Fahrrad, Stadt, Copenhagenize, Mobilität

Fahrrad im Fokus: Stadtplaner Mikael Colville-Andersen im Interview

Fahrrad im Mittelpunkt: Interview mit Stadtplaner Mikael Colville-Andersen

Fahrrad im Fokus: Stadtplaner Mikael Colville-Andersen im Interview

Der Stadtplaner und Mobilitätsexperte Mikael Colville-Andersen entwirft moderne Verkehrsinfrastrukturen für Städte weltweit - mit dem Fahrrad im Mittelpunkt.
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Der Kopenhagener Experte für urbane Mobilität arbeitet mit Städten weltweit an der erfolgreichen Umsetzung einer modernen Verkehrsinfrastruktur, die das Fahrrad in den Mittelpunkt aller Planungen stellt. In der aktiv Radfahren Ausgabe 05/2020 haben wir mit ihm über die Radfahrqualität deutscher Städte gesprochen. Außerdem hat er uns erklärt, warum er sich nicht strikt an die dänischen Radverkehrs regeln hält.

Copenhagenize als Lösung

„Copenhagenize“, der Umbau von Städten zu lebenswerteren, gesünderen Lebensräumen nach dem Vorbild Kopenhagens, mittels konsequenter Bevorzugung des Fahrrads als Verkehrsmittel – diesen Begriff hat der dänisch-kanadische Designer urbaner Mobilität, Mikael Colville-Andersen, weltweit erfolgreich geprägt.

Auf dem Fahrrad durch die Stadt: Gefahrenquellen, Risiken, Tipps

Wie das „Kopenhagenisieren“ funktioniert, hat er in seinem gleichnamigen Buch „Copenhagenize“ veranschaulicht. In seiner Heimatstadt Kopenhagen stark in die dortige Weiterentwicklung des Verkehrssystems und Radwegenetzes involviert, sammelt und analysiert der 52-Jährige dazu die (Rad-) Verkehrsströme oder untersucht das Verkehrsverhalten von Radlern, die nicht regel konform fahren. Ziel: Das Radwegenetz in Kopenhagen stetig verbessern.

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Mikael Colville-Andersen ist Experte für urbane Mobilität.

Nicht von ungefähr kommt es, dass in der dänischen Radfahrmetropole auch in den kalten Wintermonaten viele Leute im Radsattel zur Arbeitsstelle pendeln. Bemerkenswert: Colville- Andersen hantiert bei der Umsetzung seines Ziels fahrrad- und umweltfreundlicher Städte nicht mit technischen Details, wie etwa Radweg-Mindestbreiten, sondern denkt eine Radinfrastruktur stark vom Menschen aus. Wie muss sie beschaffen sein, um gern genutzt zu werden?

Mobilität mit dem Fahrrad

Colville- Andersens gesunder Pragmatismus in puncto Radinfrastruktur-Entwicklung steht hoch im Kurs. Seine Expertise bringt er als beratender Experte für städtische Mobilität ebenso in Städten ein, die man nicht unbedingt mit einer entstehenden Radinfrastruktur assoziieren würde. Die US-Autostadt Detroit ist so ein Beispiel.

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Sich selbst mag Mikael Colville-Andersen nicht so recht als leidenschaftlichen, an Fahrradtechnik interessierten Ciclista bezeichnen: Er fahre Rad allein wegen der schnellen, unkomplizierten Fortbewegung. Das mutet ein wenig kurios an für einen, der mit seinem bekannten Blog „Cycle Chic“ fotografisch ansehnlich dokumentierte, wie gekonnt man in Kopenhagen das effiziente Fortbewegungsmittel Fahrrad mittels eleganter, betont lässiger Alltagskleidung zum zeitlos ästhetischen Kulturgut erheben kann.

Das Rad spielt bisweilen auch in Colville-Andersens TV-Dokumentationsserie „The life-sized city“ – für die sich der Stadtdesigner mit weltweiter, positiver Stadtentwicklung beschäftigt – eine Rolle.

Fortbewegung im Fokus

Herr Colville-Andersen, Sie kennen Köln vom Fahrrad aus. Ein großer Spaß?
Colville-Andersen: Zunächst mal: Ich bin kein Radfahrer und habe nicht unbedingt Spaß, wenn ich Rad fahre. Für mich geht es hier um Fortbewegung, ich will von A nach B kommen. Und das Fahrrad ist eine moderne Form, um sich in der Stadt zügig fortzubewegen. Nun zu Köln: nein (lacht)! Eine Radinfrastruktur gibt es lediglich über kurze, schmale Strecken, von denen keine bestmöglich umgesetzt ist.

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Offensichtlich bevorzugt die Stadt den Radverkehr nicht; Radfahrer sind hier Bürger zweiter Klasse. Spaß hat das Radfahren dort also keinen gemacht, die Stadt und die tollen Leute hingegen schon. Vergleicht man, was in puncto Radinfrastruktur andernorts in Europa passiert, ist Köln weit hinterher. Mag sein, dass es hier mehr Radfahrer als in anderen Städten gibt, aber die Stadt berücksichtigt ihre Bedürfnisse nicht.

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Bei der Entwicklung der Infrastruktur für Radwege in Kopenhagen ist Mikael Colville-Andersen stark involviert.

Wie lange brauchen deutsche Städte, um eine gute Radinfrastruktur zu entwickeln?
Keine Ahnung, ich kenne die politische Situation nicht. Berlin – mit 13 Prozent Radverkehrsanteil eine der 20 fahrradfreundlichsten Städte weltweit – hat gute Chancen, sein Radnetz weiter auszubauen und Fußgänger, Radfahrer sowie öffentliche Verkehrsmittel an erste Stelle zu setzen. Das könnte in Berlin recht schnell geschehen; Köln muss deutlich aufholen.

Fahrrad Comeback in München

In Städten wie München merkt man, dass das Fahrrad ein Comeback als Verkehrsmittel feiert. Dort wird der Weg zu einer fahrradfreundlichen Stadt, die auf Augenhöhe mit Kopenhagen oder Amsterdam agiert, einfacher sein. Unglaublich schwierig: Den Radverkehrsanteil einer Stadt auf fünf Prozent zu hieven, liegt dieser deutlich darunter. Der Sprung von zehn auf 30 Prozenz ist dagegen leicht – es braucht nur Radinfrastruktur!

Was können deutsche Städte von der Radfahrmetropole Kopenhagen lernen?
Eine gute Radinfrastruktur, die konsequent auf Radfahrer ausgerichtet ist, über geschützte Radwege entlang aller Hauptstraßen verfügt und in ein Radnetz integriert ist, das das Velo innerstädtisch zum schnellsten Transportmittel von A nach B macht. Und zwar in jeder Stadt – ungeachtet von Topographie und Klima. Wenn man morgens den Fuß vor die Tür setzt, muss das Fahrrad ganz selbstverständlich als bestes Verkehrsmittel an erster Stelle stehen.

Nachhaltigkeit nicht der Hauptgrund

Ziel ist es, ein Radnetz umzusetzen, das das Rad zum Standard macht, um sich schnell in und um die Stadt fortzubewegen. In Dänemark lieben wir Datenerhebungen. Deshalb wissen wir, dass die überwiegende Mehrheit der Leute in Kopenhagen Rad fährt, weil es der schnellste Weg von A nach B ist. Dann gibt’s noch eine Gruppe, die Rad fährt, weil sie weiß, dass es ihre Gesundheit fördert und nur etwa sechs Prozent sagen aus, Rad zu fahren, weil es günstig ist. Lediglich ein Prozent radelt aus Umweltgründen.

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In Kopenhagen werden im Winter die Radwege zuerst geräumt.

Warum hat das Fahrrad so eine gesundende Wirkung auf das urbane Leben?
Sie verschmutzen die Luft nicht, sind leise. Wenn ich mich um 8:15 Uhr an der meist frequentierten Radfahrstraße der Welt in Kopenhagen, mit 40.000 Radfahrern pro Tag, auf eine Bank setze, höre ich nur quietschende Fahrräder und manchmal sogar Vogelgesang. Das Rad ist zudem die Fortbewegungsart, die dem Menschen am besten gerecht wird.

Wir können einander in der Stadt sehen und uns gegenseitig wahrnehmen, wenn wir zusammen mit 150 anderen Radfahrern vor einer roten Ampel stehen. Sogar flirten können wir auf dem Fahrrad! Man agiert miteinander, was eine Stadt menschlicher macht. Im Auto sitzt du in einem Käfig aus Stahl und Glas – eine entmenschlichende Form der Fortbewegung. Und erst die Gesundheitsvorteile!

Radfahrer leben länger

An jedem per Rad zurückgelegten Kilometer in Dänemark verdienen wir 23 Cent: Radfahrer leben sieben Jahre länger und sind zeitlebens seltener krank. Somit gibt man weniger Geld für ihre Genesung aus. Für jeden im Auto gefahrenen Kilometer geben wir dagegen 89 Cent aus – das schlechteste Geschäftsmodell der Verkehrsgeschichte.

Wie hat man es in Kopenhagen geschafft, dem Velo ein cooles Image zu verleihen?
Das Fahrrad war 70 Jahre lang in jeder Großstadt der Welt ein gewohntes Bild. Deutschland war eine der großen Radnationen und rangiert noch unter den Top 5, das Rad ist also so normal wie in Kopenhagen. Hier haben wir den Leuten nicht gesagt, dass das Rad „cool“ ist.

Wir haben nur pragmatisch gehandelt, als wir es zum besten Verkehrsmittel gemacht haben, um zügig von A nach B zu kommen. Das verstehen die Menschen. Schließlich sind wir wie Flüsse: Wir finden immer den schnellsten Weg. Und wenn das per Rad funktioniert, nutzen die Leute es. So einfach ist das! Übrigens fahren die Leute deshalb hier auch bei Regen.

Einiges muss doch bei der städtischen Verkehrsplanung vielerorts falsch laufen?
Man lässt die falschen Leute ran. Vor allem in Deutschland, als starkes Entwicklerland, konzentriert man sich unheimlich stark auf seine Verkehrsingenieure, anstatt seine Radinfrastruktur von kompetenten Leuten entwickeln zu lassen. In deutschen Städten ist dies das Hauptproblem.

Öffentlicher Raum für Fahrräder

Verkehrsingenieure sind primär geschult, Autos möglichst flüssig durch die City zu bewegen und versuchen deshalb, Fahrräder in ihr fürs Auto optimierte Straßensystem zu pressen. Das funktioniert nicht! Stattdessen muss der öffentliche Raum pro Rad umverteilt werden, die Straßen wieder demokratisiert werden. Konkret: Radfahrern, Fußgängern und öffentlichen Verkehrsmitteln muss mehr Platz zugesprochen werden.

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Hinzu kommt fehlendes Wissen darüber, was eine optimal umgesetzte Radinfrastruktur ausmacht. In Deutschland sieht man bisweilen Radinfrastruktur, bei der man sich fragt: Wer hat sich das ausgedacht? Verglichen mit den meisten anderen Städten weltweit, ist Berlin ein gutes Pflaster für Radfahrer. Zugleich mutet es wie ein Museum für Radinfrastruktur an. Von einigen der dortigen Entwicklungen hat man sich in Dänemark und den Niederlanden in den 1970ern verabschiedet, weil sie nicht funktionierten.

Welche europäische Stadt entwickelt sich aus Radfahrperspektive besonders positiv?
Vorzeigestadt war lange das spanische Sevilla. In nur vier Jahren hat man es dort geschafft, den Radverkehrsanteil von 0,2 Prozent auf sieben Prozent zu steigern. Wie? Radinfrastruktur! Blitzschnell wurde ein erfolgreiches Radwegenetz geschaffen. Das soll nun ausgebaut werden. Geschieht das, kann der Radverkehr locker auf 20 Prozenz wachsen. Paris ist ein weiteres Top-Beispiel.

Öffentlicher Verkehr und Fahrrad

Vor zehn Jahren war fast niemand mehr per Rad in der Stadt unterwegs, jetzt erlebt das Pariser Zentrum dank Radwegen und Bike-Sharing fünf Prozent Radverkehrsanteil! Paris strebt zudem eine bessere Verzahnung zwischen Rad und öffentlichen Verkehrsmitteln an. Und Oslo, Radfahrstadt der Stunde! In den letzten vier Jahren wurden hier 7500 Autoparkplätze entfernt; derzeit ein 104-km Radnetz errichtet. Die Stadt zieht das durch, weil sie weiß, dass die Leute auf geschützten Radwegen fahren.

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Colville-Andersen hat ein Buch über moderne Verkehrsinfrastruktur geschrieben.

Die Verkehrsplanung zwingt Radfahrer ja durchaus dazu, sich kreativ im Straßenverkehr zu bewegen. Halten Sie sich immer an die Verkehrsregeln?
Nein, absolut nicht (lacht). Viele dieser Verkehrsregeln wurden mit einer sehr automobilen Mentalität entwickelt, weshalb ich sie ablehne. Nicht alle  – eine rote Ampel ist eine rote Ampel! –, aber indem ich die gängigen Verkehrsregeln kreativ interpretiere, verbessere ich den Verkehrsfluss und trage positiv zum Verkehrsgeschehen in der City bei.

In Dänemark stammen viele Verkehrsregeln, die Radfahrer betreffen, noch aus den 1950ern, als es eine Autolobby gab, die Verkehrsregeln etablierte, die man heute nicht mehr umgesetzt bekäme. Das ist, als würde man von Tennisspielern verlangen, nach Rugby-Regeln zu spielen – es macht absolut keinen Sinn.

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