Cabriobeet in Wien: Wie ein Künstler für eine gerechte Platzverteilung wirbt
Protestaktion Cabriobeet: Ein Wiener Künstler gegen unfaire Platzverteilung
Cabriobeet in Wien: Wie ein Künstler für eine gerechte Platzverteilung wirbt
in Story
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Bald jährt sich der Tag, an dem Christoph Schwarz die Kfz-Zulassungsstelle in Wien aufgesucht hat. Zum ersten Mal in seinem Leben. Obwohl er auch heute noch immer keinen Führerschein besitzt – seit Jahresbeginn 2021 allerdings einen gelben Peugeot 306 Cabrio.
Cabriobeet macht auf Auto-Überdominanz aufmerksam
Dieses steht seither überwiegend im 9. Bezirk der österreichischen Hauptstadt. Und ist mit zahlreichen Kräutern bepflanzt. Neben der Ernte von frischer Minze, Oregano oder Rosmarin geht es dem 40-Jährigen aber allen voran um eine gesellschaftspolitische Botschaft. Für weniger Autos in den Straßen und eine bessere Infrastruktur für Radfahrer in der Mozartstadt.
Als wir Christoph Schwarz telefonisch erreichen, steht er gerade auf einem Kreisverkehr im 3. Wiener Gemeindebezirk St. Marx. Hier baut der österreichische Künstler und Filmemacher seit Mai 2021 Kartoffeln an. Jetzt, Ende Oktober, ist Erntezeit. Während Auto für Auto an ihm und der Kreiskartoffel vorbeifahren. So nämlich hat der 40-Jährige sein zweites Projekt getauft.
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Schlagzeilen weit über die österreichische Landesgrenze hinweg schreibt in diesem Jahr allerdings seine erste Aktion. Flankiert von eindrucksvollen Bildern. Nicht nur, weil der darauf zu sehende Peugeot 306 mit knalligem Gelb ins Auge sticht. Auf den ersten Blick nicht sofort erkennbar, zahlen aber sowohl das Cabriobeet als auch die Kreiskartoffel auf dieselbe gesellschaftspolitische Botschaft von Schwarz ein: Das große Potential, das im öffentlichen Raum Wiens – stellvertretend für viele andere Millionenstädte – bei gerechter Platzverteilung schlummert.
Der Königsweg zum Kräuterbeet
Dass dafür ein Beet in einem Cabrio zum Symbol auserkoren wurde, hatte schlichtweg damit zu tun, dass Schwarz mit Freunden aus seiner Nachbarschaft schon lange auf der Suche nach einem „echten“ Kräutergarten war. Ein Vorhaben, dass sich im öffentlichen Raum als „so gut wie unmöglich“ herausstellte.
In Wien würden die Seitenflächen in Straßen und Gassen vor allem dem Abstellen von Autos dienen, erläutert Schwarz und skizziert die in seinen Augen große Ungerechtigkeit der Verkehrsplanung: Es sei so, als habe man die Städte um die Autos herumgebaut. Parkplätze gäbe es innerorts in Hülle und Fülle, obwohl es gerade dort Sinn machen würde, Flächen auch anders zu nutzen. Eben beispielsweise für ein Kräuterbeet.
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Als Schwarz Anfang dieses Jahres ein Fahrzeug geschenkt bekam, war wenig später die kreative Brücke geschlagen – und in der Sobieskigasse, gegenüber der Hausnummer 40, ein Gemeinschaftskräutercabrio auf den Anwohnerparkplätzen zu finden.
Mit welchem außerdem auf eine weitere Ungerechtigkeit in den Augen von Schwarz aufmerksam gemacht werde, da man für gerade einmal zehn Euro pro Monat mit einem Parkpickerl einen Teil des öffentlichen Raumes privatisieren könne. Wolle man etwas anderes als ein Auto, wie beispielsweise ein Hochbeet, auf die Straße stellen, werde es kompliziert und teurer.
In einer Parkspur dürfen hingegen alle Fahrzeuge abgestellt werden, die für den Straßenverkehr zugelassen sind, ließ sich Schwarz von der Wiener Stadtverwaltung erklären. Folglich besorgte er sich auf der Zulassungsstelle eine Bezirksparkvignette.
Gemeinsam gegen Behörden
In der Folgezeit wurde das Cabriobeet, wenig verwunderlich, zu einem viel belagerten Blickfang für zahlreiche Passanten und Fahrradfahrer. Es sei auch ein Treffpunkt für die Nachbarschaft geworden, an dem in warmen Wiener Sommerabenden viele Aperitifs stattgefunden hätten. Bis Schwarz Ende August Post vom Magistrat der Stadt erhielt und eine Anzeige aus dem Briefumschlag zog.
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„Es handelte sich um einen Abschleppbescheid für meinen nicht fahrtüchtigen Peugeot 306“, erinnert sich Schwarz, der sein Cabriobeet schon eine knappe halbe Stunde später wieder aus dieser juristischen Schlinge gezogen hatte. Genauer gesagt: gebuddelt. Mit fleißigen Helfern aus der Nachbarschaft. Den Fahrersitz von Erde befreit, sei man eingestiegen, habe den Motor gestartet und drei Gassen weiter umgeparkt.
Und vor allem: den Inhalt des amtliche Schriftstückes mit vereinten Kräften in die Gegenstandslosigkeit manövriert.
Cabriobeet Logistik: Blumenerden-Transport mit dem Fahrrad
Schwarz selbst sei mit dem Fahrrad hinterhergefahren, die vom Fahrersitz des Cabrios entnommene Blumenerde in einem Anhänger im Schlepptau. Ein logistischer Vorgang, der in den Folgewochen immer zügiger und effizienter durchgeführt wurde, da den Behörden eine „Buddelzeit“ von 30 Minuten deutlich zu lange war. So habe man einen Kräutertopf auf den Fahrersitz gestellt, der noch zügiger freigeschaufelt werden konnte.
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Denn das Cabrio machte nun zunehmend kleine Ausfahrten zu beispielsweise Straßenfesten innerhalb der österreichischen Hauptstadt, steigerte seinen Bekanntheitsgrad und verhalf Schwarz, immer flächendeckender auf die ungerechte Platzverteilung in Wien aufmerksam zu machen. Auf eine „nette ironische Weise“, wie der 40-Jährige sein Projekt selbst charakterisiert. Die Belange von Fahrradfahrern seien dabei immer mitgedacht.
Schließlich entstünde eine Menge Platz für Radwege, wenn die Anzahl parkender Autos in der Innenstadt deutlich verringert werden würde. Er selbst habe ohnehin nie verstanden, wie man auf das Auto als ideales Fortbewegungsmittel in der Stadt setzen konnte. „Wir sind da vor einigen Jahrzehnten falsch abgebogen, haben jedem Menschen den motorisierten Individualverkehr zugestanden und den damit einhergehenden Platzverbrauch“, so Schwarz, der von vielen jungen Familien in Wien höre, gerne viel mehr Radfahren zu wollen. Den Nachwuchs morgens mit dem Fahrrad in den Kindergarten zu bringen, sei den meisten aber zu gefährlich.
Vielschichtiger Symbolwert
Als freiberuflicher Filmemacher und Künstler selbst die Bekanntheit des Projektes auch über die Landesgrenzen der Alpenrepublik vorangetrieben, griffen auch immer größere Tageszeitungen das Cabriobeet in ihrer Berichterstattung auf. Was sogar dazu führte, dass Schwarz im September Anfragen im Zuge der Proteste gegen die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) erhielt.
Digitale Zuschaltung zur IAA
Über 400 Kilometer nach München zu fahren, habe aber keinen Sinn gemacht. Schließlich stünden seine Projekte auch für den sorgsamen Umgang mit Ressourcen aller Art. Vom begrenzten innerstädtischen Platz bis zu ebenfalls nicht endlos vorhandenen fossilen Brennstoffen.
„Wir haben uns aber digital zugeschaltet und stehen generell immer gerne mit unserer bescheidenen Expertise bereit, falls weitere Menschen ihre Cabrios zu Kräuterbeeten umbauen wollen“, erläutert Schwarz, der sich selbst eher im Bereich des Klimaaktivismus denn in der Riege begnadeter Handwerker verortet.
So nutzt er sein Fahrrad, neben dem Blumentopf-Transport zum nächsten Cabrio-Stellplatz vor allem auch, um geschenkte Kräuter abzuholen oder von Supermärkten weggeworfene Lebensmittel zu retten. Diese werden dann, und da schließt sich der Kreis der Gerechtigkeit, ebenfalls am geschaffenen „sozialen Begegnungsort“ Cabriobeet an weniger privilegierte Menschen verteilt. In der nun angebrochenen Winterzeit plant Schwarz außerdem, eine Suppenküche ins Leben zu rufen.
Cabriobeet: Kreative Beteiligung in jeder Jahreszeit
„Vielleicht baut auch jemand einen Schneemann darauf “, bietet der 40-Jährige allen vorbeischauenden Menschen allerhand kreativen Spielraum, sich am optischen Erscheinungsbild seines Peugeot 306 aktiv zu beteiligen.
Bevor ab März 2022 die nächste Kräutersaison beginnt – und wieder eifrig in der Sobieskigasse angepflanzt wird. Mindestens bis August. So lange ist das knallgelbe
Cabrio nämlich noch zugelassen.