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Heckmotoren für das E-Bike: Leise, kraftvoll – unterschätzt?

Auf Schleichfahrt

Heckmotoren für das E-Bike: Leise, kraftvoll – unterschätzt?

Der junge Fahrradbauer Klever ist eines der wenigen Unternehmen auf dem deutschen Fahrradmarkt, das ausschließlich auf Heckmotoren setzt. Das hat nicht nur mit der Konzernmutter Kymco zu tun, einem der größten Hersteller von Leichtkrafträdern und E-Scootern. „Nein, wir sind vom Heckmotor komplett überzeugt“, sagt Niklas Lemm, Business Unit Manager von Klever für Deutschland, Österreich und die Schweiz.
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Vor drei Jahren erschütterte ein Beben die E-Bike-Szene. Binnen weniger Wochen verkündeten die Platzhirsche im Heckmotoren-Segment – Go SwissDrive aus der Schweiz und BionX aus Kanada – fast zeitgleich ihr Aus. Der Trend zu immer kraftvolleren Mittelmotoren und der anhaltende E-Mountainbike-Boom, ergänzt durch offroad-taugliche E-SUVs, setzte dem Hinterrad-Nabenmotor zusätzlich zu. Inzwischen aber holt er wieder auf. Nicht zuletzt Neodrives, die Radmotor-Sparte von Alber aus Baden-Württemberg, hat die Go SwissDrive-Lücke gefüllt. Dazu kommt Mahle, ebenfalls aus dem Ländle, das mit seinem X35 vor allem im sportiven Urban- und Gravelbike- sowie Rennrad-Segment zuhause ist. Auch Bafang baut neben Mittelmotoren in großer Stückzahl Heckantriebe. Sie alle aber sind reine Motorenhersteller. Klever hingegen baut auch die Fahrräder zum hauseigenen Biactron-Antrieb – so wie das spanische Start-up Rayvolt und der Heidelberger Urban-Bike-Pionier Coboc. Beide entwickeln ihre Heckmotoren selbst.

Heckmotoren, Ansicht, Hinterradnabe

Heckmotoren sitzen direkt an der Hinterradnabe

Unschlagbar im S-Pedelec

Anders als Rayvolt und Coboc verstehen sich die Kölner vor allem als S-Pedelec-Produzenten. „Sie machen etwa 80 Prozent unseres Absatzes aus“, sagt Niklas Lemm, Business Unit Manager von Klever für Deutschland, Österreich und die Schweiz.

Vor allem in Belgien und der Schweiz verkauft Klever die schnellen E-Bikes mit Unterstützung bis 45 km/h in großer Zahl. „Bei diesen Geschwindigkeiten sind Heckmotoren den Tretlagermotoren klar überlegen“, so Lemm. Mehr noch. „Wir setzen darauf, dass in Zukunft die 45-km/h-Obergrenze nach oben hin verschoben wird.“ Denn aktuell sind S-Pedelecs trotz ihres Tempos dem typischen „Überholzwang“ von Autofahrern unterworfen. „Der ist leicht erklärt: Fährt ein S-Pedelec auf einer Hauptverkehrsstraße die erlaubten 45 Stundenkilometer, empfinden ihn viele Autofahrer als zu langsam – obwohl es um nur wenige km/h Unterschied geht.“ Darum versuchten Autofahrer oft, S-Pedelecs zu überholen. So komme es zu gefährlichen Situationen. Der Ausweg, so Niklas Lemm: „S-Pedelecs sollte es erlaubt sein, ebenfalls etwa 50 km/h zu fahren. Dann entfällt dieser Überholzwang.“ Dadurch werde das S-Pedelec-Fahren sicherer, trotz höherer Geschwindigkeit.

Um dann aber die Geschwindigkeit auch konstant halten zu können, braucht es einen gerade bei hohem Tempo gleichmäßig unterstützenden Antrieb. „Und den gewährleistet der Heckmotor viel eher als der Mittelmotor, der dafür bei sehr geringem Tempo und in steilen Anstiegen seine Vorteile hat.“

Klever, Heckmotor, Einblick, Innenansicht

Kupferspulen, Elektronik, Metallkörper – das alles bleibt starr. Nur der äußerste Metallring und die Verkleidung des Motors bewegen sich. Das führt zur unschlagbaren Laufruhe des Heckmotors

Heckmotoren: In der Praxis kein Kraftunterschied

Da Heckmotoren ohne interne Übersetzung arbeiten, dreht der Motor immer nur so schnell wie das Hinterrad. Daher reagieren sie beim Anfahren etwas träger als Mittelmotoren, die wegen dieser internen Übersetzung schnell höhere Drehzahlen erreichen. Sie haben zudem auf dem Papier weniger Drehmoment als Mittelmotoren. Deren Power wird aber über Kette oder Riemen und die Gangschaltung ans Hinterrad abgegeben. Das sorgt für Verluste, die Motorkraft wird nicht eins zu eins in Vortrieb umgesetzt.

In der Praxis sind Heckmotoren deshalb dem Mittelmotor ebenbürtig – auch wenn die Charakteristiken der beiden Antriebsarten recht unterschiedlich sind. Ab etwa zehn Stundenkilometern spüren Fahrer die geballte Power der Heckmotoren – und die reißt dann auch bis zur Unterstützungsschwelle nicht mehr ab. Sie entfaltet sich harmonisch, bei schnellen Pedelecs ohne Verluste bis 45 km/h. Mittelmotoren hingegen zeigen ihre Vorteile beim Anfahren und bei niedrigen Geschwindigkeiten, etwa in steilen Anstiegen.

Der vergleichsweise einfache Aufbau der Hinterradantriebe hat weitere Vorzüge: Nur der äußere Magnetring und die Verkleidung des Motors drehen sich, die meisten Bauteile im Innern des Motors bleiben starr. So ergibt sich eine enorme Laufruhe in gleich zweierlei Hinsicht. Zum einen sind Heckmotoren deutlich leiser als andere Antriebe. Zum zweiten entstehen so wesentlich weniger Vibrationen als beim Mittelmotor mit seinen zahlreichen mechanischen Bauteilen. Insbesondere Tourenfahrer wissen das sehr zu schätzen, denn dank des leisen Laufs lässt sich die Umgebung ohne störende Geräuschkulisse genießen.

Stephan Kümmel, Niklas Lemm, Klever

„Bei Geschwindigkeiten bis 45 Stundenkilometern sind Heckmotoren den Tretlagermotoren klar überlegen.“ Niklas Lemm (rechts) im Gespräch mit ElektroRad-Redaktionsleiter Stephan Kümmel

Keine Sprünge, keine Probleme

Die Gewichtsverteilung bei Heckmotoren-Pedelecs wird oft als ungünstig kritisiert. Das sieht Lemm anders. „Der Motor sitzt zwar am Hinterrad, aber der Akku ist bei unseren Rädern sehr mittig angebracht.“ Das führe zu einer insgesamt ausgewogenen Gewichtsverteilung.

Ein mehr in der Bikemitte zentriertes Antriebsgewicht sei ohnehin vor allem für E-Mountainbikes relevant, die etwa bei Sprüngen öfter den Bodenkontakt verlieren. „Bei unseren S-Pedelecs, Stadt- und Tourenrädern spielt das keine Rolle. Darum ist die Gewichtsverteilung für diese Räder unserer Ansicht nach ideal.“ Das Mehrgewicht am Hinterrad sorge sogar für etwas mehr Grip.

Rayvolt, Heckmotoren, Barcelona, E-Bike

Rayvolt aus Barcelona (auf dem Foto das Beachin‘) setzen ebenso wie Coboc und Klever auf Heckmotoren aus eigener Entwicklung

Kaum Unterschied zum Fahrrad

Ähnlich argumentiert auch Mathieu Rauzier von Rayvolt. Bei dem stark vom Motorrad inspirierten Design der Katalanen spiele die Gewichtsverteilung ohnehin kaum eine Rolle – die langgestreckten Bikes mit sehr breiten Reifen liegen sehr satt auf der Straße. Bei Coboc arbeiten David Horsch und sein Team mit sehr leichten, etwas weniger kraftvoll unterstützenden Motoren. Darum unterscheiden sich Fahrverhalten und Gewichtsverteilung kaum von klassischen Fahrrädern, in denen etwa eine hochwertige Nabenschaltung verbaut ist.

Bei der Entwicklung seiner Motoren greift Klever auf die Erfahrung und das Wissen der Konzernmutter Kymco zurück. „Etwa 75 Leute sind in Taiwan für Klever angestellt“, erklärt Lemm. Ein Teil davon kümmert sich um die Entwicklung, der andere Teil ist für die Produktion zuständig. Ganz genau ließe sich das nicht beziffern. „Die Teams bei Kymco wechseln regelmäßig. So profitieren unsere Entwickler von den unterschiedlichen Segmenten.“ Durch die Rotation flößen etwa Wissen und Erfahrungen aus dem Scooter-Bau in die Entwicklung der E-Bike-Motoren ein und umgekehrt.

Der Bau von Kleinkraft-Elektromotoren für Kickscooter, Pedelecs und S-Pedelecs, größere Scooter und weitere Mobile sorge zudem für eine Größe, die Klever weniger anfällig für Veränderungen des Marktes mache als damals die hochspezialisierten Motorenhersteller von Go SwissDrive und BionX.

„Wir wissen, was der Antrieb kann“

So sei Klever gerüstet, in Zukunft schnell auf die Erwartungen der E-Bike-Fahrer eingehen zu können.

Und da Klever insbesondere bei schnellen Pedelecs in Zukunft einen deutlich wachsenden Markt in Europa sieht, sei eine erneute Heckmotoren-Krise nicht zu erwarten. Oder wie Niklas Lemm sagt: „Wir wissen, was der Antrieb kann. Und das wissen auch immer mehr E-Biker.“

Diesen Artikel lesen Sie in der ElektroRad 4/2022Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.

S-Pedelecs, E-Bike

Vor allem S-Pedelecs profitieren von den kultivierten Heckmotoren. Aber auch bei klassischen E-Bikes geht es ab etwa zehn Stundenkilometern richtig ab

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