ADFC: 40 Jahre Lobbyarbeit – Scheuer zu Gast
40 Jahre ADFC: Nicht feiern, arbeiten
ADFC: 40 Jahre Lobbyarbeit – Scheuer zu Gast
in Hintergrund
Der Bundesverkehrsminister kommt mit dem Rad. Das sei im Verkehrsgewusel in Berlin Mitte deutlich schneller als seine Dienst-Limousine. Nicht für diese Aussage, sondern für seine deutlichen Worte vor den rund 300 Symposiumsteilnehmern erhält er langanhaltenden Applaus. Das ist nicht selbstverständlich. „Noch vor zehn Jahren wäre sowas undenkbar“, sagt Moderator Hajo Schumacher. Denn Verkehrspolitik ist in der Vor-Scheuer-Zeit vor allem eines gewesen: Autopolitik. Die Bundesverkehrsminister waren lange Zeit Personae non Grata beim ADFC. Und das war auch kein Problem. Denn zum „Fahrradverein“ wären sie ohnehin nicht gekommen. Warum Scheuer also nun solch einen warmen Empfang erhält? Weil er dem Fahrradverkehr in Zukunft höchste Priorität einräumen will.
Worten müssen Taten folgen – ein Kommentar
Fast 1,5 Milliarden Euro für den Radverkehr bis 2023: ADFC ist gefragt
Mit im Gepäck hat Scheuer knapp 1,5 Milliarden Euro, die der Bund bis 2023 über das Klimapaket in den Radverkehr investieren will. Weil aber nicht nur das Bereitstellen des Geldes wichtig sei, wolle Scheuer alle Akteure an die Hand nehmen und anleiten. „Denn zurzeit ist der fehlende Mittelabfluss unser größtes Problem“, so Scheuer. Rund 20 Prozent des Geldes für Fahrradinfrastrukturprojekte werde gar nicht verwendet. Da sei der ADFC gefragt, dieses „Luxusproblem“ in den Griff zu bekommen. Im Bundesverkehrsministerium wolle er zudem die Möglichkeit schaffen, etwa Kommunen gezielt zu unterstützen. Es gelte, Vorbehalte abzubauen und mutig zu sein. „Wenn Paris auf den Straßen Autospuren für Radfahrer freigeben kann, entschuldigung, dann kann das eine deutsche Stadt auch“, sagt Scheuer.
Unterschiedliche Zuständigkeiten
Grund für die Aussagen Scheuers: Für die allermeisten Fahrradwege sind Kommunen zuständig – also Städte und Gemeinden sowie Landkreise. Der Bund stellt zwar Mittel zur Verfügung, darf sie aber allzuoft nicht selbst ausgeben. Wenn nun also die Kommunen in Deutschland nicht genug Radwege bauen, bleibt der Bund auf dem Geld sitzen. „So übertragen wir viel Geld einfach von Haushalt zu Haushalt“, so Scheuer.
Scheuer beim ADFC-Jubiläum: Bundesstraßen sollen immer Radwege bekommen
Bei Bundesstraßen wolle Scheuers Verkehrsministerium nun mit gutem Beispiel vorangehen: „Ich habe angeordnet, dass jede Bundesstraße, die neu gebaut oder saniert wird, zwangsläufig einen Radweg bekommt. Das müssen die Planer in Zukunft immer mitdenken.“ Nur in gut begründeten Ausnahmefällen solle es möglich sein, eine Bundesstraße ohne Radweg zu planen. Und auch an Bundeswasserstraßen sollen es in Zukunft mehr Radwege geben. Denn dort gebe es heute schon gut ausgebaute Versorgungswege. „Die sind zwar nicht alle asphaltiert“, so Scheuer. Aber diese Schotter- und Feldwege seien für Radfahrer trotzdem meist hervorragend geeignet.
40 Jahre ADFC: Rückblick und Bestandsaufnahme.
Radwege an Wasserstraßen dürfen nicht an Versicherungsfragen scheitern
Noch aber stünden Haftungsprobleme einer Freigabe der Versorgungswege entgegen. Denn die anliegenden Kommunen und die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes seien sich bei diesem Thema noch uneins. „Es kann aber nicht sein, dass eine Freigabe dieser vor allem touristisch reizvollen Wege an Versicherungsfragen scheitert“, poltert Scheuer. Allerdings: Die zuständige Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes untersteht seinem Ministerium.
ADCF-Vorsitzender Syberg: Bürgermeister müssen mutig sein
Ulrich Syberg, der Bundesvorsitzende des ADFC, ruft daraufhin die Bürgermeister in Deutschland dazu auf, mutig zu sein. „Es sind dicke Bretter, die gebohrt werden müssen. Aber es lohnt sich.“ Heute sei hinlänglich bekannt, dass Innenstädte nicht verödeten, sobald der Autoverkehr drastisch reduziert wird. Die Lebensqualität steige deutlich. Auch wenn Kritiker der Verkehrswende immer wieder das Gegenteil behaupteten. Daher müssten die politisch Verantwortlichen sich diesen Diskussionen stellen und Gegenwind aushalten. Denn am Ende stünde mehr Lebensqualität für alle.
ADFC präsentiert Beispiele für saubere, lebenswerte, prosperierende Städte und Gesellschaften
Dänemark
Anhand zahlreicher Beispiele aus dem Ausland demonstriert der ADFC, dass fahrrad- und fußgängerfreundlichen Städten die Zukunft gehörten. Klaus Bondam vom dänischen Fahrradverband Cyklistforbundet etwa zeigt, dass in Kopenhagen inzwischen nur noch 32 Prozent der Menschen regelmäßig Auto fahren. Gerade einmal 27 Prozent der Pendlerstrecken in Dänemarks Hauptstadt würden mit Autos zurückgelegt, aber 49 Prozent mit dem Fahrrad. Einer dänischen Studie zufolge spare jeder Kilometer, der mit dem Rad statt mit dem Auto zurückgelegt wird, der Gesellschaft Kosten von rund 90 Cent. Unter anderem wegen des positiven Effekts auf die Gesundheit. Zur Einstellung der Dänen zum Radfahren zitiert Bondam seinen Verkehrsminister Benny Engelbrecht: „Fahrräder können nicht die Welt retten. Sie sind aber verdammt nah dran.“
Niederlande
Für Saskia Kluit vom niederländischen Fahrradverband Fietsersbond ist das Fahrrad ein sehr demokratisches Verkehrsmittel. Denn fast jeder könne Radfahren. Unabhängig von Alter und Gehalt. Außerdem skizziert sie den Weg der Niederlande hin zur wahrscheinlich fahrradfreundlichsten Gesellschaft der Welt. Denn in den 1960er- und 1970-er Jahren war unser Nachbarland ähnlich autofreundlich wie Deutschland. Aber die Zahl der Verkehrsunfälle stieg rasant, vor allem in den Städten. Frei von industriellen Zwängen baute die Niederlande ihre Infrastruktur rigoros um. Heute fahren die Niederländer selbstverständlich Rad. Kaum noch jemand erinnert sich an die Zeiten, als Städte autofreundlich gestaltet werden sollten. Und wichtiger noch: Fast niemand will dorthin zurück.
Paris
Margot Besson von der Abteilung Verkehr der Stadt Paris stellt die aktuellen Verkehrsprojekte in der französischen Hauptstadt vor. Anhand zahlreicher Fotos demonstriert sie, wie sich die Infrastruktur nach und nach wandelt. So gibt es inzwischen auf den Champs-Élysées mit seinen acht Autospuren auch einen baulich getrennten Radweg. Das Südufer der Seine ist gänzlich autofrei. „Dort hat sich eine wunderbare urbane Mischung ergeben“, berichtet Besson. „Morgens und Nachmittags fahren hier die Pendler mit ihren Fahrrädern, Mittags kommen die Flaneure, am Abend treffen sich die Pariser zum Feierabendbier.“ Der erwartete Verkehrskollaps sei ausgeblieben.
Barcelona
Besonders spannend ist derzeit der Ansatz von Barcelona. In der katalanischen Metropole wird der städtische Verkehr derzeit nach dem Superblock-System umgestaltet. Cynthia Echave, Agentur für Stadtökologie in Barcelona, stellte das Konzept vor. Große Einfallstraßen wickeln dabei den überregionalen und den Einpendelverkehr ab. Nebenstraßen werden so gestaltet, dass „Abkürzungen“ nicht mehr möglich sind. In Seitenstraßen zu fahren lohnt sich durch intelligente Einbahnstraßenregelungen nur noch für Anlieger. Die Geschwindigkeit dort ist auf 10 Stundenkilometer beschränkt. Sechs dieser Superblöcke gibt es bereits, am Ende der Umgestaltung sollen es in Barcelona 500 sein. Verknappter Verkehrsraum und wenige Parkplätze machen das Auto für Stadtbewohner unattraktiv. Gleichzeitig erfahren Radfahrer, Fußgänger und die Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel deutliche Vorteile.