Bodensee-Königssee-Radweg: Sieben Tage auf Fahrradtour
Fahrradtour in sieben Tagen: Der Bodensee-Königssee-Radweg
Bodensee-Königssee-Radweg: Sieben Tage auf Fahrradtour
in Reise
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Üblich bei einem Ehepaar, das aus einem Radfahren-Redakteur und einer Rechtsanwältin besteht: Urlaub am Mittelmeer, wandern, schwimmen, relaxen – das Rad ist tabu.
Der Bodensee-Königssee-Radweg: Eine Traumreise
Doch die Corona-Reisebeschränkungen im Sommer 2020 machten einen Strich durch die Rechnung. Eine Alternative musste her, die nun in der Rückschau zu einer der schönsten Reisen unseres Lebens wurde: Wir begaben uns auf den legendären Bodensee- Königssee-Radweg.
Mit Schleifen für uns 550 Kilometer lang. Anstrengend ja, aber ideal, um aktiv zur Ruhe zu kommen. Erlebnisreich, um die Seele zu beflügeln. Unser Plan: Mit den Rädern und der Bahn von Regensburg nach Lindau.
Durchs Allgäu, über die Tölzer Berge zum Chiemsee, dann auf den Spuren des Salzes südlich Richtung Watzmann, in dessen Schoß der idyllische Königssee liegt. Und von Berchtesgaden mit dem Zug zurück.
Es sollte anders kommen: Wir hatten so viel Freude und Glück gesammelt, dass wir den 1000er voll machten. Mit dem Rad.
Tag 1: Zuganreise an den Bodensee – Lindau – Eglofs, 27 km
Tolle Blicke, die Hasen passen
Weil der Sackbahnhof auf der Insel Lindau die Uferpromenade berührt, stehen wir nun fast direkt am Bodensee. Vor uns der fünf Meter hohe Bayerische Löwe, der die Hafeneinfahrt bewacht. Eisschleckende Menschen überall, die Straßencafés sind trotz Corona gut besucht. Hier in Lindau gäbe es, wie das bemalte Rathaus, viel Sehenswertes.
Doch wir wollen los. Da links, das erste weiße Schild! Mit grüner Welle und Aufschrift Bodensee-Königssee-Radweg leitet es uns über eine lange Brücke zum Festland. Wir folgen kurz dem Bodensee-Rundweg.
Den Fernweg-Radschildern folgen
Insgesamt empfinde wir die Schrift als zu dünn. Außerdem konkurriert unser Wegweiser hier mit einem Wald anderer Hinweisschilder, die auf regionale Touren verweisen. „Fernradweg-Schilder sollten am Anfang oder Ende platziert sein, dann sieht man sie besser“, ruft mir meine Frau zu.
10 Tipps gegen Diebstahl: Damit gehen Sie auf Nummer sicher
Ein Tipp, den wir an Franz Reil weitergeben, der den Bodensee-Königssee-Radweg entwickelt und alle Hinweisschilder einheitlich auf Dunkelblau umstellt, „die coronabedingt noch nicht überall montiert werden konnten,“ erklärt Franz uns später.
Nordöstlich von Lindau rollen wir locker durch Apfelplantagen, die sich bald über Wellen hinaufziehen. Dann folgen wir entspannt einem murmelnden Bach – Gelegenheit über die Route nachzudenken.
Höchster Punkt zu Beginn
In sieben Tagen wollen wir den Königssee erreichen. Die Anstrengung kommt hier am Anfang: das Dach der Tour ist schon nach 100 Kilometern erreicht, in Oy-Mittelberg, eingebettet zwischen idyllischen Seen vor grandioser Bergkulisse auf etwa 1000 Metern Höhe.
Danach durchs Allgäu Richtung Füssen, am Märchenschloss Neuschwanstein vorbei. Wir freuen uns auf das Unesco-Weltkulturerbe Wieskirche in Steingaden im Pfaffenwinkel, auf den Tegern- und Schliersee. Wir wollen im Chiemsee baden und schließlich die Füße in den kristallklaren Königssee stecken.
Komfortable Fahrrad Ausstattung
Die Sitzpositionen auf unseren Rädern: sportlich, aber angenehm. Hochwertige Federgabeln sollen für Komfort, Tourenreifen für Leichtlauf auf längeren Asphaltpassagen sorgen.
Wir werden meist auf Nebenstraßen fahren, selten auf Radwegen entlang von Bundesstraßen. Dafür wird es aber auch Naturpisten geben. Und Wege durch Wälder, wo der Untergrund auch im Sommer feucht und deshalb tief sein kann.
SQlab Innerbarends 410/402: Lenkerhörnchen im Test
Deshalb sollten die Reifen für den „Bo-Kö“ Grip bieten. Jetzt, bei den ersten Verschnaufern am Wegrad, zeigt sich, dass ein stabiler und gut klappender Hinterbauständer auf Radreisen mit Gepäck Gold wert ist.
Packtaschen von Thule und Basil
Meine Frau hat eine kleine KlickFix-Tasche im lustigen Margeriten-Design am Lenker fixiert, die sie auch als Schultertasche nutzt. An ihrem Fahrradheck sind gelbe Thule-Packtaschen eingehängt, die sich rüttelfest fixieren „und einfach abziehen lassen“, demonstriert sie voller Stolz.
„Trotz 2 × 4,5 Kilo Beladung.“ Beachtlich wenig, meine Liebe. Ich nutze großvolumige Basil-Taschen mit aufgerauter Oberfläche, die bereits einstauben. Glatte Oberflächen wie bei den Thules lassen sich leichter reinigen. Ich habe 2 × 7 Kilo an Bord, Werkzeug, zwei Wasserflaschen, die Fotoausrüstung, meine Kleidung.
Unser Radweg läuft nun entlang der Bahngleise. Zweieinhalb Stunden zuvor hatten wir die Landschaft hier bereits gesehen: durch die Scheiben des Zuges.
Steiler Anstieg nach Muthen
Nun aber sind wir mittendrin: Hören das Tirili der Vögel, die mit uns schwingen, sehen die glitzernde Leiblach neben uns, eine Idylle … bis meine Frau schreit: „Muss das sein?“ Bei Hergatz, gleich hinter dem Bahnübergang, zieht die Straße in einer langen Linkskurve steil nach Muthen hinauf.
Am Rand gestrandet: eine Familie mit Packtaschen an den Rädern. Die Tochter schmollt, Mama und Papa schieben entnervt, während sich der Junior im schweißnassen T-Shirt nach oben pumpt.
Traumhaftes Allgäu
Einsame Ländereien, weite Rückblicke zu den Bergen, die den Bodensee flankieren, sattgrüne Wiesenmatten. „Das Allgäu ist wunderschön“, schwärmt meine Süße. Halt mal an: Mit unzähligen Kunststoffdeckeln von Getränkeflaschen gestalteten Künstlerinnen bei Heimhofen einen abgestorbenen Birnbaum zum „Traumzauberbaum“ um.
Der Tag neigt sich dem Ende zu, das Firmament tief Dunkelblau, Wolkenwände in Rosa türmen sich dramatisch am Horizont auf.
Und wieder hinauf. Oben, links ab! Den grünen Radweg-Pfeil, der hier unser Bodensee-Königssee-Schild ersetzt, hätten wir fast übersehen. Wir sausen bergab.
Am Schloss Syrgenstein vorbei
Unten im schon schattigen Tal der ruhig dahinfließenden Obere Argen weist mich meine Frau auf das Schloss Syrgenstein hin, dessen Einfahrt ich überflogen habe. Zu gerne hätte sie sich vom Grafen auf einen Tee einladen lassen.
„Das macht er manchmal, wenn Leute an seiner Pforte klingeln. Ja, hab ich gelesen.“ Auf meiner Komoot-App, auf die ich den kompletten Radweg-Verlauf aufgespielt habe, kann ich erkennen, dass unser „Hotel zur Rose“ in der Nähe sein muss.
„Vielleicht dort oben“, vermutet meine Frau und zeigt hinauf zu den prächtigen Häusern, die – noch von der Sonne beschienen – oben an der Steilwand kleben. Was mussten wir auch ein Hotel mit Aussicht aussuchen, knurre ich in mich hinein. Jetzt auch noch schieben!
Tag eins geschafft
Mit pochenden Herzen kommen wir oben direkt am Dorfplatz an. Ein plätschernder Brunnen in der Mitte, eine renovierte Kirche, zwei Wirtshäuser, bis unter den Giebel bemalt, stehen sich gegenüber.
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Freisitze mit Sonnenschirmen, wenig Gäste. Wir klingeln bei unserer Unterkunft, eine der wenigen, die wir vorgebucht haben. Unsere Räder soll ich im Schuppen einstellen. „Absperren braucht ihr sie nicht“, sagt unser Gastgeber. „Die Stallhasen passen auf euere Räder auf.“ Siegerbier!
Herrlich wie das dunkle Gebräu ins Glas bollert und der Schaum eine Krone bildet. Prost auf Tag 1, das Abenteuer Bodensee-Königssee beginnt gut.
Tag 2: Eglofs – Nesselwang, 89 km
Eine Kirche nur für uns
Allein das üppige Frühstück ist die Übernachtung hier oben wert. Über den steilen Stich, im Winter Rodelbahn der Dorfjugend, fliegen wir hinunter ins Tal. Und merken uns: Es macht Mühe, bringt aber Vorteile, zur Übernachtung ein hochgelegenes Haus anzusteuern.
Die Blicke in der Abendstimmung sind genial, die Abfahrten am Morgen auch.
Nun schwingt der Weg dahin. Über Altenburg und Röthenbach, wieder bergauf. Unser Plan, unterwegs Kirchen zu besichtigen, geht nicht auf: Viele Gotteshäuser sind eingerüstet.
Über Oberstaufen nach Immenstadt
In Oberstaufen wollen wir Einheimische nach dem weiteren Weg auf dem Bodensee-Königssee-Radweg fragen – sind aber Urlauber, die sich nicht auskennen. Später übersehen wir den Abzweig Richtung Immenstadt, weil das Schild nicht in Blickrichtung steht.
Folgen abschwingend dem Tal der Konstanzer Ach und stoppen in Salmas: Es riecht intensiv nach Holz, ein großer Schindelhersteller hat hier seine Sägerei. Neugierig drehen wir um. Und dürfen beim Sägen der Schindeln zuschauen, ein Handwerk, das wiederentdeckt wird, viele von üppig rankenden Rosen bedeckte Fassaden sind damit gedeckt.
Segler ziehen über den Alpsee. In Immenstadt genehmigen wir uns ein Eis. Über Rettenberg zieht es schräg die Hänge hinauf, der tief liegende Rottachsee verliert sich aus dem Blick. Oben auf den Anhöhen taucht St. Michael auf, die wohl schönste Dorfkirche des Allgäus.
Radfahrer in Mittelberg
In Oy-Mittelberg verschlingen wir Apfelkuchen und kurbeln gestärkt hinauf nach Mittelberg. Eine blendend weiße, frisch renovierte Kirche, ganz ohne Einrüstung!
Vergeblich rüttele ich an den Türen. Ein Nachbar weiß, wer den Schlüssel hat: Frau Zobel. Die sitzt mit ihrer Familie und Freunden im Garten beim Barbecue, springt aber erfreut auf, weil „zu uns nach Mittelberg nie Radfahrer hochkommen“.
Vor dem Portal drückt sie uns einen ellenlagen Schlüssel in die Hand. „Ihr seid die ersten, die rein dürfen. Offizielle Eröffnung ist am kommenden Sonntag.
Exklusive Kirchen-Besichtigung
Schaut alles an, schließt wieder ab. “Eine Kirche nur für uns, wir lassen die Zeit laufen, sind glücklich, schweigen, sind dankbar. Dann fliegen wir auf Nebenstraßen nach Maria Rain, reiten hinunter ins dunkle Tal der Wertach, queren die alte Römerbrücke, trudeln in Nesselwang ein, wo wir im Innenhof der alten Brauerei krossen Schweinebraten
und rauchiges Hausbier genießen.
Tag 3: Nesselwang – Füssen, 33 km
Schlösser und Regenbogen
Heute haben wir bewusst eine Kurzetappe auf dem Bodensee-Königssee-Radweg geplant, die ersten Tage waren schon eine Schinderei. Wenn auch mit lockeren Passagen dazwischen.
Entspannt rollen wir auf dem Bodensee-Königssee-Radweg Richtung Füssen, bis uns mitten in einem Wald ein Schild links Richtung Ruine Eisenberg lockt. Wir schieben unsere Packesel steil bergauf, streifen durch das Gemäuer der einst stolzen Burg, spielen Ritter und Adelsfrau, haben vom Aussichtsturm einen königlichen Blick über die Pfrontener Berge, sparen uns aber den Abstecher zur nahen Ruine Hohenfreyberg.
Wie Mountainbiker stoben wir den lichtdurchfluteten Blätterwald hinunter, kommen am Hopfensee vorbei, rollen in Füssen ein. Sehenswert soll der nahe Lechfall sein, aber es zieht uns magisch hin zu Ludwigs Märchenschloss.
Außergewöhnliche Sicht auf Schloss Neuschwanstein
„Wege Corona sin koi Chinesele do“, witzelt ein Wachmann und zeigt, wo wir die Räder abstellen können. Wir stapfen durch den Forst zur Marienbrücke hinauf. Dann das: Eine hundert Meter lange Menschenschlange.
Alle warten geduldig auf den Zutritt. Die schlanke Hängebrücke überspannt eine tiefe Schlucht und bietet einen erstaunlichen Blick auf Neuschwanstein. Doch wir drehen am Ende der Brücke nicht um wie alle anderen. Sondern folgen einer schmalen Pfadspur und steigen über Stufen, Kehren und Wurzeln zu einer Aussicht hinauf: ein grandioses Panorama, ganz privat.
Herberge als Paradies
Es dämmert, eine Gewitterfront rollt auf uns zu. Erste Tropfen prasseln auf den Helm, als ich am Weißensee das Garagentor unserer Herberge „Dreimäderlhaus“ öffne. Auf dem Tacho: bereits 130 Touren-Kilometer.
Geschmackvoll eingerichtetes Haus, nette Gastgeber. Glasfront zum See, über den sich ein gigantischer Regenbogen spannt. Tolle Dusche, straffes Bett für süße Träume, ein überragendes Frühstück mit regionalen Köstlichkeiten.
Schade, dass wir am Morgen dieses wunderbare Paradies verlassen müssen.
Tag 4: Füssen – Bichl, 97 km
Traum-Kirchen im Nirgendwo
In Füssen schlendern wir durch die malerische Altstadt, streifen oben im Hohen Schloss durch den Wehrgang, lassen den Blick über ein Meer roter Ziegeldächer schweifen.
Bis zum Forggensee und der barocken Kirche St. Coloman, die bei Schwangau mitten auf einem riesigen Feld steht. Nach dem gestrigen „Ruhetag“ wollen wir Strecke machen, müssen allerdings feststellen, dass es nach schnellen Passagen hinter Trauchgau länger durch Wälder mit feuchten Wegpassagen geht, einmal sogar durch ein Bachbett
mit nassem Gegenhang, an dem wir unsere Räder schnaufend schieben müssen.
Wieskirche bei Steingaden
Weiter läuft es hurtig durch den Wald, wo uns – zum dritten Mal – zwei Schweizer auf schnellen E-Bikes überholen. Ja, auf diesem Fernradweg trifft man oft die selben Leute wieder, tauscht sich aus, trinkt im selben Biergarten zusammen Apfelschorle.
Schließlich öffnet sich der Wald: In einer langen Linkskurve zieht unser Weg auf eine weite Wiese hinaus. Was für ein grandioser Ausblick: Mitten im Nirgendwo, die berühmte Wieskirche bei Steingaden, ein wahrer Kirchenschatz.
Was für ein Glück: Coronabedingt fahren keine Reisebusse den Großparkplatz unterhalb der Kirche an. Kaum ein Dutzend Besucher streifen schweigend durch das prächtig ausgestaltete Kirchenschiff. Sonst sollen es eine Million Besucher pro Jahr sein.
Sightseeing auf dem Bodensee-Königssee-Radweg
Kopf in den Nacken, wir verlieren uns im Deckengemälde. Schau, dort, die Himmelspforte, am Altar das Gnadenbild des Gegeißelten Heilands, in einem Seitengang Votivkerzen, mit Tusche gemalte Dankesschreiben.
Ganz klar der kulturelle Höhepunkt der Tour. Dem Herrgott wird’s egal sein, dass unsere Schuhe von den Matschpassagen im Wald ziemlich verschmutzt sind.
Nun ziehen schmale Asphaltwege durch Wälder und Auen – hell, dunkel, hell. Dann öffnen sich Lichtungen. Bald ist Bad Kohlgrub erreicht. Und ab Grafenaschau das kargschöne Naturschutzgebiet des Murnauer und später des Eschenloher Moos.
Freilichtmuseum Glentleiten
Seltene Gräser wiegen im Wind. In einem Café in Ohlstadt treffen wir unseren Freund Uwe. Im strömenden Regen ziehen wir hinauf zum Freilichtmuseum Glentleiten, dem größten Freilichtmuseum Südbayerns. 60 originalgetreu
wiederaufgebaute Bauernhöfe erwarten die Besucher.
Kurz zieht der Regenvorhang auf und gibt den Blick frei auf den Kochelsee, tief unter uns und von der Sonne beschienen. Da Uwe in Bichl, einige Kilometer nördlich vom Kloster Benediktbeuern wohnt, führt er uns auf geheimen und einsamen Moorwegen dorthin. Es regnet Hunde und Katzen, hagelt sogar. Und meine Frau lacht. Galgenhumor?
Regenspaß auf dem Bodensee-Königssee-Radweg zum Abschluss
Uwe und ich schauen uns erstaunt an. Unsere Schuhe sind voll gelaufen, die Hosen längst pitschnass, in den Ärmeln der Regenjacken wabert Wasser, literweise. Sie ist glücklich, weil Uwe eine Waschmaschine samt Trockner besitzt, sie deshalb unsere Bekleidung komplett durchwaschen kann und im Wohnzimmer ein wärmender Grappa auf sie wartet.
Bestimmt auch zwei.
Tag 5: Bichl – Großholzhausen, 89 km
Tölzer Land, Seen und Moore
Schnell sind die Packtaschen an die Träger gehängt. Kurz streichelt meine Frau über ihren Sattel. An beiden Bikes haben wir unsere bewährten Sättel von SQlab montiert, die wir stets auf Radreisen einsetzen.
Hat sich gelohnt. Einige Kilometer müssen wir nun einem Radweg links neben der vielbefahrenen Bundesstraße folgen. Ziemlich ungewohnt, die Tage zuvor waren wir mehr auf ruhigen Nebenstraßen unterwegs, in stillen Wäldern, auf einsamen Wirtschaftswegen. Dann beschleunigen wir das Tempo.
Wir sausen hinunter ins breite Isartal, kurbeln durch das verlassene Kurgebiet von Bad Tölz, queren auf einer breiten Brücke die grün-weißlich schäumende Isar.
Am Gegenhang dicht gedrängt das alte Tölz. Mittig windet sich die Marktstraße hinauf. Staunend schieben wir unsere Räder durch den „schönsten Festsaal des Oberlandes“, vorbei an Giebelhäusern aus dem 18. Jahrhundert.
Ihre Fassaden sind oberbayerischen Bauernhäusern nachempfunden und voller Lüftlmalerei.
„Schade, dass wir den Bullen von Tölz nicht gesehen haben. Das wär’s gewesen“, lacht meine Begleiterin beim Rückblick auf Bad Tölz. Über Marienstein steuern wir jetzt dem Tegernsee entgegen.
Bald können wir rechter Hand erste Blicke auf ihn erhaschen, bleiben stehen, genießen. Dann fauchen wir hinein nach Gmund. Hier am nördlichen Ende des Tegernsees geht’s hektisch zu. Autos stauen sich hunderte Meter vor einer Kreuzung.
Kaum ein Durchkommen mit packtaschenbreiten SUV-E-Bikes, die sich als richtige Wahl erwiesen haben: Fahreigenschaften wie ein Mountainbike, aber ausgestattet wie ein Tourer.
Sowohl das Rad meiner Frau – ein vollgefedertes Kettler Quadriga mit starkem Bosch CX-Motor und Dualakku mit üppigen 2 x 625 Wh Kapazität – als auch mein vollgefedertes Husqvarna Cross Tourer CT6 FS – ausgestattet mit Shimano Steps E8000-MTB-Motor und integriertem 630-Wh-Akku – besitzen Lichtanlage, Ständer, Schutzbleche und Gepäckträger.
Grün. Jetzt rechts … und gleich wieder links. „Da hinauf?“, schreit meine Süße entsetzt. Das ist keine Straße, sondern eine Rampe! „Turbo“, ruft sie noch und zieht ab.
Mehrere Bodensee-Königssee-Radler staunen ihr nach. Schiebend, Schweiß auf der Stirn. Mein Herz pocht auch, aber alles im grünen Bereich. Dreht euch mal um! Wie schön der Tegernsee glitzert!
Weitere 100 Höhenmeter zieht die Straße hinauf zum Wallenburger Kogel. Fröhlich rufen wir wiederkäuenden Kühen „Grüß Gott“ zu, fegen freudig hinab in die nächste Senke, ziehen vorbei an prächtigen Gehöften.
Standortbestimmung im Tal bei Hausham: Ok, jetzt Richtung Schliersee. Wir folgen einer schmalen Anliegerstraße, an deren Rand uns die rauschende Schlierach entgegenballert. Ungestüm, als wolle
sie gleich aus ihrem Bett springen.
Schliersee, Stopp bei Radsport Rebel. Der schnauzbärtige Florian zieht Schrauben
nach, tupft Öl … bis nichts mehr quietscht. Unser Timing lässt es leider nicht zu, aber im Strandbad soll’s knusprige Spareribs und Thai-Spezialitäten geben.
Wir folgen dem Uferweg, lassen das Markus-Wasmeier-Freilichtmuseum links liegen, kreuzen
eine Straße, die zum Spitzingsee hinaufführt – Lieblingsgebiet der Münchner.
Oberbayern-Idylle beidseits der Aurach und Leitzach: blumenbetupfte Wiesen, weidende Kühe auf halbkugeligen Hügeln, bekränzte Wegkreuze, imposante Holzhäuser, zackige Bergspitzen am Horizont, strahlender Himmel in Weiß-Blau.
Toll, wie es nun bergab kachelt … unten in der Ebene sehe ich schon erste Häuser von Au bei Bad Aibling. Yuhu, ich komme. 55, 60, 64 km/h … laufen lassen. Bis es hinter mir schrill „Stoooop“ schreit.
Voll in die Eisen. Dort, weit oben, eine fuchtelnde Frau. Also zurück, Gott sei Dank hab ich einen
E-Antrieb. Jaaa doch, den riesigen, vom dortigen Anlieger selbst gepinselten Aufsteller „Zum Bodensee-Königssee Radweg“ – mit fettem Pfeil nach rechts – kann
man nicht wirklich übersehen.
„Die Größe des Schilds beweist, dass ich nicht der erste bin, der vorbeifährt“, murmele ich. Etwas kleinlaut. Sorry Süße.
Wir stoppen an offenen Kuhställen, lachen über Kälbchen, die an unseren Fingern schlecken, Streuobstwiesen schwingen vorbei. Nun folgen wir brav grünen Radweg-Pfeilen, die zickzack durch Moorwiesen führen.
Schau, andere BoKö-Radler laufen beim barocken Laurenzi-Kirchlein von Wiechs in ein schönes Gasthaus ein, mit Biergarten und Sonnensegel. Die haben reserviert. Wir nicht, wollen doch ausprobieren, ob es auch spontan geht.
Wir schätzen unsere Chance, einen Übernachtungsplatz zu finden, größer ein, wenn wir die Hauptroute verlassen. Volltreffer: In Großholzhausen hat das Gasthaus Kellerer noch Zimmer frei. Günstig, gepflegt. Gutes Zeichen: Hier essen Einheimische, der Chef steht am Herd. Das
Abendessen ist köstlich, das Frühstück top.
Das Kreditkarten-Lesegerät wird desinfiziert, bevor ich meine Pin eintippe. Klasse.
Tag 6: Großholzhausen – Piding, 112 km
Chiemsee, funkelndes Salzburg
Auf zum Chiemsee, über 100 Kilometer, die Königsetappe! In Kirchdorf am Inn queren
wir den majestätischen Inn. Biegen rechts ab, folgen dem alten Treidelweg Inn-aufwärts.
Falsch, wir müssen links hoch. Dorthin wo das weiße Schloss den blauen Himmel berührt. Markt Neubeuern darunter – ein Kleinod: Einfahrtstor, verzierte Häuser, Freisitze, Marktplatz.
Eine Dorfschöne stöckelt mit High Heels übers Pflaster. Wir kurven durch Gassen, vorbei an Butzenhäuschen, hinaus ins freie Land. Schau, wie sich die armen Autofahrer auf der Autobahn Richtung Salzburg stauen.
Bei Frasdorf biegen wir südlich ab, Richtung Berge. Und rollen – von der schroffen Kampenwand magisch angezogen – ins verschlafene Aschau im Chiemgau.
Hier ist die Welt noch in Ordnung. Massivholz-Häuser, Balkon-Bollwerke, Wolken von Geranien davor, Hagelschutz darüber. In der Pfarrkirche mit seinen markanten Doppeltürmen zünden wir Kerzen an.
Über uns eine schöne Madonnenfigur aus dem 17. Jahrhundert. Unter ihrem schützenden Mantel drängen sich die Vertreter aller Stände, Rosenkränze in den Händen.
Zuerst Bernau am Chiemsee – protzige Autos mit Münchner Kennzeichen vor mächtigen Häusern im Landhausstil, versteckt hinter hohen Hecken – dann die öffnende Weite des Chiemsees. Nach 350
Kilometern Untätigkeit kommt endlich die Badematte zum Einsatz: Wir lümmeln auf
dem Uferrasen, knabbern Nüsse.
Eisschleckende Spaziergänger, Bikinis und Badehosen, Teenager tänzeln durchs seichte Wasser. Zwei Stunden Pause.
Und wieder los: auf einer Schotterpiste vorbei am Torfbahnhof Rottau. Gerade rollt Lok Moli ein.
Die kleine Schmalspurbahn brachte einst Torf aus der Region Kendlmühlfilzen hierher zur Verladestation.
Heute tuckert sie mit johlenden Kindern durchs Moor.
Kurz nach Grassau, auf der hypermodernen Bogenbrücke über die Tiroler Ache. Neben dem Radweg steigen Hänge steil in Höhen. Flott läuft’s dahin. Bis plötzlich ein alter Holzhänger durchs Bild huscht.
Stopp mal! Die Fuhre mit den Fichtenholzröhren gehört zu den kleinen Gebäuden, die das Museum Klaushäusl bilden. Hier kann man eine alte Pumpstation für Sole besichtigen, Technik bestaunen.
Um das kostbare Salz aus Bad Reichenhall sieden zu können – auch weil das Brennholz für die Sudpfannen rundum Mangelware wurde – baute man ab 1617 eine Soleleitung aus Holzröhren ins nördliche Traunstein.
Später bis Rosenheim. 100 Kilometer lang, über alle Berge, in Betrieb bis 1958.
Am Ortschild von Traunstein: „Lust auf Eis?“, säuselt meine Frau. Und biegt ohne Vorwarnung von der idyllisch durch die Stadt fließenden Traun ab. Ich folge widerstandslos hinauf zum Stadtplatz.
Sie rein ins Eiscafé Cortina. Ich schaue mich gerade nach einer Lademöglichkeit für mein Husqvarna um …, schon steht sie strahlend vor mir – mit zwei mächtigen Eisbechern.
Hmhh, cremig. Ein Genuss, ein Muss. Gut, dass ich meinen Akku nachgetankt habe, meine Frau hat nicht mal die Hälfte verbraucht. Im stetigem Auf und spaßigen Ab gleiten wir durch die wunderschöne
Kulturlandschaft des Rupertiwinkels.
Seine markanteste Erhebung: der Högl, kurz vor Salzburg. Südlich schließt dann das Berchtesgadener Land an, morgen kann meine Heldin ihre Zehen in den Königssee stecken.
Telefonat mit dem Geheimtipp: Berggasthof Johannishögl. „Klar haben wir noch Zimmer frei. Wir sind auch etwas weiter weg vom Radweg“, tönt es aus dem Smartphone, in bayrisch-sonorem Bass.
Südlich von Teisendorf beginnt eine schöne Wegpassage. Wir folgen einer Schotterpiste, queren Wälder, kurven um den Höglwörther See, statten dem dortigen Augustinerkloster einen Besuch ab.
Der lauschige Biergarten nebenan wär’s gewesen, aber wir sind spät dran. Mit Turbo hoch nach Anger, mitten durch die hübsche Marktgemeinde, die auf einem Hügelrücken thront.
Kurz vor Piding: Nun müssen wir querab links. Und hinauf, drei Kilometer. Högl hört sich nach Hügel an, erweist sich aber als Berg – ich fürchte, dass mir der Saft ausgehen wird.
Vier Kilometer Restreichweite, dann rasch 3, 2, 1, aus. Meine Frau hat noch 38 Prozent Restkapazität im Tank. Bei meinem: Flasche leer. Während sie mit Bedauern wieder aufsattelt, um unser Zimmer
und die Rad-Garage klar zu machen, drücke ich mein flügellahmes E-Bike durch den zunehmend düstereren Wald.
Schritt für Schritt, schnaufend, Schweiß tropft von der Nase. Dann lichtet sich der Wald, gibt den Blick frei. Auf der Kuppe eine weiße Wallfahrtskirche, von der weichen Abend sonne bestrahlt. Im Berggasthof Johannishögl genießen wir unter Kastanien dunkles Bier und bayerische Schmankerl, unsere Tischdecke das funkelnde Salzburg.
Tag 7: Piding – Königssee, 38 km
Tief im Berg, Hochgefühl am See
Was für ein Panoramablick beim Frühstück: aufs Inntal, auf Salzburg, zu den Berchtesgadener Alpen, faszinierend. Die letzte Etappe. Der Watzmann ruft.
Salz hat Bad Reichenhall reich gemacht: Prächtige Bürgerpalais, Kurpark, Fußgängerzonen, Lokale mit Freisitzen. Richtung „Alte Saline“. Mittelpunkt des imposanten Backstein-Ensembles aus Sudhäusern und Salinenverwaltung – erbaut von König Ludwig I. von Bayern, heute Industriedenkmal – ist das Hauptbrunnhaus.
Unserem Guide folgend, schrauben wir uns über Wendeltreppen hinunter in ein Labyrinth feuchter Stollen, bestaunen die Salzgrotte und den unterirdischen Quellenbau. Wieder draußen in der Wärme schwebt wenig später über uns die älteste, noch im Originalzustand fahrende Seilbahn der Welt – erbaut in den 1920er Jahren – dem Predigtstuhl entgegen.
Von seinem Gipfel aus soll sich ein großartiges Alpenpanorama bieten: auf Watzmann und Wilden
Kaiser. Jetzt keine 25 Kilometer mehr bis Berchtesgaden. Wir fotografieren uns an einem urigen, plätschernden Holzbrunnen, Watzmann im Hintergrund, albern herum.
Den tosenden Verkehr nebenan überhören wir. Wollen wir wieder los? Ok, Wiegetritt! Wir werden zügiger, euphorischer. Das Ziel ist zum Greifen nah. Berchtesgaden. Und durch. Morgen kommen wir ja wieder.
Schließlich wollen wir vier Tage in der Region bleiben – Mountainbiken, am Obersalzberg oben beim
„Windbeutelbaron“ über den Riesenwindbeutel „Watzmann“ mit Sauerkirschen, Sahne und Vanilleeis herfallen, die spektakuläre Aussicht von der Sonnenterrasse genießen.
Raus aus der Altstadt. Runter zur schäumenden Berchtesgadener Ache. Rüber zum Bahnhof. Halb um den Kreisel herum … dort, am rechten Parkplatzrand des Drogeriemarkts, beginnt der Achenweg.
Der in den Königsseer Fußweg übergeht, für Radfahrer frei.
Im Trab über eine Holzbrücke, im Galopp vorbei am Campingplatz. Jetzt gibt’s kein Halten mehr, Zügel frei. Beim „Königsseer Hof “ rechts, rein in die Seestraße, Fußgängerzone, sonst proppenvoll,
nun verwaist wegen Corona.
Und da liegt er … unser Königssee. Still und erhaben. Smaragdgrün. So ersehnt. Wir klatschen ab. Dicke Umarmung. Statt 453 Kilometer stehen letztendlich 520 auf dem Tacho. Schuhe aus. Das Wasser ist kristallklar … aber sakrisch kalt.
Was für eine Radtour. Ja, schon ambitioniert, aber mit E-Bikes gut zu meistern … der beste Urlaub, den wir je gemacht haben. Prädikat: Nachahmenswert.