermüdliche Wanderin, obwohl ihr die Etikette „Radfahrerin“ anhaftet.
Dervla Murphy: Bücher voller Leidenschaft
Im Jahr 2015 reist sie in den Libanon und nach Jordanien, um Freunde im Gaza-Streifen zu besuchen, heute in einer neuen Geschichte veröffentlicht. Ihre letzten beiden Bücher sind Palästina und Israel gewidmet.
Das erste Mal in ihrer langen Karriere wird sie von Kritikern gemieden, hat sie doch mit leidenschaftlicher Ehrlichkeit geschrieben. Sie liest alles über den Nahost-Konflikt, die Wände ihres Hauses sind gefüllt mit Büchern. Auf dem Boden türmen sie sich rechts und links von ihr. Sie ist eine engagierte Schriftstellerin, die die Revolte und Belesenheit ihres Vaters, seinerzeit Bibliothekar, fortwährend beibehalten hat. Er war ein stolzer Unabhängigkeitskämpfer, ehemals sympathisierend mit der Irish Republican Army (IRA).
Mit „Full Tilt – Ireland to India with a Bicycle “ offenbart die Autorin ihre Seite als Wegbereiterin, im Besonderen in den Passagen, die sie Afghanistan widmet. Dieses Land, in das sie sich sofort verliebt hat, scheint sie für immer gezeichnet zu haben: „Alle Menschen um mich herum tragen Waffen, sowie in Irland Regenschirme getragen werden“– und hier wirft sie dann ihre Pistole einfach weg.
Eine Begegnung im Juni 2014
Verunsichert von der Stille hinter der Eingangstür trete ich ein. Ein Radio knistert auf Irisch, diese Sprache, die keiner anderen gleicht. Ich bin in Lismore, einige Autostunden von Dublin entfernt. Hier klopfe ich an die Türe dieser großen Dame, die nicht im geringsten an Fröhlichkeit verloren hat. Kurze Haare und maskulin begrüßt mich Dervla mit einem kräftigen Händedruck und einem knappen „Ein Bier?“. Sie rollt Teppiche aus, auf denen sie mich einlädt Platz zunehmen, während sie verschwindet.
Kurz drauf kehrt sie mit zwei frischen Bier, gefolgt von drei Hunden, zurück. Welches Bier sie am liebsten mag, verrät der Name einer ihrer Hunde: Er heißt „Guinness“. Dervlas Stimme ist heiser und verrät ein Übermaß an Alkohol, Zigaretten und Kaffee.
Selbstgebackenes Brot, Oliven, Bier und „Ginger Ale“: Alles ist köstlich. Auch Tee gibt es reichlich. Die Gastgeberin schaut genau darauf, dass mein Glas immer gefüllt ist.
Gespräch mit Dervla Murphy
Unser Gespräch führt vom Hölzchen übers Stöckchen und dann in die weite Welt. Fasziniert, wie Dervla kein Blatt vor den Mund nimmt, fällt es mir schwer Notizen zu schreiben. Jede ihrer Aussagen stützt sich auf Berge von Literatur und Recherchen: Von der Geschichte bis zur internationalen Politik beschäftigt sie sich mit allem. Kein Wunder also, dass ihr die aktuelle Weltsituation große Sorgen macht.
Dann lässt sie mich kurz in ihr tiefes Inneres schauen. Wie der Pfad von wild wachsenden Unkräutern, der zum „Old Market“ ihres Hauses führt, spiegelt er ihr eigenes Inneres: Ein einfaches Schloss verriegelt die Eingangstür, während sie schreibt. Sie sagt: „Für einige Monate ziehe ich mich aus dieser Welt zurück, bis der Zustand von Konzentration wieder zurückkehrt und damit die Geburt eines neuen Buches. Als Einsiedlerin bin ich oft einsam und allergisch auf alles Moderne.“
Dervla Murphy: Eine Frage der Verantwortung
Auf die Frage, was einen guten Reiseautor ausmacht, geht sie mit keinem Wort auf den Stil ein, sondern sagt ganz einfach: „Man muss sich von den Hauptrouten entfernen. Je weniger Geld man besitzt, desto mehr kommt man mit Land und Leuten in Kontakt. Als Alleinreisende ist man in völliger Abhängigkeit. Das ist ein guter Anfang, weil man den Menschen zeigt, dass man ihnen vertraut.“ Und sie erklärt weiterhin: „Ich habe das große Privileg, von dem zu leben, was ich gerne mache.“
Doch mit zunehmendem Alter wird das Schreiben schwieriger. Ihre Tochter unterstützt sie und kümmert sich um das Verlegen. Die Probleme liegen manchmal im Kleinen. Dervla Murphy arbeitet „sehr antiquarisch“. Manchmal erweist es sich als sehr kompliziert, noch ein Farbband für ihren Schreibmaschinentyp zu finden. Das Werk eines Abenteurers und Schriftstellers ist ein lebendiges Zeugnis des Zustandes der Welt: Die Wichtigkeit der Erinnerungen ist eine Frage der Verantwortung.
Die Autoren
Martina Friemel ist Radreiseveranstalterin, sie bietet unter anderem Radreisen speziell für Frauen an.
Claude Marthaler ist Journalist und Radreisender. Seine Reisen hat er in zwei Büchern veröffentlicht: „Durchgedreht – 7 Jahre im Sattel“ Reise Know How 2002 und „Soweit das Rad uns trägt“ Maxime Verlag 2012.