Mit E-Cargobike zur Entbindung: Interview mit Grünenpolitikerin Julie Anne Genter
Im Interview: Grünenpolitikerin Julie Anne Genter über Ihre Cargobikefahrt
Mit E-Cargobike zur Entbindung: Interview mit Grünenpolitikerin Julie Anne Genter
in Persönlichkeiten
Ende November sorgte eine Nachricht aus Neuseeland für weltweites Aufsehen. Die Verkehrspolitikerin Julie Anne Genter war zur Entbindung ihrer Tochter mit dem E-Cargobike ins Krankenhaus gefahren.
Selbst am Steuer und mitten in der Nacht. Wie es dazu kam, wie es gelaufen ist und welchen Stellenwert das Fahrrad im Leben der 42-Jährigen schon immer besitzt, hat uns die Grünenpolitikerin ausführlich erzählt. Ebenso, wie sie die Radinfrastruktur in deutschen Städten wahrnimmt.
Frau Genter, die wichtigste Frage gleich zu Beginn: Wie geht es Ihnen und Ihrer Tochter im Januar 2022?
Uns geht es bestens. Meine Maia entwickelt sich prächtig und ich genieße meinen noch bis April andauernden Mutterschutz.
Mit dem E-Cargobike Richtung Kreißsaal
Und nun sind wir neugierig, wie es in der Nacht auf den 28. November 2021 zu Ihrer Lastenradfahrt kam …
Fangen wir mal so an: Ursprünglich geplant war, dass mein Partner mit mir vorne im Cargobike sitzend Richtung Klinik fährt. Wir stellten aber fest, gemeinsam mit der Tasche wäre die Last zu schwer und ihm fehlte die Fahrpraxis dafür.
So entschieden wir kurzerhand, dass ich selbst in die Pedale trete und er mit seinem E-Bike nebenher fährt. Es war zwei Uhr in der Nacht, die Straßen waren leer und die Fahrt ins Wellingtoner Krankenhaus dauerte ohnehin nur ein paar Minuten.
Sorgen, dass unterwegs etwas schief gehen könnte, hatten Sie nicht?
Für solche Gedanken hatte ich gar keine Zeit (lacht). Im Ernst: Ich bin während meiner gesamten Schwangerschaft mit dem Fahrrad gefahren, also fiel es mir nicht schwer, dies auch am Tag der Geburt zu tun. Wahrscheinlich war es für mich sogar die optimale Position, um die Wehen zu erleben. In der Transportbox sitzend, hätte ich mich selbst ja gar nicht bewegen können.
„Das Pedaltreten auf dem E-Cargobike hat abgelenkt“
Ich hatte drei Wehen während der Fahrt, aber die Schmerzen waren leichter zu ertragen, weil ich durch das Treten der Pedale abgelenkt war. Meine Hebamme meinte später, dass die Wehen durch die Tretbewegung besser vorankamen. Angekommen im Krankenhaus, dauerte es nur noch 40 Minuten, bis meine Tochter geboren wurde. Außerdem brauchte ich keine Schmerzmittel.
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Auch das Krankenhauspersonal war überrascht, wie schnell und einfach die Geburt verlief. Ob das nun maßgeblich darauf zurückzuführen ist, dass ich mit dem Fahrrad zum Krankenhaus gefahren bin? Vielleicht war es auch einfach nur Glück.
Also doch keine Handlungsempfehlung für radaffine werdende Mütter?
Wer sich in den frühen Wehen befindet, gerne Rad fährt und ein gutes Fahrrad dafür hat, dem kann ich das schon empfehlen. Für mich selbst war das Radfahren während meiner gesamten Schwangerschaft eine tolle Möglichkeit, in Bewegung zu bleiben.
… und das ja auch nicht zum ersten Mal, richtig?
Ich bin eine Wiederholungstäterin, stimmt (lacht). Bei meinem ersten Kind hatte ich 2018 auf eine Hausgeburt gehofft. Aber mein Sohn war bereits in der 42. Woche, sodass ich ins Krankenhaus musste, um seine Geburt einleiten zu lassen.
Zweite Fahrt ins Krankenhaus
Es war ein wunderschöner Tag und ich hatte einfach Lust, eine Radtour zu machen. Wir wohnten in der Nähe des Krankenhauses in Auckland und es war wirklich beruhigend für mich, mit dem Fahrrad zu fahren. Ein schöner Tag ohne Verkehr – perfekt für eine Fahrradtour!
Kommen wir mal zu Ihrem Werdegang und der Arbeit als Politikerin für die grüne Partei Neuseelands. Welche Rolle spielt(e) das Fahrrad dabei?
In Amerika geboren und aufgewachsen bin ich in einer Gegend, die sehr vom Auto abhängig war. Erst als ich mit 22 Jahren nach Frankreich zog, begann ich, fast alle Strecken mit dem Fahrrad zurückzulegen. Ich arbeitete am Toulouser Stadtrand und war mit dem Rad viel schneller als mit der Metro.
Fahrrad statt Auto: Diese Punkte sollte man beachten
Seither liegt mir das Thema Verkehr am Herzen, denn ich habe in Amerika die Erfahrung gemacht, dass das Leben in stark vom Auto abhängigen Orten sehr unangenehm ist. Es macht keinen Spaß, mit dem Fahrrad an einem Ort unterwegs zu sein, der nur auf Autos ausgelegt ist.
Professionelle Verkehrsplanerin
Wenn man Städte erlebt hat, in denen das Radfahren die normale und bevorzugte Fortbewegungsart ist, wird klar, wie wichtig Verkehr und Stadtplanung für die Entscheidungen der Menschen sind.
Das war der Grund, warum ich in die Politik gegangen bin. Als professionelle Verkehrsplanerin konnte ich sehen, wie sehr wir in diesem Bereich politische Führung brauchen, um bessere, umweltfreundlichere Optionen anbieten zu können. Nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes brauchen wir Städte und Verkehrssysteme, die in erster Linie auf die Menschen ausgerichtet sind.
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Von 2017 bis 2020 waren Sie unter anderem stellvertretende Ministerin für Verkehr und Gesundheit. Was konnten Sie in dieser Wahlperiode diesbezüglich für Verbesserungen erzielen?
Wir haben beispielsweise die Politik der Zentralregierung genutzt, um die Gemeinderäte davon abzuhalten, bei jedem neuen Bauvorhaben Parkplätze vorzuschreiben. Dies war von entscheidender Bedeutung, da Mindestparkplatzanforderungen dazu geführt haben, dass in den meisten städtischen Gebieten der größte Teil des Bodens für das Parken von Autos verwendet wurde.
Aktuelle Grünensprecherin für Verkehr
Dies wiederum hat die Grundstückspreise in die Höhe getrieben und ungewollt Autofahrten auf Kosten des öffentlichen Verkehrs, des Zufußgehens und des Radfahrens subventioniert. Als aktuelle Grünensprecherin für Verkehr sowie stellvertretende Vorsitzende des Sonderausschusses für Verkehr und Infrastruktur halte ich immer noch Vorträge zu diesem Thema.
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Im Jahr 2021 habe ich in Queenstown zwei Mal lokal gewählte Beamte und Angestellte darüber informiert, wie ihre Stadtverwaltungen und Gemeinden Alternativen zur starken Nutzung von Privatfahrzeugen schaffen könnten.
Und welches Zeugnis stellen Sie der neuseeländischen Verkehrsinfrastruktur zu Jahresbeginn 2022 aus?
Ein mittelmäßiges, würde ich sagen. Wir hinken weiterhin hinterher, wenn es um die Bereitstellung öffentlicher sowie aktiver Verkehrsmittel geht. Es gibt ein paar herausragende Infrastrukturen, wie den Light Path in Auckland.
Einiges zu tun für Auto-Alternative
Auch in Christchurch wurde in den vergangenen Jahren ein großes Netz getrennter Radwege geschaffen. In den meisten Städten gibt es jedoch noch viel zu tun, um das Radfahren oder den öffentlichen Verkehr zu einer echten Auto-Alternative zu machen.
Und im von Ihnen über 18.000 Kilometer entfernten Europa? Wie nehmen Sie die Entwicklung dort wahr?
Allen voran Kopenhagen und viele Städte in den Niederlanden haben eine fantastische Fahrradinfrastruktur. Deutsche Städte haben oft eine großartige Fahrradkultur. Bremen, Leipzig, Stuttgart und Freiburg fallen mir da ein. Und obwohl Städte wie Paris nicht von Anfang an dabei waren, haben sie großartige Fortschritte gemacht.
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Als ich 2005 in Paris lebte, gehörte ich zu den ganz wenigen, die mit dem Fahrrad fuhren. Meine Kollegen hielten mich für verrückt. Mit großer Freude beobachte ich daher, wie sich die Stadt in den zurückliegenden Jahren in eine Fahrradmetropole verwandelt hat. Das zeigt, was mit der richtigen Politik und Infrastruktur in kurzer Zeit erreicht werden kann.
Neuseeland lernt von Deutschland
… auch in Deutschland?
Ich hoffe es sehr. Für euch Bürger und meine politischen Freunde, die nun endlich wieder Teil der Regierung sind. Etwas enttäuscht bin ich, dass sie nicht das Verkehrsministerium innehaben. Verglichen mit neuseeländischen scheinen viele deutsche Städte deutlich bessere nachhaltige Verkehrsmöglichkeiten und ein sichereres Umfeld für Menschen, insbesondere für Kinder, zu bieten.
Zum Beispiel langsamere Geschwindigkeiten in Wohngebieten und erschwinglichere sowie effiziente öffentliche Verkehrsmittel. Kurz gesagt: Neuseeland hat in Bezug auf Verkehrssicherheit schon viel von Deutschland gelernt und könnte noch einiges mehr lernen.