Kommentar: Reinfall mit VW-Cargobike
Warum VW mit seinem Cargobike falsch liegt
Kommentar: Reinfall mit VW-Cargobike
in Test & Teile
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Auf der Micromobility Expo in Hannover zeigt Volkswagen sein VW-Cargobike mit Continental-Antrieb. Mehr noch: Selbstbewusst steht es im Testparcours zum Ausprobieren bereit. Ob sich die Wolfsburger damit einen Gefallen getan haben, ist fraglich. Denn das Fazit der kleinen Tour fällt fatal aus. In gleich mehrfacher Weise.
Die beiden VW-Cargobikes: Optisch nicht zu viel versprochen
Der erste Eindruck: Die vielen PR-Fotos, die inzwischen im Internet kursieren, haben optisch nicht zu viel versprochen. Beide vorgestellten Lastenräder Made in Wolfsburg sehen schnittig aus. Das Design passt schon mal. Auch die Variabilität scheint zu stimmen. Eines der beiden VW-Cargobikes kommt mit einer großen Transportbox vor dem Lenker daher. Darin ist viel Platz, auch eine Kinderbox mit zwei nebeneinander platzierten Sitzen ist möglich. Die Kisten-Version kommt ohne Neigetechnik für die beiden Vorderräder des Trike aus. Anders dagegen das VW-Cargobike mit Ladeplattform vorn, das zweite vorgestellte Konzept. Hier sollen sich die Räder — und somit das gesamte VW-Cargobike — in Kurvenfahrten in die Kurve hinein neigen, so ein natürlicheres Fahrgefühl ermöglichen.
Aufrechte Sitzposition, ergonomische Griffe
Zuerst ist das Kistentrike dran: Der anwesende VW-Mitarbeiter stellt die Sattelhöhe ein, schon kann es losgehen. Die Sitzposition ist angenehm aufrecht, Lenker und Bedienelemente liegen gut in der Hand. Der Conti-Motor setzt bei der ersten Pedalumdrehung leise brummend ein und schiebt das Rad nach vorn. Der Geradeauslauf ist gut, die Lenkung hat kaum Spiel — das aber kann man von Deutschlands Autobauer Nummer eins auch erwarten. Dann die erste Kurvenfahrt mit dem VW-Cargobike: Die Katastrophe beginnt.
VW-Cargobike mit Kiste: Kipplaster
Selbst deutlich unter 15 Stundenkilometern neigt das Dreirad sogar in weiten Kurven zum Kippen. Mit etwas Gewicht in der Kiste verringert sich das zwar, ist aber immer noch sehr präsent. So nutzt es auch nichts, dass der Wendekreis des VW-Cargobikes vergleichsweise klein ist. Denn außer zum Rangieren sollte der volle Lenkeinschlag nicht genutzt werden. Sonst kann der Fahrer das Aufschaukeln des Rads, schlimmstenfalls das Umkippen, fast nicht verhindern. In dieser Form ist das Rad schlicht nicht fahrbereit.
Konsternierte Testfahrer
Dabei haben wir das VW-Cargobike nicht annähernd an den eigentlich erwartbaren Grenzbereich herangeführt. Das zeigt sich auch beim Beobachten anderer Tester: Weniger erfahrene Radfahrer stellen das VW-Trike nach wenigen Metern entnervt ab. Zu groß sei seine Angst umzufallen, erklärt ein Messegast konsterniert.
Welche Cargobikes halten, was sie versprechen, erfahren Sie hier!
VW-Cargobike mit Neigetechnik: Fahrstabiler? Mitnichten!
Bleibt das Neigerad. Ein Dreirad, das sich in die Kurve legt, ist deutlich fahrstabiler als ein starres Konzept. Könnte man meinen. Das VW-Cargobike beweist das Gegenteil.
Nicht fahrbereites Testrad
Doch von vorn: Die Sitzhöhe lässt sich bei Testtrike Nummer zwei erst gar nicht einstellen. Die Plastikkappe, die den Schnellspanner hält, rutscht permanent aus dem Sitzrohr, die Schraube des Schnellspanners ist komplett kaputt. Also muss die niedrigste mögliche Sattelhöhe für die Testfahrt ausreichen, auch wenn der Sattel nun schwammig hin und her wackelt. Kann passieren, schließlich haben bereits Hunderte Testfahrer vor mir auf dem VW-Cargobike Platz genommen.
VW-Cargobike: Fahren wie auf Wackelpudding
Eine Kurbelumdrehung, der Continental-Motor gibt Schub. Sofort neigt sich das Bike nach rechts — dabei will ich geradeaus fahren. Das Rad lässt sich kaum aufrichten. Entweder kippt es zur einen oder zur anderen Seite. Gelingt es doch einigermaßen, sorgt die nächste Kurve sofort wieder für ein Ungleichgewicht. Denn statt nach innen neigt sich das VW-Cargobike der Zentrifugalkraft folgend immer nach außen. Das destabilisiert die Kurvenfahrt noch einmal mehr als beim kippelnden Starr-Lastenrad mit Transportbox. Fahreindruck: Wie auf Wackelpudding. Auf Nachfrage bei einem der bemitleidenswerten, anwesenden VW-Mitarbeitern sagt der lapidar: Das ist ein Prototyp, das wird noch korrigiert.
Vernichtendes Urteil zum VW-Cargobike von Prüfpionier Ernst Brust
E-Bike-Prüfspezialist Ernst Brust, der selbst vor Ort das VW-Cargobike Probe gefahren ist, schlägt ebenfalls die Hände über dem Kopf zusammen: „Die Fahrleistungen sind katastrophal und für VW unwürdig.“ Dass Fahrräder in der Entwicklungsphase nicht so funktionieren, wie sie am Ende sollen, ist völlig normal. Das weiß auch Brust, inzwischen verantwortlich für die E-Bike-Entwicklung bei Fischer in der Pfalz. Warum aber präsentiert VW solch desolate Fahrzeuge zu diesem Zeitpunkt der Öffentlichkeit?
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Das bedeutet die desolate Präsentation von VW
Für mich gibt es hier nur zwei mögliche Antworten: Der Druck zu liefern, ist bei VW enorm groß. So ist es den Entwicklern lieber, ein fahruntaugliches Produkt zu präsentieren als gar keins. Oder: Das VW-Cargobike ist reine Spielerei, das Ergebnis für die Konzernstrategie völlig egal. Das hingegen wäre symptomatisch für jede Kritik, die derzeit an der deutschen Automobilindustrie geübt wird.
Verhalten von VW könnte schmerzhaft werden
Bosch, Brose und Schaeffler versuchen zumindest, sich als Weltkonzerne gerade von der Automobilindustrie ein Stückweit frei zu machen. Klassische Zuliefererteile — etwa Kuplungen oder Möglichkeiten der Vibrationsreduktion im Auto — sind Auslaufmodelle. Elektrofahrzeuge brauchen sie schlicht nicht mehr. Die Zulieferer suchen deshalb nach Alternativen. Wenn sie dabei die klassischen Automobilhersteller an Innovationskraft weiter überflügeln, die Elektromobilität und die kleinen, städtischen Alternativen wie E-Bikes weiterhin an VW und Co. vorbei laufen, werden die Automobilriesen bald selbst überflüssig. Die Mikro- und E-Mobilität so sträflich stiefmütterlich zu behandeln, könnte für die deutschen Autobauer daher sehr schmerzhaft werden.