Heinz Stücke: Der Fahrrad Weltreisende im Interview
Fahrrad-Globetrotter Heinz Stücke im Interview
Heinz Stücke: Der Fahrrad Weltreisende im Interview
in Story
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Vorgezeichnet scheint Heinz Stückes Lebensweg 1960: Der 20-Jährige aus dem westfälischen Ort Hövelhof bei Paderborn hat seine Werkzeugmacherlehre abgeschlossen, würde nun wohl in einer Fabrik sein Geld verdienen, Teil seiner vertrauten Welt bleiben.
Von dieser hatte sich Stücke indes schon länger begonnen zu entfernen und gänzlich andere Vorstellungen über sein Leben entwickelt. Fasziniert von Geographie und bunten, entfernten Ländern, bricht er schon zu Lehrzeiten zu kleineren Radtouren durch Europa auf, fährt nach Abschluss seiner Lehrzeit 10.000 km ums Mittelmeer.
Weil das den Willen Stückes befeuert, die große Welt zu sehen und Abenteuer zu erleben, bricht er im August 1960 zu einer ambitionierten Radreise auf, in deren Verlauf er durch 20 Länder fährt und schließlich nach 17.000 Kilometern heimkehrt.
Gewissermaßen der Probelauf für Heinz Stückes Weltreise mit dem Fahrrad, die zugleich zu seiner Lebensreise wird und in die er im November 1962 startet. Enden wird sie erst gewaltige 52 Jahre später im Heimatort des Westfalen – unglaubliche 648.000 Fahrradkilometer und dem Besuch von 196 Ländern sowie 86 Sonderterritorien auf allen fünf Kontinenten später.
Das Gros davon bewältigte der heute 80-Jährige auf seinem schon ohne Gepäck 25 Kilo schweren Reiserad: unerschütterlicher Stahlrahmen, 3-Gang-Nabenschaltung, Rücktrittbremse und bepackt locker 50 Kilo schwer.
Das Verständnis seiner Eltern und beiden Schwestern für das leidenschaftliche Unterwegssein des Globetrotters hielt sich in Grenzen, was mit ein Grund dafür gewesen sein dürfte, dass Stücke seine Familie in über 50 Jahren nur ein paar Tage im Ausland traf.
Stattdessen erkundet Heinz Stücke in den 1960ern Ägypten, genießt 1963 in Äthiopien eine Audienz bei Kaiser Haile Selassie, der ihn finanziell unterstützt. Aufgrund der Hitze in Indien radelt Stücke dort 1961 bevorzugt nachts.
Auch vor 5000 Meter hohen Bergen, wie etwa 1975 in Indien, macht der Weltreisende nicht Halt, überwindet sie oft schiebend. Eine Auswahl seiner unzähligen Reisehighlights auf allen Kontinenten schildert und bebildert Heinz Stücke mit seinen Fotos in einer kompakten Broschüre, die er in mehreren Sprachen drucken lässt und Interessierten schenkt.
Die großzügigen Spenden, die Heinz Stücke oft dafür erhält, finanzieren teilweise seine Reise, zusätzliches Geld verdient Stücke in den 1980ern durch den Verkauf seiner Bilder und seiner Story über eine Londoner Agentur. Erlebt hat der Westfale während seiner Weltreise nicht nur die unbeschwerte Freiheit, sondern auch Geldknappheit und gefährliche Situationen wie den Schuss eines Freiheitskämpfers in Stückes rechte große Zehe in Sambia 1980.
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Man hielt den Reisenden Heinz Stücke irrtümlich für einen Spion. Ernsthaft zu Geld gekommen ist Stücke mit seinem Abenteuer nicht; seine Einnahmen finanzieren stets seine Weiterreise. Dafür ist der 80-Jährige heute Erinnerungsmillionär: Wer kann, wie von Heinz Stücke 1989 praktiziert, schon behaupten, einmal auf der Chinesischen Mauer gezeltet zu haben?
Seine Reise beendet Heinz Stücke 2014 in Hövelhof, weil er mit zunehmenden Hüftschmerzen kämpft. Angeregt durch einen Bekannten, ermöglicht es ihm sein Heimatort, seitdem kostenfrei in einem kleinen Haus zu wohnen.
Du warst die meiste Zeit deines Lebens gewohnt, unterwegs zu sein. Hast du dich nach Rückkehr in deinen Heimatort 2014 wieder heimisch gefühlt?
Ja, in kürzester Zeit hab ich mich hier gut eingelebt. Dann fing ich an, meine Kartons aufzumachen und zu archivieren – da kamen die letzten vierzig Jahre zum Vorschein. Ich käue meine Erlebnisse jetzt sozusagen wieder und reise rückwärts.
Du sitzt aktuell oft im Rollstuhl – weil deine Hüften infolge jahrelanger, vermutlich einseitiger Belastung auf dem Rad so gelitten haben?
Ja, das ist die Arthrose, die Hüften sind abgenutzt. Wahrscheinlich kommt das davon, denn ich hab manchmal enorme Kraftanstrengungen unternehmen müssen. Mein bis zu 60 Kilo schweres Rad konnte ich nur auf der rechten Körperseite optimal beherrschen, womit die linke Hüfte wohl auf Dauer überbelastet wurde, wenn ich das Rad immer wieder über Hindernisse schleppen musste.
So ging zuerst die linke, dann die rechte Hüfte kaputt. Ich habe aber gar keine Krankenversicherung und die Operation einer Hüfte kostet etwa 7000 bis 8000 Euro. Das geht also gar nicht. Es stand vor einiger Zeit zur Diskussion, ob ein Krankenhaus das umsonst operieren kann, aber bei der Überlegung ist es geblieben. Mir ist das allerdings sogar recht, denn solange ich nicht laufen kann, komme ich mit meinem Bildarchiv weiter.
Wie lange denkst du, dauert es, deine 100.000 Bilder zu archivieren und digitalisieren?
Ich denke, bis an mein Lebensende, bis dahin sind es hoffentlich noch ein paar Jahre. Gut ist gewissermaßen, das ich nicht mehr laufen kann. Denn, wenn draußen die Sonne scheint, will man ja nicht im Haus solchen Papierkram machen. So ist es quasi das Beste, was mir passieren konnte.
Erstmal hab ich meine Bilder nach den 240 Ländern und Territorien, die ich bereist habe, sortiert. Elf Schränke sind das inzwischen plus vier Schubladen – mit etwa 100.000 Fotos. Das hat lange gedauert, die erstmal vorzusortieren.
Du bist ja meist allein per Rad um die Welt getourt? Hast du dich nie einsam gefühlt?
Nein, ich hab mich immer für die Menschen begeistert. Mit meinem Rad brauchte ich die Leute nicht anzusprechen – die haben mich angesprochen. Das Fahrrad mit der Weltkarte und den Namen der Städte darauf, das war ja so interessant. Und: Ich hatte ein einladendes Gesicht!
Das muss man haben, das ist die Lösung! Mensch, und ich hab ja dann Einladungen zu Leuten gekriegt. Spricht man die Menschen selbst an, gibt’s häufig ein „Ja, was will der denn?“. Die aber kamen auf mich zu und dann erzählt man einfach ein bisschen. Ich hab die Leute gleich eingewickelt mit meinen Geschichten. Damit ich aber nicht immer das Gleiche erzähle – ist ja auch langweilig – hab ich eine kleine Broschüre zu meiner Weltreise gehabt.
Die hab ich verschenkt, woraufhin viele sie bezahlen wollten. „Ja, Geld kann man ja immer gebrauchen“, hab ich dann gesagt. Die Broschüre hätte ich etwa für einen Euro verkaufen wollen, aber die Leute haben mir oft fünf oder zehn Euro dafür gegeben.
Heimweh kanntest du während all der Jahre scheinbar nie?
Ich hatte nie Heimweh, nur Heimangst! Deswegen konnte ich mit dem Reisen auch nie aufhören. Ich hatte ja eine Werkzeugmacherlehre, aber mein Leben war unterwegs doch so toll geworden, da wollte ich ja gar nicht mit aufhören. Am Anfang hab ich immer gesagt „nächstes Jahr bin ich bestimmt zuhause“, wenn mich Briefe von zuhause erreichten,
aber in Wirklichkeit war das eher eine Ausrede, damit die (Stückes Eltern und seine beiden Schwestern, Anm. d. Red.) nicht dachten, ich sei vollends verschüttgegangen.
Aber das Leben war so toll und dann gab es ja immer wieder neue Ziele; es war nicht so, dass ich irgendwo festsaß. Ich hatte immer die Neugierde auf Neues und irgendwann beschlossen: Ich fahre weiter, so lange es geht.
Radeln macht hungrig. Warst du während all deiner Touren stets dein eigener Koch?
In der dritten Welt lohnte es sich nicht, eine Kochausrüstung mitzunehmen. Ein gängiges Gericht hat in Indien umgerechnet 50 Cent gekostet. Da konntest du doch essen, soviel du wolltest! Sich selbst zu versorgen, hat sich da gar nicht gelohnt. In teureren Ländern musst du dich dann wiederum selbst versorgen.
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Als ich dann später begonnen hatte, größere Reisen zu unternehmen – ohne meinen Schwerpunkt wie anfangs stark auf die Kultur zu legen – und mir schwierigere, interessante Routen wie die Trans-Kanada oder den Alaska Highway ausgesucht hatte, brauchte ich wieder meine Campingausrüstung.
Und geschlafen hast du meist wo?
Ich hatte ein Zelt dabei, das ich aber gar nicht so oft gebraucht hab – ich wurde ja so oft zu Leuten eingeladen. So wie in Südamerika. Das Zelt war trotzdem wichtig für den Fall, wenn ich tatsächlich einmal keine Einladung für einen Schlafplatz bekam und außerhalb der Ortschaft nächtigen musste.
Ich habe 5000 Nächte im Zelt verbracht, bin oftmals zu Leuten eingeladen worden und hab 5000 Nächte in billigen Unterkünften geschlafen. Na ja, und den Rest – vielleicht 1000 Nächte – hab ich an Flughäfen beim Warten auf den Flug oder während langer Busfahrten „vergammelt“.
Hast du jemals Angst verspürt, wenn du so oft allein unterwegs warst?
Immer nur, wenn man etwas tun muss, womit man keine Erfahrung hat. Ich bin viele Vulkane hochgelaufen, das ist zwar keine Felskletterei, aber dann konnte es schon mal sein, dass du vor eine Stelle mit einem Abbruch kommst und du hundert Meter steil absteigen musst. Und da hab ich Angst gehabt – weil ich kein Bergsteiger bin!
Das ist dann eine Situation, die du nicht völlig kontrollieren kannst. Sonst hab ich immer alles unter Kontrolle gehabt. Der Rückspiegel ist ja das Allerwichtigste am Fahrrad überhaupt, der hat mir im Straßenverkehr mehrmals das Leben gerettet. Aber Angst ist etwas, was man eventuell im Nachhinein haben kann. Dann sagt man „Mensch, das hätte ins Auge gehen können“, aber dann ist es ja sowieso zu spät.
Bist du bei deinen Radreisen gelegentlich mit anderen Radlern gefahren?
Ja, aber nur, wenn es absolut nicht anders ging. Die einzig vernünftige Methode ist, allein zu fahren. Man wird viel häufiger zu Leuten eingeladen. Fährst du mit anderen, kannst du ja gar nicht all das aufnehmen, was dich interessiert. Ich bin mal auf einer Nachbarinsel von Tahiti mit einem Armenier gefahren.
Das war ein früherer Rennfahrer und der fuhr immer schneller. Wir waren grad 30 km um die Insel gefahren, da fing er an zu rasen! Das hab ich nicht mitgemacht, bin mein langsameres Tempo gefahren und da musste der sich mir anpassen. Ich wollte ja die Insel kennenlernen.
Dein komplett aufgepacktes Rad wog stolze 50 bis 60 Kilo. Trotzdem hast du damit sogar 5000 m hohe Bergpässe bezwungen?
Sooner or later (zu Deutsch: früher oder später)! Auch 5000 m hohe Pässe bin ich immer hochgekommen. Wenn du auf 1000 m losfährst, dann dauert es eben drei Tage, bis du auf 5000 m oben bist. Aber das spielt ja keine Rolle! Ging es lange bergauf, hatte ich meine Methode: Da hab ich viel geschoben oder mir abwechselnd die Landschaft angeschaut, damit man nicht nur das Vorderrad und die Straße vor sich sieht.
Und wenn man dann schön ins Schwitzen kommt, dann guckt man sich um, entdeckt einen Schmetterling, holt die Kamera aus der Tasche und fotografiert. Hast du die Bilder gemacht, bist du wieder ausgeruht und dann geht es weiter bergauf.
Die Bekanntschaften, die du in aller Welt gemacht hast, haben ebenfalls zu deinem Reiseglück beigetragen, oder?
Ja. Ich habe immer ein bisschen Schuldgefühle gegenüber Menschen, die sehr großzügig waren, so dass ich denke, ich müsste denen etwas zurückzahlen. Viele haben ja gesagt: „Schick mir doch mal eine Postkarte“, und dabei blieb es ja dann oft auch. Als ich mal meine gesammelten 3000 Kontakte und Adressen durchgeguckt habe, fiel mir der Name eines Mannes auf, der mir unterwegs mal geholfen hatte.
Dann hab ich dem das Fotobuch meiner Reise geschenkt und darüber hat der sich so gefreut, das einige Zeit später 100 Euro auf meinem Konto eingingen. Da hatte der gar nicht mehr daran gedacht, dass er mir unterwegs schon mal Geld zugesteckt hatte. Das ist so toll!
Heinz, einer der schönsten Momente auf deinen Reisen?
Wenn du das Glück gehabt hast und endlich mal eine Frau näher kennenlernen durftest. Das war ja auch die Ausnahme. Also Beziehungen hatte ich auch.