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E-Bike WM für Jedermann: Weltmeister mit 87 Jahren

Porträt: Alexander Kraft vor der E-Bike WM für Jedermann 2024

E-Bike WM für Jedermann: Weltmeister mit 87 Jahren

E-Bike fahren bis ins hohe Alter? Ganz selbstverständlich für den 86-jährigen Alexander Kraft. Er ist fast täglich mit dem Rad unterwegs und wird im September bei der E-Bike-WM für Jedermann in Ischgl an den Start gehen. Wir haben mit ihm eine Runde durch den Hunsrück gedreht.
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Es gibt Geschichten, die schon im Vorfeld im besten Sinne kurios beginnen. Diese gehört definitiv dazu. Es geht um den 86-jährigen Alexander Kraft, der im September bei der E-Bike-Weltmeisterschaft in Ischgl teilnehmen wird.

E-Bike WM für Jedermann: Alexander Kraft im Porträt

Und zwar just am Tag seines 87. Geburtstags. Gold gewinnen möchte er – so viel dürfen wir schon verraten. Wir wollen mehr erfahren und Herrn Kraft persönlich treffen. Ein Griff zum Telefon zwecks Terminvereinbarung. Auf dem Handy geht niemand dran, also ein Versuch auf dem Festnetz. Ihr Mann sei nicht zuhause, erfahre ich von Frau Kraft. Wie sich herausstellt, ist er mit dem Rad unterwegs.

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Fast täglich ist Alexander Kraft auf seinem E-Bike unterwegs. Nur bei Eis und Schnee bleibt es in der Garage.

Vor dem späten Nachmittag sei mit ihm nicht zu rechnen. Keine fünf Minuten später klingelt es. Herr Kraft ist dran, er hat den entgangenen Anruf gesehen und meldet sich – wie er beteuert – von einer seiner beinah täglichen Runden durch den Hunsrück. Ein potenzieller Termin ist schnell gefunden. „Bringen Sie Ihr Rad mit“, legt er mir nah. „Dann fahren wir eine Runde. 60 bis 70 Kilometer?“ Wenn das mal nicht nach einem vielversprechenden Treffen klingt.

E-Bike WM in Ischgl vom 5. bis 7. September

Die E-Bike-WM, bei der Alexander Kraft antreten wird, ist ein Jedermann-Rennen, das in zwei Klassen unterteilt ist. Die Elite-Wertung richtet sich an E-MTBler mit versierter Fahrtechnik in technisch anspruchsvollem Terrain. Die Strecke hat mehr als 1200 Höhenmeter und ist rund 37 Kilometer lang. In der Jedermann-Wertung geht es etwas entspannter zu. Die Strecke führt von Ischgl nach Galtür und von dort zurück zum Start.

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28,5 Kilometer und 790 Höhenmeter sind zu bewältigen. Dabei stehen Asphalt, Schotter- und Feldwege auf dem Programm. Das Reglement schreibt eine maximale Tretunterstützung von 25 km/h vor, die Nenndauerleistung darf 250 Watt nicht überschreiten und der Akku darf nicht gewechselt werden. Am Tag des Rennens werden die Veranstalter drei Zeitlimits ausgeben. Wer diese unterbietet, qualifiziert sich jeweils für die Gold-, Silber- oder Bronzemedaille.

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Inzwischen ist er im Hunsrück heimisch geworden. Hier sammelt er zahllose Kilo- und zwangsläufig auch Höhenmeter.

Alexander Kraft: Mutmaßlich ältester Teilnehmer der E-Bike WM 2024

Da sich das Streckenprofil quasi an alle Altersklassen richtet, ist das Starterfeld je nach Geburtsjahr in sieben Gruppen unterteilt. In der Gruppe „Master 5“ fahren all jene mit, die älter als Jahrgang 1955 sind – Alexander Kraft hat 1937 das Licht der Welt erblickt und dürfte damit zu den ältesten Startern gehören – oder gar der älteste Teilnehmer im gesamten Feld sein. Soweit zu den Eckdaten und damit zurück in den Hunsrück, denn dort ist der potenzielle Ü70- E-Bike-Weltmeister zuhause.

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Mit festem Händedruck werde ich drei Wochen nach unserem Telefonat begrüßt. Dass man meinem charismatischen Gegenüber sein tatsächliches Alter nicht ansieht, ist kein stumpfer Euphemismus. Fit schaut er aus und sein Teint lässt erkennen, dass er viel Zeit im Freien verbringt. Aus der Garage schiebt er ein Victoria eAdventure – Federgabel, breite Profilreifen, Bosch CX-Motor und 750-Wh-Akku. Am Gepäckträger hängt eine Ortlieb-Tasche.

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Krafts Marathon-Bestzeit liegt bei beachtlichen 3:08 Stunden. Auf Inline-Skates sind es weniger als zwei Stunden.

Straffes Tempo durch Mittelgebirge zwischen Rhein und Mosel

Wie lange ich heute Zeit habe, will er zwecks Routenplanung wissen, überlegt kurz und schwingt sich in den Sattel. Direkt am Ortsrand von Mastershausen biegen wir in die Felder ab. „Wir fahren einen Bogen ums Dorf“, ruft er und tritt in die Pedale.

Alexander Kraft gibt ein strammes Tempo vor und das Mittelgebirge zwischen Rhein und Mosel ist alles andere als flach. Es war ganz offenbar keine gute Idee, für diesen Tag aufs klassische Fahrrad zu setzen. Etwas außer Atem kommen wir ins Gespräch und sind schon nach wenigen Metern beim „Du“.

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Alex wird 1937 in Kassel geboren. 1942 wird die Stadt ausgebombt, die Mutter flieht mit den Kindern aufs Land und kommt bei einer Familie
in der Nähe von Marburg unter, wo Alex seine weitere Kindheit verbringt. Hessen bleibt er treu, absolviert in Frankfurt eine Lehre zum Buchdrucker. Von dem schmalen Lehrlingsgehalt spart er genug Geld, um sich ein Fahrrad zu leisten – Marke NSU.

Dieses Rad wird für Alex zunächst zum Alltagsvehikel und erweitert seinen Mobilitätsradius. Es muss im Sommer 1952 gewesen sein. Mit dem Lehrbrief in der Tasche richtet Alex das Vorderrad gen Süden und pedaliert zusammen mit Freunden von Frankfurt bis an den Bodensee und wieder zurück.

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Der 86-jährige Alexander Kraft will bei der E-Bike WM für Jedermann im September aufs Treppchen kommen.

Höllenritt im Höllental

Sie übernachten mit spartanischer Ausrüstung am Wegesrand. Ein echtes Abenteuer. Bikepacking würde man das heute wohl nennen. Unterwegs aber verkrachen sich die jungen Burschen. Kleine Meinungsverschiedenheiten, große Wirkung. Die Gruppe radelt getrennter Wege. Tage später treffen sie sich zufällig wieder, versöhnen sich und treten wieder gemeinsam in die Pedale.

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„Das Beste war aber das Höllental. Kennst du das?“ Als langjähriger Wahl-Breisgauer ist mir die berüchtigte Schlucht südöstlich von Freiburg durchaus bekannt. „Die Lastwagen fuhren auf der steilen Strecke in Schrittgeschwindigkeit bergauf. Da haben wir uns einfach mit
unseren Fahrrädern hinten drangehangen und uns hochziehen lassen“, lacht Alex und biegt mit beachtlichem Tempo und entsprechender
Schräglage um die nächste Ecke.

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Die Fahrradleidenschaft ist Alexander Kraft deutlich anzumerken.

Das Fahrrad wird ihm später in Frankfurt gestohlen und taucht nicht mehr auf. Auf Alex wartet die Bundeswehr. Stationiert ist er unter anderem in Büchel in der Eifel. Die Strecke nach Frankfurt absolviert er bei Wind und Wetter noch immer auf zwei Rädern, jetzt allerdings auf einem 250-Kubik-Motorrad, ebenfalls aus dem Hause NSU.

Alexander Kraft: Risikobereitschaft als Teil des Wesens

Es folgen ein paar unvermeidliche Stürze auf nasser Fahrbahn. Nichts Wildes, Alex fährt weiter. Ein Kolbenfresser wird der 250er schließlich zum Verhängnis. Die Aufstehen-und-weitermachen-Mentalität strahlt der 86-Jährige auch heute deutlich aus. Er wirkt entschlossen und zielstrebig. Eine gewisse Risikobereitschaft sei durchaus Teil seines Wesens, wie er bei einer kurzen Pause am Wegesrand eingesteht.

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Mein Blick fällt auf den Gepäckträger seines Victoria-Rads, der genau wie Alex‘ Helm unmissverständliche Sturzspuren trägt. „Wenn man so viel Rad fährt, bleiben Stürze nicht aus“, merkt er an. Er fahre ja nun mal gerne schnell – auch in den Kurven – und da sei er halt mal weggerutscht.

Das Knie hat was abbekommen, Hüfte und Arm seien etwas in Mitleidenschaft gezogen worden. Nichts Wildes, Alex fährt weiter. „Die Kratzer hier“, er deutet grinsend auf blutige Schrammen am Bein, „sind aber vom Heckenschneiden.“

Marathon zu Fuß und auf Rollen

1970 macht Alex seinen Meister und es folgen arbeitsreiche Jahre. Familie, zwei Kinder, keine Zeit für Sport. Ende der 70er Jahre entdeckt er das Laufen für sich und wird süchtig. Seinen ersten Marathon absolviert er 1980. Vier Stunden und 27 Minuten zeigt die Uhr im Ziel.

Einige Jahre später läuft er die Distanz in drei Stunden und acht Minuten. Chapeau! In den 90er Jahren steht er auf Inline Skates. Der erste Versuch endet mit einem Sturz. Nichts Wildes, Alex fährt weiter. Der mittlerweile steil auf die 60 Zugehende fasst Vertrauen zu den Rollen und entwickelt schnell Ambitionen.

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Zuhause in Mastershausen zeugen zahlreiche Urkunden und Medaillen von den sportlichen Aktivitäten des 86-Jährigen.

Es folgen diverse Inline-Marathons mit Bestzeiten deutlich unter der Zwei-Stunden-Marke. „Ich probiere gerne Dinge aus“, kommentiert er lakonisch. Aus dem „Bogen ums Dorf“ ist mittlerweile eine ausgedehntere Runde geworden. Alles eine Frage des Radius. Alex fährt ohne Navigation.

Die Gegend kennt er ohnehin wie seine Westentasche. Er hat zwar ein Smartphone dabei, nutzt es aber lediglich zum Telefonieren oder für Textnachrichten. Lauscht man seinen Erzählungen, bekommt man den Eindruck, dass es hier kaum einen Weg geben dürfte, den er nicht schon mit dem E-Bike erkundet hat. Nicht immer geht das gut: Manchmal muss er schieben, Bäche oder umgestürzte Bäume überwinden.

Fahrspaß auf Schotter oder Waldpfaden

Grober Schotter, Wald- und Wiesenpfade schrecken ihn auf jeden Fall nicht ab. Gemäß seines präferierten Terrains und der Fahrweise müsste man Alex als Gravelbiker bezeichnen.

Meistens ist er allein unterwegs. Die meisten seiner Altersgenossen können nicht mithalten und haben es nicht mehr so mit dem Radfahren.
Auch in seiner Wandergruppe, die sich jede Woche zusammenfindet, ist er mit Abstand der Älteste. Mit einem der Wanderfreunde schließt er sich gelegentlich für ausgedehntere Radtouren zusammen.

100 Kilometer dürfen es schon mal sein, berichtet Alex, das macht sein Akku trotz der höhenmeterreichen Topographie mit. Mit ein bisschen
mehr Zeit würden wir die heute bestimmt auch noch voll machen. Der Abstecher zum Flughafen Hahn wird gestrichen und auch zur Hängebrücke Geierlay in Mörsdorf fahren wir heute nicht mehr – ich werde den Eindruck nicht los, dass ich Alex heute ein wenig ausbremse.

Straßen überqueren wir nur sporadisch, nehmen hier und da ein paar Meter Asphalt unter die Räder und rollen bald schon wieder durch Waldstücke und vorbei an Feldern. Es ist ein wunderschöner Tag, ideal zum Radfahren und auf den Höhenzügen reicht der Blick teilweise bis weit in die benachbarte Eifel.

Hunsrück wird zum Lebensmittelpunkt

Im Jahr 2000 geht Alex in Rente. Als Abteilungsleiter bei der Deutscher Fachverlag GmbH in Frankfurt beobachtet er den Wandel der Branche und zieht, wie er sagt, zum genau richtigen Zeitpunkt den Schlussstrich.

Das Ferienhaus im Hunsrück wird zunehmend zum Lebensmittelpunkt, dem urbanen Leben wendet er nach 60 Jahren in Frankfurt gemeinsam mit seiner Frau den Rücken zu. Jetzt pendeln die beiden nach Gusto zwischen ihrer Wohnung in Mainz, wo auch Kinder und Enkel leben, und dem Landleben im Hunsrück.

Beinah nebenbei erzählt Alex von seiner Kilimandscharo-Besteigung. 63 Jahre ist er damals alt, als er auf dem mit 5895 Meter höchsten Gipfel Afrikas steht. Ein Jahr später besteigt er den Mont Blanc von Chamonix aus.

Vor rund sechs Jahren erstmals auf dem E-Bike

2008 entdeckt er das Radfahren wieder für sich, doch das stete Auf und Ab des Mittelgebirges ist aufreibend. Dann – vor rund sechs Jahren – sitzt Alex das erste Mal auf einem E-Bike und ist begeistert. Das erste Elektrorad ist ein Schnellkauf und bald wird dem mittlerweile
Achtzigjährigen klar, welche Möglichkeiten sich mit der E-Unterstützung auftun.

Mit höherem Anspruch und größerer Expertise folgt das zweite Rad, mit dem er 30.500 Kilometer zurücklegt. Als der Akku defekt ist, macht Alex Nägel mit Köpfen und bestellt beim Händler seines Vertrauens das Victoria, das damals kurz zuvor im Großen ElektroRad-Test die Note Sehr gut und ein Prädikat einheimste.

Beachtliche 14.600 Kilometer stehen jetzt auf dem Tacho. Den Lenker hat Alex etwas gekürzt und bei den Reifen ist er mittlerweile beim Schwalbe Marathon Plus MTB gelandet – damit entspricht das Rad ganz seinen Bedürfnissen.

Täglich schnell bei 50 Kilometer

Wenn es geht, fährt Alex jeden Tag eine Runde durch den Hunsrück. Weder das künstliche Hüftgelenk noch eine Herz-OP konnten ihn bisher einbremsen. Nur bei Eis und Schnee lässt er das Victoria stehen. Dass dabei tagtäglich schnell 50 Kilometer zusammenkommen,
hat er mir eindrucksvoll demonstriert.

Dazu waren es heute 750 Höhenmeter. Wäre es nach Alex gegangen, hätten wir noch ein paar mehr draufgelegt. Trainieren muss er für die WM in Ischgl jedenfalls nicht, denn mit dieser Routine ist er bestens vorbereitet. Es scheint, als sei er nach 28 Kilometern gerade mal gut warmgefahren.

Zum Anlass für seine WM-Pläne nahm er übrigens einen Artikel aus der ElektroRad, die das Rennen schon seit seiner Gründung regelmäßig begleitet, in dem von einem 81-jährigen Finalisten berichtet wurde. Das hat ihn angespornt, ausgerechnet an seinem 87. Geburtstag in Ischgl an den Start zu gehen.

Zurück in Mastershausen werde ich zum gemeinsamen Mittagessen bei den Krafts eingeladen. Im Haus hängen Bilder von Marathon-
Zieleinläufen, Gruppenfotos an Gipfelkreuzen, Urkunden und beeindruckend viele Medaillen von diversen Lauf- und Inline-Rennen.

Wenn Alex im September von der E-Bike-Weltmeisterschaft aus Ischgl zurückkommt, wird es eine mehr sein – ich tippe auf Gold.

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