Spezialräder: Diese Fahrräder für Menschen mit Handicap bietet der Markt
Therapie- und Reha-Räder: Eine Marktübersicht der Spezialräder mit E-Motor
Spezialräder: Diese Fahrräder für Menschen mit Handicap bietet der Markt
in Test & Teile
Eingefleischte ElektroRad-Leser kennen sie: Ida aus Regensburg. Das Mädchen hat eine seltene Krankheit, fällt daher mehrmals am Tag in eine Art Sekundenschlaf.
Diese besondere Form der Epilepsie bedeutet für die heute 14-Jährige, dass sie nicht wie andere Teenager in ihrem Alter Fahrrad fahren darf.
Spezialräder: Eine Marktübersicht
Liebevolle Sticheleien ihrer beiden Brüder waren deshalb an der Tagesordnung. Bis ihre Mutter eines Tages das Stufentandem Pino von Hase entdeckte. Ida kann nun vorn auf dem Liegesitz Platz nehmen, während ihre Mutter hinter ihr auf dem Fahrradsattel sitzt und das Rad steuert.
Treten können beide, wie jedes Tandem hat das Pino zwei Kurbeln. Und weil Ida mitten im Wachstum steckt, wächst auch das Pino mit. Denn Hersteller Hase hat einige Anbauteile konzipiert, die sich auf die unterschiedliche Körpergröße der Mitfahrenden anpassen lassen.
25 Jahre Hase Bikes: Spezialräder für die ganze Welt
Die Waltroper Liegerad-Pioniere sind nicht die einzigen, die Menschen mit Mobilitätseinschränkung die Freude am Radfahren ermöglichen. Hase und die anderen verbindet eins: Sie zeigen sich höchst innovativ, kreativ und flexibel, um für fast jede Form der Behinderung eine individuelle Lösung zu finden.
Fahrrad auf Rezept
Auch der Gesetzgeber erkennt den Nutzen des Fahrradfahrens für in der Mobilität eingeschränkte Menschen an. Vor allem Kinder erhalten Förderungen.
So gibt es so genannte Therapieräder, die eine Hilfsmittelnummer haben. Ärzte können Kindern bis 15 Jahren ein solches Rad quasi auf Rezept verschreiben. Auch Erwachsene können unter Umständen ein Therapierad über die Krankenkasse zumindest teilweise gefördert bekommen.
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Dreiräder, Handbikes und Tandems helfen aber auch vielen anderen Menschen mit Einschränkungen, die nicht förderberechtigt sind. Senioren, die sich nicht (mehr) trauen, ein klassisches Fahrrad zu fahren gehören dazu. Auch Menschen mit akuten oder chronischen Leiden des Bewegungsapparats oder des Herz-Kreislaufsystems.
Motoren aus der Pedelec und E-Bike Welt
Seit Pedelec-Motoren elektrische Unterstützung bereitstellen, ist diese Art der Fahrräder noch einmal deutlich vielseitiger geworden. Nun können diese Fahrzeuge noch gezielter zu Heilzwecken eingesetzt werden.
Die Kategorie der Drei- und Therapieräder sind ebenso vielseitig wie herkömmliche Fahrräder. Herzerwärmend ist etwa die Geschichte von Nikki und Kevin Garwood aus Johannesburg. Die beiden nahmen mehrfach an Ironman-Veranstaltungen teil und kamen gemeinsam ins Ziel.
Begriffserklärung: Unterschied zwischen E-Bikes und Pedelecs
Vater Kevin zog seinen an zerebraler Kinderlähmung leidenden Sohn beim 3,8 Kilometer langen Schwimmen in einem Boot hinter sich her, schob ihn beim abschließenden Marathonlauf in einem speziellen Buggy. Auf der 180 Kilometer langen Radstrecke saß Nikki – so wie Ida aus Regensburg – vorn auf einem Hase Pino-Tandem.
Handbike-Rennen sind heute paralympische Sportart und Teil einer jeden großen Marathon-Veranstaltung. Es sind aber nicht nur die sportlichen Höchstleistungen, die solche Räder so wertvoll machen.
Spezialräder: das Trike von HP Velotechnik
„Nach meinem Kreuzbandriss wäre ich nie so schnell wieder fit geworden, wenn ich mich nicht mithilfe des E-Dreirads und einer verkürzten Kurbel ganz sanft auf die Bewegung hätte einstellen können“, sagt etwa Gerhard Mantel, der sich auf einem Trike von HP Velotechnik wieder ans Radfahren herangetastet hat.
Heute fährt er wieder alpin Ski und klassisches Pedelec. „Das E-Trike aber möchte ich nicht mehr missen.“ Apropos verkürzte Kurbel: Dies sind Spezialkomponenten, die es nicht von der Stange gibt. Alle Hersteller solcher Sonderräder arbeiten hier sehr eng mit ihren Händlern und deren Kunden zusammen.
Familienunternehmen Wulfhorst
„Ohne diesen direkten Draht, auch hier bei uns im inzwischen mehr als 100 Jahre alten Fahrradladen, wären wir gar nicht in der Lage, all das zu überblicken, was unsere Kunden wünschen“, sagt René Teismann, der das Familienunternehmen Wulfhorst aus Gütersloh in vierter Generation führt.
Die ersten Spezialdreiräder baute sein Urgroßvater, der Firmengründer Karl Wulfhorst, nachdem er wegen einer Kriegsverletzung aus dem Ersten Weltkrieg nicht mehr Fahrrad fahren konnte.
Draisin setzt auf engen Austausch mit Kunden
Auch bei Draisin im baden-württembergischen Achern pflegt man seit der Firmengründung 1992 einen engen Austausch mit seinen Kunden.
„Ein unersetzliches Feedback, um die Weiterentwicklung auf jegliche spezifische Anforderungen immer weiter voranzutreiben“, weiß Geschäftsführer Martin Kux zu berichten und unterstreicht damit die Wichtigkeit einer permanenten Produktoptimierung.
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Spezialräder bringen ihren Nutzern Freiheit. Ein komplett elektrisch bewegtes Seniorenmobil etwa wäre nichts für Gerd Bayer. Er ist mit seiner Frau lieber mit einem Paralleltandem unterwegs: „Die leichte Bewegung tut mir gut. Ich bin an der frischen Luft und erhalte gleichzeitig meine Beweglichkeit.
Inzwischen kann ich wieder kurze Strecken zu Fuß gehen. Das bringt schon sehr viel für mich“, sagt der Bielefelder im Interview in der ElektroRad Ausgabe 4/2021. Über die Initiative „SattelBar“ nutzt er regelmäßig Fahrräder von Van Raam und Draisin.
Hohe Anschaffungskosten für Spezialräder
Ein eigenes Rad haben er und seine Frau (noch) nicht. Denn das ist die Kehrseite der hochindividuellen Fahrräder für behinderte Menschen: Sie sind nicht gerade Schnäppchen.
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Schon ein einfaches Dreirad von Hase, HP Velotechnik oder Wulfhorst, kostet ab etwa 2000 Euro – ohne Motor. Ein Paralleltandem von Draisin beginnt bei rund 6500 Euro, mit Motor sind mindestens 9600 Euro fällig. Doch warum sind diese Bikes so vergleichsweise teuer?
Aufpreisliste ist lang
Da sind zum einen die geringen Stückzahlen. Wulfhorst etwa baut seine Dreiräder und Tandems direkt am Gütersloh. Anders als die großen Fahrradmarken, die weltweit Hunderttausende Räder verkaufen, dabei oft auf Großserienprodukte zurückgreifen, sind es bei den Westfalen wenige Hundert, die pro Jahr über den Verkaufstresen gehen.
Zwar setzen auch die Spezialradhersteller wo es möglich ist auf etablierte Bremsen, Schaltungen, Vorbauten, Reifen und Co. Um sie mit ihren Rädern kompatibel zu bekommen, braucht es aber nicht selten Spezialteile wie besondere Schaltaufhängungen oder Kettenführungen.
Individuelle Zusammenstellung der Spezialräder
Dazu kommen die individuellen Besonderheiten. Hase etwa hat eine Pendelkurbel entwickelt. „Damit können Menschen pedalieren, auch wenn sich ein Bein weniger stark beugen lässt als das andere“, erklärt Hases Reha-Bike-Experte Dario Valenti. Ähnlich wirken verkürzte Kurbeln, die es ebenfalls nicht von der Stange gibt.
Vermeintlich einfache Anbauteile wie Halter für Gehhilfen werden fortlaufend optimiert. „Wenn ein Kunde etwa Probleme hat, vom Rad aus die Gehhilfe zu greifen, dann erarbeiten wir mit ihm gemeinsam eine Lösung, die im besten Fall ins allgemeine Programm aufgenommen wird“, erklärt Alexander Kraft von HP Velotechnik.
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Im Umkehrschluss kann es aber auch bedeuten, dass eine optimale Lösung nur für diesen einen Anwender passt. Wie die Fortentwicklung läuft, ist zu Beginn einer Anfrage oft nicht abzusehen. Auch das macht die Räder schwer zu kalkulieren und hebt den Anschaffungspreis.
Ergebnis: Unbezahlbar
Ans Aufgeben aber denken die Hersteller nicht. Denn – bei aller notwendigen Wirtschaftlichkeit – es sind die Ergebnisse, die auch die Entwickler, Techniker und Verkäufer von Spezialräder nicht kalt lassen: Das kindliche Lachen von Ida und Nikki beim Radfahren, die Freude von Gerd Bayer, der trotz einer Mehrfachbehinderung die Natur genießen kann, und die Erleichterung von Gerhard Mantel, schon bald nach seinem Kreuzbandriss wieder aktiv Ski fahren zu können.
So werden Therapieräder gefördert
Bei Kindern ist die Erstattung eines Therapierads durch die Krankenkasse in der Regel leichter als bei Erwachsenen. Denn behinderte Kinder sind oft nur durch die Spezialräder in der Lage, an Aktivitäten Gleichaltriger teilzunehmen.
Erwachsene bekommen die Förderung vielmals mit der Begründung verweigert, das Radfahren sei kein Grundbedürfnis. Einen Einspruch gegen einen solchen Bescheid der Krankenkasse einzulegen, kann sich aber lohnen.
Der VdK etwa nennt das Beispiel einer Frau, die seit ihrer Geburt an einer Tetraspastik leidet. Für die Ersatzbeschaffung eines Dreirads beantragte sie die Kostenübernahme bei ihrer Krankenkasse. Die lehnte ab, die Frau zog vor Gericht. Sie bekam Recht. Das Gericht bestätigte zwar, dass Radfahren kein Grundbedürfnis ist.
In diesem Einzelfall aber sahen die Richter das Fahrrad als medizinische Rehabilitation, die bei der Frau dafür sorgt, einen drohenden Verlust der Gehfähigkeit zu verhindern. Die Kasse musste zahlen.
Bei Kindern, die weder Auto noch sonstige führerscheinpflichtigen Fahrzeuge führen dürfen, gehört das Radfahren hingegen zum
Grundbedürfnis einer ungehinderten Mobilität.
Rezept und Kostenvoranschlag
Um eine Förderung zu beantragen, bedarf es eines Rezepts. Das stellt der behandelnde Arzt aus. Zudem ist ein Kostenvoranschlag und ein Erprobungsbericht des Therapierads nötig.
Hase empfiehlt obendrein in einer ausführlichen Artikel-Serie auf Hasebikes.com ein persönliches Schreiben, in dem die Antragsteller auf die spezifischen Bedürfnisse des Kindes eingehen.
Auch eine Stellungnahme des Arztes und des Therapeuten könne hilfreich sein. Bei Erwachsenen spiele das Maß des Notwendigen eine große Rolle, schreibt Van Raam
in seinem Leitfaden für den Antrag auf Förderung.
Dieses Maß zu finden, ist gar nicht so leicht. Schließlich begründet meist eine Einzelfallentscheidung, was laut Sozialgesetzbuch notwendig ist.
Daher empfiehlt Van Raam, einen Förderantrag für Spezialräder akribisch vorzubereiten. Beim Händler der Wahl sollte frühzeitig eine Beratung erfolgen, welches Rad überhaupt in Frage kommt. Wichtig hierbei: Viele Therapieräder haben eine Hilfsmittelnummer. Das erleichtert eine mögliche Kostenübernahme, ist aber keine Garantie.
Stellungnahme des Arztes einholen
Ebenso können auch die Kosten von Rädern übernommen werden, die keine Hilfsmittelnummer haben. Die Entscheidung liegt in jedem Fall in den Händen des Sachbearbeiters der Krankenkasse.
Um diesem die Entscheidung für eine Förderung so leicht wie möglich zu machen, lohnt es sich auch bei Erwachsenenrädern, eine
fundierte medizinische Stellungnahme des behandelnden Arztes dem Antrag beizufügen.
Auch auf dem Rezept sollte möglichst genau vermerkt sein, wofür das Rad benötigt wird und welchen medizinischen und therapeutischen Zweck es erfüllt. Fotos und Videos mit und ohne Therapierad helfen ebenso, den tatsächlichen Bedarf zu belegen. Das Timing ist bei der Antragstellung ebenfalls wichtig.
Erster Schritt zu Spezialrädern: das Rezept
Denn auch wenn die Beratung bei einem Händler für Spezialräder oft der erste Schritt ist, sollte das Rezept für ein solches Fahrzeug immer das älteste der eingereichten Dokumente sein. Beratungsprotokolle, Kostenvoranschläge, Stellungnahmen jeglicher Art sollten also erst nach dem Rezept datiert sein.
Spezialradhersteller und -händler geben ihren Kunden meist gerne Hilfestellung im Antragsdschungel.