Schaltung am Rad: Kettenschaltung, Nabenschaltung
Die ganz neue Gangart? Die Fahrradschaltung im Wandel der Zeit
Schaltung am Rad: Kettenschaltung, Nabenschaltung
in Test & Teile
in Test & Teile
Wer schon einmal versehentlich im dritten Gang von der Ampel starten wollte, kennt das Prinzip. Ein Verbrennungsmotor funktioniert nur dann optimal, wenn er sich im richtigen Drehzahlbereich bewegt. Ein zu hohes Drehmoment würgt den Motor ab. Eine zu hohe Drehzahl lässt ihn unrund laufen. Was für das Automobil richtig ist, gilt für den wesentlich schwächeren „Verbrennungsmotor Mensch“ umso mehr. Und damit wird die Schaltung zur wichtigsten Bauteilgruppe innerhalb des Antriebsstrangs. Sicher ist die pure Fortbewegung auch mit einem „Singlespeeder“ möglich. Doch keine Frage: Spätestens wenn man die Ebene hinter sich lässt, entscheidet die Schaltgruppe am Fahrrad über die Effizienz und damit nicht zuletzt über den Spaß beim Pedalieren.
Eine Frage des Prinzips
Über das „Wie“ des Gangwechsels wird jedoch gerne leidenschaftlich debattiert. „Es gibt keinen direkteren Antrieb als eine Kettenschaltung!“ Für Maximilian Topp, PR-Koordinator für MTB-Schaltungen bei Sram, war die Entscheidung seines Arbeitgebers zur Einstellung der Produktion von Nabenschaltungen nur konsequent. „Wir bauen Antriebe für sportlich orientierte Fahrer. Wer die Dynamik einer Kettenschaltung haben will, muss damit leben, dass er den Antrieb pflegen muss!“
Bei Rohloff hat man zwar auch den sportlichen Fahrer im Blick, sieht die Dinge jedoch naturgemäß völlig anders. „Die Fahrrad-Industrie entwickelt sich immer mehr in Richtung eines Mobilitätsanbieters“, analysiert Werner Schiller, CEO der im Hessischen ansässigen Getriebe-Manufaktur. „Wenn wir unser gesellschaftliches Ziel erreichen wollen, möglichst viele Autokilometer durch Fahrradkilometer zu ersetzen, kommt es vor allem auf Zuverlässigkeit an.“
Schaltung mit Kette oder Nabe: Vor- und Nachteile
Mit diesen beiden Aussagen sind die Extrempositionen der Debatte bereits umrissen. Für die Übertragung von Kraft zwischen zwei Zahnrädern ist eine metallene Kette das System mit dem denkbar geringsten Verlust. Damit die Kette aber auch beim Schaltvorgang willig von einem Ritzel aufs nächste wandert, muss sie geschmeidig bleiben. Keine leichte Aufgabe, ist sie doch voll der Witterung und dem Beschuss durch Schmutz ausgesetzt. Kettenschaltungen sind wartungs- und verschleißintensiv. Genau hier spielen Nabenschaltungen ihren Vorteil aus. Für den Wechsel der Übersetzungen sorgen dort Planetengetriebe, die in einem Ölbad laufen und gegen Einflüsse von außen abgeschottet sind. Sicher erhöht eine schwergängige Kette auch hier den Kraftaufwand beim Treten. Die eigentliche Schaltfunktion bleibt hiervon aber unberührt. Doch kein Vorteil ohne Nachteil: Der allgemeine Wirkungsgrad eines Getriebes hinkt dem einer Kettenschaltung spürbar hinterher. Zwar gelang es Rohloff durch akribische Entwicklungsarbeit, den Wirkungsgrad ihrer „Speedhub“ Nabe dem einer Kettenschaltung anzugleichen – für den Löwenanteil der auf dem Markt befindlichen Systeme ist diese Aussage aber dennoch gültig.
Der japanische Branchenprimus Shimano fährt daher zweigleisig, und bietet sowohl Naben- als auch Kettenschaltungen an. „Welches System besser ist, hängt letztendlich von den Prioritäten des Radfahrers ab“, erklärt Marketingleiter Michael Wild. „Im sportlichen Bereich sehen wir jedoch kaum Nachfrage nach Nabenschaltungen. Daher bieten wir solche Schaltsysteme nur für City- und Trekking- und E-Bikes an.“
Dass dem so ist, hat wohl nicht zuletzt mit einem weiteren durch die Bauart bedingten Nachteil von Getriebeschaltungen zu tun. Ein Schalten unter Last ist hier kaum möglich. Sicher quittieren auch Kettenschaltungen einen Gangwechsel unter Zug gerne mit einem lauten und verschleißintensiven Krachen. Dank der von Shimano 1988 eingeführten „Hyperglide“ Zahngeometrie, deren Prinzip bald bei allen Herstellern Standard wurde, fügt sich die Kette aber dennoch auch unter Last dem Willen des Fahrers.
Das oft gegen Nabenschaltungen angeführte Argument, deren im Hinterrad konzentrierte Masse verschlechtere das Fahrverhalten, will Werner Schiller jedoch nicht gelten lassen. „Die rotierende Masse sitzt im Zentrum des Laufrads und wirkt sich daher nicht negativ auf die Beschleunigung aus. Bei Full-Suspension Mountainbikes ist ein geringer Unterschied im Fahrverhalten feststellbar. Aber das ist nur deswegen so, weil die Hinterbau-Kinematik in den meisten Fällen für Kettenschaltungen konstruiert ist.“
Wie viele Gänge dürfen es sein?
Die „Entwicklungssprünge“ bei Fahrradschaltungen der letzten beiden Jahrzehnte sind ungezählt. Ritzelpakete wuchsen step-by-step von acht auf zwölf Ritzel an. Kurbelgarnituren sahen ein drittes „Bergkettenblatt“ auftauchen und wieder verschwinden, wurden 2012 von Sram gar auf ein „Einfachkettenblatt“ abgespeckt. Wo die Reise hingehen wird, ist nicht leicht abzusehen. „Die reine Anzahl der Gänge ist uninteressant“, weiß Max Topp. „Wichtig ist die Übersetzungsbandbreite. Sollte hier in Zukunft mehr nachgefragt werden, kann es schon sein, dass noch einmal ein Ritzel hinzu kommt. Im Moment arbeiten wir aber an anderen Lösungen.“
Das Prinzip Einfach-Kettenblatt bleibe beim Mountainbike jedoch gesetzt. „Die Leute wollen eine gute Performance beim Bergabfahren. Wenn ich das zweite Kettenblatt und den Umwerfer opfere, kann ich stattdessen eine Kettenführung montieren. Dadurch wird das Bike leichter und das Schalten intuitiver. Soundsoviel Gänge braucht kein Mensch!“ Dieser Aussage will sich Michael Wild in dieser Absolutheit nicht anschließen. Sicher bietet auch Shimano Schaltgruppen mit Einfach-Kettenblättern an. „Aber Zweifach-Kettenblätter sind noch lange nicht tot. Ich denke vor allem an den Freizeitfahrer mit etwas geringerer Leistungsfähigkeit. Für ihn macht die feinere Gangabstufung und das breitere Übersetzungsspektrum bei Zweifach-Kettenblättern nach wie vor viel Sinn!“
Was tut sich in der Schaltzentrale?
Wie gut ein Fahrrad funktioniert, entscheidet sich nicht zuletzt an den Kontaktpunkten zwischen Mensch und Maschine. Im Falle der Schaltung also am Mechanismus, mit dem der Gangwechsel ausgelöst wird. Hier ist das Angebot übersichtlich: Die Hersteller setzen auf Drehgriffe oder Trigger. Lediglich für Rohloffs Speedhub Nabe muss der Kunde für Trigger auf Drittanbieter zurückgreifen. Was die Übertragung des Schaltimpulses angeht, dominiert der gute, alte Schaltzug den Markt.
Die elektronisch gesteuerte Schaltung
Doch genau an dieser Stelle hat bei Rohloff, Shimano und Sram die Zukunft bereits begonnen. Sie alle bieten elektronisch angesteuerte Schaltsysteme an, deren Funktion und Performance einen echten Quantensprung markieren. Die radikalste Lösung bietet auch hier Sram. Bei den „AXS“ getauften Schaltgruppen wird der Schaltimpuls per Funk übertragen. „In AXS stecken sieben Jahre Entwicklungsarbeit“, erzählt Max Topp. „Wir haben das aber nicht gemacht, weil wir ein fancy Produkt auf den Markt bringen wollten, sondern weil es das Fahren einfach besser macht. Die Präzision und Schnelligkeit, mit der man elektronisch schaltet, ist mechanisch nicht zu erreichen!“
Den Strombedarf und die Tatsache, dass man mit dieser Lösung gleich an zwei Stellen Akkus benötigt, sieht Max nicht als Nachteil. „Inzwischen hat jeder ein Smartphone. Akkus laden zu müssen ist den Menschen in Fleisch und Blut übergegangen!“
Was diesen Punkt angeht, gibt sich Werner Schiller weniger optimistisch. „Die Leute kaufen Rohloff, weil sie ein Fahrrad haben wollen, das in jeder Situation zuverlässig funktioniert. Wie wir das mit Akkupacks und Funk gewährleisten sollen, sehe ich momentan nicht.“ Rohloffs E-Shift ist daher aktuell auch nur in E-Bikes, und auch dort nur in Kombination mit Motoren von Bosch oder Panasonic zu nutzen. Dafür räumt es jedoch nebenbei mit dem bereits erwähnten Nachteil des Nicht-Schalten-Könnens unter Last auf. Die Elektroniken von Motor und Schaltung kommunizieren untereinander. Wird ein Schaltimpuls ausgelöst, nimmt der Motor für kurze Zeit den Schub zurück. „Damit schaffen wir den mit 200 Millisekunden kürzesten Schaltvorgang auf dem Markt!“ Auch Shimano setzt in Moment noch auf ein kabelgebundenes System, und nimmt damit zumindest eine potenzielle Störquelle aus dem Spiel.
Und die nächste (R)evolution?
Auf absehbare Zeit wird es vor allem um Detailverbesserungen gehen, da sind sich die Hersteller ausnahmsweise einig. „Wir arbeiten kontinuierlich daran, Schaltungen zuverlässiger, wartungsärmer und intuitiver in der Bedienung zu machen“ , sagt Max Topp. „Vielleicht wird es ja irgendwann mal eine Schaltung geben, die sich selbst automatisch justiert.“ Ansätze für Verbesserung sehe man jedenfalls genügend. Aber keinen Anlass zu einer Neuerfindung des Rades. Ein Glück!