Radfahren macht schlau: Einfluss von Bewegung auf Gehirn, Lernen und Fitness
Aus der Wissenschaft: Radfahren macht schlau!
Radfahren macht schlau: Einfluss von Bewegung auf Gehirn, Lernen und Fitness
in Gesundheit
Die Sonne scheint und Wolfgang ist schon seit 20 Minuten Radfahren mit seinem neuen Trekkingrad. Mit seinem alten Drahtesel ist er höchstens einmal sonntags zum Bäcker oder abends in den Biergarten geradelt. Wolfgang spürt den erfrischenden Fahrtwind auf der Haut und die angenehme Anstrengung in den Oberschenkeln.
Doch seine Gedanken kleben an diesem stressigen Tag, sie drehen sich im Kreis. Doch plötzlich ist sein Kopf frei. Als ob jemand einen Schalter umgelegt oder alle Probleme aus dem Kopf geblasen hätte. Die unangenehme Diskussion mit einem wichtigen Kunden und die stressigen Momente auf der Heimfahrt im Auto sind jetzt nur noch als schwacher Gedankennebel vorhanden, wenig später sind sie verschwunden.
Radfahren ist gesund: Studien belegen die positiven Effekte
20 Minuten später hat Wolfgang plötzlich viele Gedankenblitze. In schneller Abfolge kommen ihm kreative Ideen gefolgt von Lösungen für Dinge, die er schon immer machen wollte. Als Wolfgang nach der erholsamen Tour durch die Felder wieder zu Hause ankommt, ist er voller Motivation, die neuen Ideen umzusetzen.
In den kommenden Wochen und Monaten nutzt er das Radeln immer wieder, um nach einem stressigen Tag abzuschalten oder gezielt über Lösungen für Probleme nachzudenken.
Bewegungsmangel und Überernährung bei breiten Teilen der Gesellschaft
Die Bevölkerung der westlichen Industrienationen, gerät in den zurückliegenden Jahrzehnten zunehmend in den Einfluss von zwei wesentlichen, gesundheitlichen Risikofaktoren. Zum einen führt ein ausgeprägter Bewegungsmangel in allen Altersgruppen zur Verbreitung von Zivilisationserkrankungen und zum anderen trägt die Fehl- und Überernährung zu einer starken Zunahme des Anteils von übergewichtigen Menschen bei.
„Bloß nicht bewegen!“ ist das Lebensmotto vieler Erwachsener in Deutschland, die diese Bewegungseinstellung zudem an ihre Kinder weitergeben. Selbst kurze Wegstrecken werden im PKW zurückgelegt und stark steigende Bildschirmzeiten von Erwachsenen wie Kindern tragen ihren Anteil zum ausgeprägten Bewegungsmangel in unserer Gesellschaft bei.
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Bildschirmzeit statt Bewegung: Auch Radfahren leidet darunter
In NRW verbringen Kinder durchschnittlich 90 Minuten vor dem Fernseher (Thüringen: 140 min). Erwachsene über 50 Jahre schauen täglich durchschnittlich 290 Minuten fern (Werte aus dem Jahr 2012). Bisher unberücksichtigt bleiben bei dieser Betrachtungsweise die erheblichen Nutzungszeiten von hochattraktiven Smartphones, Tablets und Spielkonsolen von Kindern wie Erwachsenen.
Diese Geräte treten somit in direkte Konkurrenz zu Bewegungsangeboten und stellen einen wesentlichen Bewegungshemmer dar. Auch das Radfahren von Kindern leidet darunter. Die größte Gefahr weiterer Bildschirmzeit für Kinder und Erwachsene liegt abgesehen von psychischen und sozialen Risiken in einer weiteren Reduktion der Bewegungszeit.
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Der Mensch ist ein Bewegungstier
Noch deutlicher wird die gegenwärtige Schieflage unseres Bewegungsverhaltens unter Berücksichtigung der evolutionären Entwicklung des Menschen.
Mussten Neandertaler oder andere hominide Vorfahren des Menschen noch einen Großteil ihrer Zeit mit der Beschaffung von Nahrung verbringen und dabei täglich bis zu 30 km an Wegstrecke zu Fuß zurücklegen, ist das Bewegungspensum des modernen Menschen stark zusammengeschrumpft beziehungsweise kaum noch existent.
Studien belegen geringe Bewegung, Radfahren als Gegenmittel
So werden in unterschiedlichen Studien Werte zwischen 500 und 1500 Metern als durchschnittlich zurückgelegte Fußwegstrecke von Deutschen genannt. Eine österreichische Untersuchung von Kaufmann (2010) zeigt ein erschreckendes Bild: Nur 20% der Kinder zwischen vier und sechs Jahren bewegen sich ausreichend.
Andere Studien zum Thema kommen für die gleiche Fragestellung sogar zu Werten bis zu 7%. Grundschüler verbringen neun Stunden des Tages sitzend, neun Stunden liegend, fünf Stunden stehend und nur eine Stunde in Bewegung, wovon lediglich 15 bis 30 Minuten auf intensive Bewegung entfallen (Ost und Bös, 1997).
Auch Radfahren kann diesen modernen Bewegungsmangel ausgleichen.
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Lernen in Bewegung
Schon die alten Griechen wussten, dass die Gedanken beim Wandeln durch den Garten am wenigsten in Schranken gewiesen werden und so wandelte Aristoteles mit seinen Schülern bei der Diskussion über wichtige philosophische Themen der Menschheit umher.
Auch bei Politikertreffen werden oftmals Spaziergänge als die wirklich effektiven Momente mit Verhandlungsfortschritt identifiziert.
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Einfluss von Bewegungen wie Radfahren aufs Gehirn
Woran das liegt? Zunächst einmal ist die Lösung sehr einfach: Durch Bewegung erhöht sich die Herzfrequenz und mehr sauerstoffreiches Blut und Nährstoffe gelangen in das Gehirn. Da unser Gehirn ein wahrer Sauerstoff- und Zuckerfresser ist, bedeutet dies auch mehr Energieumsatz für unsere Denkzentrale.
Aus dem dösigen Alltagstrott wird es bei moderaten Radelbelastungen in einen Zustand höchster Aktivität versetzt. Vergleichbar mit konzentriertem Arbeiten an einer kognitiven Aufgabe oder einer Prüfung. Nur dass beim Radfahren meist keine geistigen Zwänge da sind, die unsere Gedanken in Bahnen zwängen.
Und sind die zunächst noch vorhanden, lösen sie sich wie bei Wolfgang mit zunehmender Dauer einer Radtour auf. Die unaufhörlich auf den Radler einströmenden Natur- und Landschaftseindrücke tun ihr Übriges dazu.
Lesen beim Radfahren besonders effektiv
Radrennfahrer trainieren nur ungern auf einem Rollentrainer. Wenn sie jedoch studieren und sich viel Lernstoff in den Kopf zaubern müssen, nutzen manche die Rolle als Trainingsgerät für lange und eigentlich langweilige Trainingseinheiten bei geringer Intensität und bauen sich eine Ablage für Bücher an den Lenker.
So lesen und lernen sie beim Schwitzen. Und das besonders effektiv, wie einige Studien zeigen.
Effekte, die Radfahren im Gehirn auslöst
Doch allein die Erhöhung des Sauerstoffangebots im Hirn wäre eine zu banale Erklärung für die vielfältigen Anpassungsprozesse, die das Radfahren im Nervensystem und vor allem in unserem Gehirn auslöst. Um diese Zusammenhänge besser verstehen zu können, müssen wir die neurologischen Zusammenhänge ein wenig tiefgehender betrachten.
Unser Gehirn besteht aus der grauen und der weißen Substanz. Die graue Substanz wird von den Zellkörpern von etwa 100 Milliarden Nervenzellen, den Neuronen, gebildet und stellt die Rinde des Gehirns dar. Die weiße Substanz liegt innen und besteht aus den Nervenzellfortsätzen, also Leitungsbahnen.
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Probleme verschwinden, der Kopf wird frei
Die für die Steuerung von Bewegungen zuständige motorische Hirnrinde wird sehr viel aktiver, während der für logisches Denken und Planen verantwortliche präfrontale Kortex (Hirnrinde) heruntergefahren wird. Das wäre eine Erklärung für das Verschwinden von Alltagsproblemen.
Der Kopf wird frei wie bei Wolfgang und es entsteht im wahrsten Sinne des Wortes Platz für neue Gedanken. Doch ob das funktioniert, ist von der Belastungsintensität abhängig, die individuell unterschiedlich ist. Wer also zu schnell oder zu langsam radelt, kommt nicht in den Zustand der „freien Gedanken“.
Radfahren steigert kognitive Leistungsfähigkeit dank Synapsen
Beim Radfahren im Speziellen und bei körperlicher Bewegung im Allgemeinen werden Wachstumsfaktoren (Neurotrophine) in Gehirn und Muskulatur ausgeschüttet, z.B. das Eiweiß BDNF. Dadurch entstehen, wie man heute weiß, neue Nervenzellen, aber vor allem neue Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen. Man nennt das Neurogenese.
Über die Synapsen stehen die Neuronen untereinander in Verbindung. Pro Nervenzelle sind das etwa 150.000 Synapsen. Je mehr Neuronen und je mehr Synapsen, desto höher ist bei entsprechender Förderung normalerweise die kognitive Leistungsfähigkeit eines Menschen.
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Wissenschaft belegt positiven Effekt von Radfahren aufs Gehirn
In einer niederländischen Studie aus dem Jahr 2015 (Svatkova et al.) führten Probanden während sechs Monaten ein tägliches Indoor-Radtraining durch. Vor und nach den sechs Monaten wurden die Gehirne der Versuchsgruppe genau mit denen einer Kontrollgruppe verglichen, die kein Training absolvierte. Eine deutliche Zunahme der Verbindungen zwischen den Nervenzellen (Synapsen) konnte eindeutig festgestellt werden.
In einer taiwanesischen Studie ebenfalls aus dem Jahr 2015 (Tsai et al.) konnte nach einem zwölfwöchigen Radtraining auf Ergometern eine signifikante Erhöhung von BDNF gemessen werden, was die Erklärung für die in der ersten Studie verbesserte Verknüpfung der Nervenzellen darstellt.
Zusammengefasst bedeutet das: Radeln ist sozusagen Dünger fürs Gehirn, es lässt Nervenzellen wachsen und sich untereinander besser verbinden. Und dadurch wird man schlauer!
Radfahren sollte in Schule und Arbeit gefördert werden
Obwohl man eine Reihe dieser neurowissenschaftlichen Forschungsergebnisse mittlerweile auch in der Lehrerausbildung lehrt, tun sich die Entscheider in unserem Schulsystem immer noch sehr schwer, den Schülerinnen und Schülern die nötigen Bewegungszeiten einzuräumen. Gleiches gilt für Arbeitgeber.
Wirklich effektives Lernen und Arbeiten funktioniert nur mit Bewegung, am besten mit Radfahren.
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Studien zum Radfahren: Wissenschaftliche Belege für Lernen und geistige Fitness
Die Zahl der Studien, die körperliche Aktivität und geistige Leistungsfähigkeit untersuchen nimmt in den letzten Jahren zu. Manche dieser Studien sind jedoch sehr speziell, denn sie behandeln vor allem die wirksamen biochemischen Prozesse.
Eines ist jedoch sicher: Die unterschiedliche körperliche Aktivität kann immer durch Radfahren ersetzt werden und die Effekte wären die gleichen. Denn Radfahren ist eine koordinativ sehr anspruchsvolle Bewegungsform, die außerordentlich positive Anpassungsprozesse im Gehirn auslöst. Nachfolgend finden sich einige eindrucksvolle aktuelle Studienergebnisse.
Einfluss von Bewegung auf die Gesundheit: Kinder und Erwachsene
Eine aktuelle finnische Studie an über 3000 Untersuchten zeigt, dass ein hohes körperliches Aktivitätslevel in der Kindheit und Jugend das Risiko an einer Psychose zu erkranken signifikant senkt (Sormunen et al. 2017).
Bei einer Untersuchung an Erwachsenen bis zu einem Alter von knapp 50 Jahren konnte nachgewiesen werden, dass durch ein Lauftraining (vier Monate, dreimal pro Woche) das räumliche Vorstellungsvermögen und die Konzentrationsfähigkeit verbessert werden.
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Radfahren mit gleichen Effekten auf Gesundheit wie Gehen oder Laufen
In einer amerikanischen Studie (Erickson et al., 2010) mussten die Probanden der Versuchsgruppe ein Jahr lang drei Mal 40 Minuten pro Woche walken, die Kontrollgruppe absolvierte nur ein leichtes Dehntraining.
Als Ergebnis konnte bei der Sportgruppe ein Wachstum des Hippocampus um etwa zwei Prozent festgestellt werden, während die Dehngruppe einen altersgemäßen Rückgang von einem Prozent während des Untersuchungsjahres hinnehmen musste. Sport lässt das Gehirn also wachsen, ähnlich wie einen Muskel.
Die Übertragung der in den Studien aus Praktikabilität meist verwendeten Bewegungsformen Gehen oder Laufen auf das Radfahren ist ohne weiteres möglich. Radfahren führt also zu den gleichen neuronalen Anpassungsprozessen.
Psyche, Hormone und Stimmung: Glücklicher dank Radfahren
Während die meisten Effekte des Radfahrens auf den Körper hinreichend bekannt sind, bewirkt Radfahren noch viel mehr. Da wäre neben den hier beschriebenen Auswirkungen auf das Gehirn zum Beispiel der positive Effekt auf die Psyche. Beim Radfahren werden Hormone wie Adrenalin, Testosteron, Wachstumshormone, aber auch Glückshormone wie Dopamin und Serotonin oder sogar körpereigene Morphine ausgeschüttet.
Die Glücksgefühle beim Radfahren und danach lassen sich somit physiologisch erklären. Insgesamt zeigt eine Reihe von Studien eine Stimmungsaufhellung durch Bewegung, also auch durch Radfahren.
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Radfahren wirkt positiv aufs Immunsystem
Wer häufig an Infekten der Atemwege leidet, für den kann Radfahren eine spürbare Verbesserung darstellen, denn das Immunsystem von regelmäßig Rad fahrenden Menschen ist deutlich leistungsfähiger als das von unbewegten Menschen. Somit können Infektionskeime besser bekämpft werden und die Zahl der Krankheitstage pro Jahr sinkt.
Das wurde durch Studien in Betrieben nachgewiesen, in denen Mitarbeiter an Programmen teilnahmen, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. Die Steigerung der Leistungsfähigkeit des Immunsystems basiert auf einer Zunahme einzelner weißer Blutkörperchen und vor allem in einer Zunahme ihrer Leistungsfähigkeit sowie immunrelevanter Substanzen im Blut.