Gepäck am Rad: Packtaschen oder Bikepacking?
Alles dabei? Tipps rund um Packtaschen
Gepäck am Rad: Packtaschen oder Bikepacking?
in Service
in Service
Hey, you must be Germans! Ihr müsst Deutsche sein! Euch erkennt man immer an dem vielen Gepäck!“ So freundlich und mit breitem Grinsen wird man gelegentlich in der Welt von britischen Radreisenden begrüßt. „Wir fahren immer reduziert“, geht die Klischee-Kutsche lachend weiter. „Eine Radhose, ein Trikot, dazu eine Hose, eine Unterhose und ein Hemd für die Stadt. Kann man alles wieder waschen. So sind wir leichter und besser unterwegs“, endet die mit britischem Understatement ausgeführte Klassifizierung in Sachen Reduzierung aufs Wesentliche.
Egal, ob sieben Sachen oder siebzig. Wer mit dem Rad unterwegs ist, benötigt ausreichend Möglichkeiten, seine Ausrüstung zu transportieren. Je nach Einsatzzweck, Reisedauer und Reiseziel mit unterschiedlich großem Stauraum. Fahrradtaschen gibt es für alle Bedürfnisse.
Von Anfang an
Die ersten speziellen Fahrradtaschen kamen vermutlich parallel zur Entwicklung des Fahrrades auf den Markt. Das Velociped war damals sehr populär und wurde gerne schon für längere Ausflüge genutzt. Die Taschen waren aus Segeltuch, auch Canvas genannt, genäht. Das kräftige Gewebe aus Naturfasern ist so dicht gewirkt, dass Wasser nicht oder nur schwer eindringt. Auch heute ist der robuste Stoff noch sehr beliebt und wird gerne in klassischer Optik verarbeitet. Gewachst oder ähnlich imprägniert werden sie zusätzlich wasserabweisend. Gewachste Baumwolltaschen werden gerne mit klassisch englischem Radreisestil verbunden.
Gute Begleiter: Reiseräder und Randonneure im Test
Siegeszug der Planentaschen
Dennoch, einem gewissen Hartmut Ortlieb haben die eben doch nicht ganz wasserdichten Packtaschen auf einer verregneten Englandreise Anfang der 80er-Jahre einen nassen Schlafsack und schlaflose Nächte beschert. LKW-Plane brachte ihn schließlich zu einer kreativen Lösung. Mit Rollverschluss und verschweißten Nähten wurden die Taschen dann nicht nur wasser-, sondern auch noch staubdicht. Das Ergebnis, auch von ständiger Weiterentwicklung, hängen heute viele, viele Radfahrer an ihre Fahrräder. Eine moderne Adaption der Gewebetaschen besteht häufig aus robusten, abriebfesten Nylongeweben. Nicht selten sind diese Taschen zusätzlich innen versiegelt.
Stoff oder Plane
Wasserdicht oder nicht, das beschäftigt seitdem die Radreisegemeinde. Fans haben beide. Vorzüge – und Nachteile – auch. In den Planentaschen bleiben trockene Sachen zwar trocken, feuchte aber auch feucht. Das Binnenklima entwickelt sich entsprechend und mit ihm möglicherweise auch die Schimmelflora. Ein gutes Vortrocknen, dicht einpacken oder gelegentliches Lüften sind angeraten. Baumwolltaschen können dagegen „atmen“, lassen die Feuchtigkeit aber eben auch nach innen. Zudem kann es passieren, dass das Gewebe selbst anfängt zu stocken, wenn das Klima durchweg feucht bleibt. Eine Krux, die ohne Kompromisse keine Lösung bringt. Einer ist, die Stoff-Taschen von außen zu verhüllen. Das hält sie nicht nur trocken, sondern meist auch sauber vom Schmutz der Straße. Gerade Hotelreisenden ist es oft wichtig, sauber in die Lobby zu treten. Ein weiterer Kompromiss, in den Canvas-Taschen zusätzliche Plastikbeutel zu verwenden. Das hilft zudem bei der Ordnung und Übersicht, was für alle Packer sinnvoll ist. Denn Sachen-Suchen ist ein beliebtes Hobby von Reiseradlern. Das bringen tiefe, dunkle Taschen leider mit sich. Unabhängig von Machart und Hersteller. Wer kleine Pakete in farbige Packbeutel packt, behält die Übersicht: Unterwäsche in den einen, Trikots in den anderen. Weitere Hilfen für eine übersichtliche Aufteilung können zusätzliche kleine Außentaschen bieten.
Europäisch reisen
In Europa behängt man klassischerweise ein Trekking- oder Reiserad mit Packtaschen mit Roll- oder Deckelverschluss und nutzt dafür Heck- und Frontträger, sowie den Lenker. Für Alltag und Kurztrips kommen als erste Wahl ein bis zwei Taschen für den Gepäckträger zum Einsatz, im nächsten Schritt ergänzt um eine Lenkertasche. Wer eine längere Reise plant, hängt an den Vorderradträger, den Lowrider, seines reisetauglichen Rades zwei weitere, meist kleinere Taschen. Zusätzliches Gepäck, oder sogar ein Koffer kommen ebenfalls auf den Gepäckträger.
Amerikanisch reisen
Vor allem mit den Gravelbikes kommt das Bikepacking als Trend zu uns. Seinen Ursprung hat es bei Mountainbikern in Nordamerika, die ihr Rad gerne für längere Touren oder Mehrtagesrennen im Selbstversorgermodus einsetzen. Ähnlich wird es inzwischen auch bei uns eingesetzt. Um den Fahrspaß nicht zu verlieren, bleibt das Gepäck kleiner und überschaubarer als beim typisch europäischen Reisestil. Eigentlich, denn nicht selten kann sich ein europäischer – oder deutscher? – Radfahrer nicht von seinen liebgewonnenen Gewohnheiten verabschieden und packt auch das Sportrad ordentlich voll mit allem, was man so für ein komfortables Reiseerlebnis benötigt – und sei es nur für eine Übernachtung. Bikepacking ist für viele ganz eng verknüpft mit Sport, Freiheit, Abenteuer, Gelände und wurde, wen wundert es, schon zur Lebenseinstellung erkoren.
Die Art, sein Rad zu bepacken, ist eng mit den Gegebenheiten an Mountainbikes verknüpft, die keine Gepäckträger, dafür aber Federungen besitzen. Zudem soll auch die Beweglichkeit im Gelände erhalten bleiben. Seitlich abstehendes Gepäck stört da nur. Mit speziellen Taschen kommt die Ausrüstung im Rahmendreieck, am Lenker und an der Sattelstütze unter. An einem Fully begrenzt möglicherweise der Hinterbaudämpfer die Größe der Rahmentasche. Bei manchen ungefederten Modellen und je nach Gelände können spezielle Taschen und Gepäckhalter doch wieder an den Gabelscheiden montiert werden. Auch Gepäckträger kommen manchmal zum Einsatz. Da ist die Grenze zur europäischen Art dann wieder fließend.
Zentral packen
Auf einen guten Schwerpunkt zu achten, ist ein ganz zentrales Thema für alle Reiseradler. So bleibt das Fahrgefühl sicher und die Fahrfreude auch auf herausfordernden Wegen erhalten. Deshalb sollten Sie schwere Teile Ihres Radreisegepäcks wie Werkzeug möglichst tief und nah am oder zentral im Rad respektive Rahmen unterbringen. Ein Kocher kann dann zum Beispiel in der Rahmentasche verstaut werden. Ein sperriges Paket aus Zelt und Zeltgestänge kann gut auf dem Gepäckträger transportiert werden. Ist es nicht zu schwer, ist auch der Lenker (eher beim Bikepacking) ein guter Ort. Alternativ findet dort die leichte Isomatte Platz.
Wo man was hinpackt und unterbringt, ist natürlich jedem selbst überlassen. Erfahrene Weltradler gehen allerdings systematisch-schematisch vor. So hat etwa der europäisch reisende Tilmann Waldthaler einen festen „Wohnungsplan“: „Meine Küche ist vorne links, meine Werkstatt vorne rechts“. Hinten bringt er rechts sein Schlafzimmer (Campingausrüstuntg) und links seinen Kleiderschrank unter. Der Tresor hängt am Lenker. Was er sonst noch benötigt, landet in der „Rumpelkammer“ auf dem Gepäckträger.
Gepäck richtig festmachen
Wichtig ist es auch, die Taschen sicher am Rad anzubringen. Damit sie nicht schlackern, einfach abfallen oder schlicht nicht stören. Am häufigsten werden Hinterradtaschen benutzt, einzeln oder als Paar. Hier ist es auch wichtig, auf ausreichend Fersenfreiheit zu achten, damit man unbeschwert kurbeln kann.
Zum Schluss noch ein allgemeiner Tipp: Egal, welches System Ihnen zusagt, welche Taschen Sie ins Auge gefasst haben, welche Voraussetzungen Ihr Rad bietet, nehmen Sie es mit zum Händler und probieren aus, was, wie und ob es passt.
Zugegeben, etwas übertrieben
Und die Replik? „So wenig Gepäck? Wir lieben es da gern sicherer und komfortabel. Und ja, manchmal übertreiben wir es auch damit. Aber ihr doch auch, oder?“ Im Anschluss geht es trotzdem eine Weile gemeinsam weiter. Man tauscht sich aus, lacht miteinander, erfährt gemeinsam die Strecke. Reisen verbindet also. Selbst wenn sich die Weltanschauungen gleichen wie deutsches Essen und Fish and Chips.