Ex-Weltmeister Mike Kluge im Interview: Das E-Bike ist die Zukunft
Ex-Weltmeister und Fahrtrainer Mike Kluge: Das E-Bike ist die Zukunft
Ex-Weltmeister Mike Kluge im Interview: Das E-Bike ist die Zukunft
in Persönlichkeiten
Mike Kluge kennt beide Arten mit dem Fahrrad zu fahren wie seine Westen- bzw. Packtaschen.
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Nach einer erfolgreichen Profikarriere von 1988 bis 1999 auf unmotorisierten Fahrrädern lebt er seit 2012 seine Leidenschaft für E-Bikes aus. Bis heute ist er in der Elite-Klasse der einzige männliche deutsche Weltcup-Sieger auf dem Mountainbike – im Jahr 1993 fuhr er bei zwei Weltcup-Rennen als erster über die Ziellinie.
Mike Kluge: Fachmann und Unternehmer
Ein Jahr zuvor hatte er mit Freunden die Marke Focus gegründet und wurde zum Unternehmer. Kurzum: Mike Kluge hat die Entwicklungen des Fahrrades in den zurückliegenden vier Jahrzehnten aus erster Reihe erlebt. In großen Teilen sogar maßgeblich mitgeprägt.
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Stets als meinungsfreudiger Fachmann auftretend kommentierte er 2007 gemeinsam mit Timon Saatmann die Tour de France im Fernsehen. Als Berater sowie Trainer für Sicherheit und Fahrtechnik ist der gebürtige Berliner auch heute weiterhin ein gefragter Mann in der Branche – und am Puls der Zeit geblieben.
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Es war im Jahr 2012, als sich Kluge erstmals mit einem E-Bike vertraut machte, seine ersten Runden drehte und seither mindestens genauso davon schwärmt wie über jedes seiner Fahrräder zuvor. Noch mehr liegt ihm seit jeher am Herzen, dem Denken in Schubladen und Abgrenzungen Einhalt zu gebieten. Für ihn seien alle in erster Linie eines: Fahrradfahrer. Die vor allem drei Werte im Umgang untereinander vorleben sollten: Akzeptanz, Rücksicht und Freude am gemeinsamen Hobby.
Ein Gespräch mit einem Fahrradexperten über Sicherheit, Verantwortung und die Zukunft des E-Bikes.
Herr Kluge, als ehemaliger Cyclocross-Weltmeister ohne Motorunterstützung stellt sich uns gleich zu Beginn die Frage: Macht Ihnen das Bike oder E-Bike mehr Spaß?
Beides! Ich möchte mich nicht festlegen oder gar in irgendein Fach stecken lassen. Beide Arten Fahrrad zu fahren profitieren voneinander. Schlussendlich sorgt die Abwechslung für den Spaß. In den zurückliegenden Jahren hat sich meine Fahrzeit auf dem E-Bike im Vergleich zum Bike jedoch deutlich gesteigert.
Welche Gründe gibt es dafür?
In allererster Linie die vielfältigen Möglichkeiten, die das E-Bike mit sich bringt. Vieles davon habe ich erst mit der Zeit entdeckt. Mit dem Elektrorad kann ich beispielsweise sicherer im Grenzbereich fahren – was unter anderem mit der Lage der Batterie und des Motors in der Nähe des Tretlagers, also tiefsten Punkt, zu tun hat.
Wie macht sich das beim Fahren konkret bemerkbar?
Die Reaktion des Fahrrades ist ein bisschen langsamer, beispielsweise bei Nässe und losem Untergrund. Gerade für Anfänger ist das ein großer Vorteil. Je leichter ein Fahrrad ist, desto agiler und nervöser bewegt es sich. Ein weiteres Thema ist die erhöhte Sicherheit. Ein zusätzlicher Vorteil ist die erhöhte Stabilität beim Bremsen, weil ein E-Bike satter auf der Straße liegt.
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Als Mitbegründer der Marke Focus Bikes im Jahr 1992 haben Sie sich ja damals bereits dieser sicherheitsrelevanten Funktion des Fahrrades gewidmet.
Richtig. Wobei mir dabei meine Erfahrungen von Autorennen maßgeblich weitergeholfen haben. Dort wurde mir bewusst, wie fundamental wichtig es ist, dass die Bremsen richtig und top funktionieren. Nicht zuletzt, um am Ende ein Rennen zu gewinnen.
Mit dem damaligen Cross-Rad konntest du im Regen gar nicht anhalten, da sich die Gabel extrem aufgeschwungen hat. Ich war der erste mit einer hydraulischen Bremse und somit 1993 der einzige, der auf den Punkt genau anhalten konnte. In der letzten Runde konnte ich vor der entscheidenden Kurve als letzter bremsen und habe damit letztlich auch Siege eingefahren.
In Fahrsicherheitstrainings teilen Sie seit 1995 Ihre Erfahrungen. Welche Tipps geben Sie gerade bei diesem wichtigen Thema den Teilnehmern an die Hand?
Grundsätzlich ist klar: Die Bremswirkung muss geübt sein. Zu allererst gehört der Bremshebel richtig eingestellt, dass mit dem Zeigefinger die richtige Krümmung entsteht und dadurch der maximale Hebel ausgenutzt wird. Der Hebel selbst muss weiter im Zentrum platziert sein, weiter weg von den Griffgummis, sodass der Fahrer am Griffende in der Krümmung ansetzt und nicht mittendrin.
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Wie erreicht der Fahrer dann die optimale Bremswirkung während der Fahrt?
Oft beobachte ich, dass die Teilnehmer zu Beginn mit drei Fingern den Bremshebel betätigen, folglich nur noch zwei am Lenker haben. Das kann zu einem Sicherheitsrisiko werden und macht die Bremswirkung nicht besser. Ich empfehle drei bis vier Finger am Lenker für den sicheren Griff und einen, bei steilen Abstiegen zwei, an der Bremse zu haben.
Wenn die Bremse richtig eingestellt ist, sind 90 Prozent mit einem Finger machbar. Wichtig ist unbedingt die Gewichtsverlagerung nach hinten und am besten auf dem Sattelende sitzen. Das sind beispielsweise Themen, die ich bei meinem Bike-Events den Teilnehmern vermittel. Somit sind sie anschließend in der Lage, in jeder Situation sicher zum Stehen zu kommen.
Gibt es einen typischen „Bremsfehler“, den Sie immer wieder feststellen?
Ich merke, dass viele Leute aufgrund von Unwissenheit zu viel mit der hinteren Bremse arbeiten. Das verursacht eigentlich keine großartige Verzögerung, dafür aber Instabilität. Daher versuche ich meinen Teilnehmern vor allem eines beizubringen: die Vorderbremse zu beherrschen.
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Welche Schwerpunkte setzen Sie außerdem in den Trainingseinheiten?
Das richtige Ausweichen ist ein sehr wichtiger Punkt. Gerade in der Stadt kommt man schnell in Situationen, dass eine Autotür plötzlich aufgeht. Selbst erfahrene Rennfahrer sagen mir, dass sie einfach vorbeilenken würden. Bei einem Auto, das statisch auf vier Rädern fährt, ist das vielleicht möglich. Auf zwei Rädern liegt das Gewicht allerdings zentral über dem Fahrrad.
Beim Ausweichen nach links muss das Gewicht auch schnell auf diese Seite kommen – Countersteering, zu Deutsch: Gegenlenken, ist das Stichwort. Der Fahrer lenkt zunächst mit einer kleinen Bewegung zur Gefahr hin, bevor im Folgeprozess in die andere Richtung eingeschlagen wird. Etwas paradox, aber wirkungsvoll. Ähnliches Prozedere im Gelände, wenn eine Spurrille den Fahrer wie von Geisterhand anzieht.
Im Nachhinein erscheint das logisch, aber du musst erstmal darauf kommen und es irgendwo hören. Mir hat das damals auch niemand erklärt. Richtig bremsen und ausweichen zu können, spart einem über die Jahre eine Menge Salbe und Verbände.
Sie haben auch klare Vorstellungen, wie sich ein Fahrradfahrer verantwortungsvoll verhält. Was geben Sie hierzu den Kursteilnehmern mit auf den Weg?
Das Schlagwort ist: Vorausschauendes Fahren, gerade auf Wegen, die man sich mit Fußgängern teilt. Man sollte sich immer überlegen, ob man es selbst cool fände, wenn jemand mit 15 Zentimeter Abstand an einem vorbeipfeffert.
Sich 40 bis 60 Meter vorher akustisch anzukündigen – damit sind aus meiner Erfahrung 95 Prozent einverstanden. Es vermeidet Diskussionen, was ich in jungen Jahren aber noch nicht ganz verstanden habe. Wer keine Klingel hat, kann Hallo rufen – auf keinen Fall Achtung. Für mich bedeutet das, dass eine nicht mehr kontrollierbare Gefahr droht.
Meistens mache ich einen Klingelton mit dem Mund, was oft für Lacher sorgt. Das Schöne daran: So konstruiert man keine Gegner, sondern eher Fans.
Apropos: Akzeptanz und Rücksicht. Wie nehmen Sie den Umgang zwischen Radfahrern mit und ohne Motorunterstützung wahr?
Ich erinnere mich an den Anfang der 80er Jahre, als wir Mountainbiker damals auf unheimlich viel Widerstand der Wanderer im Wald gestoßen sind. Wir konnten das alle gar nicht verstehen, wir nehmen doch niemandem etwas weg, wollen nur ein bisschen Spaß haben.
Heute schimpfen genau diese Leute über die E-Biker, dass sie dorthin fahren, wo sie ohne Motor nicht hinkämen. Ich frage mich: Wer kann sich anmaßen, solche Beurteilungen auszusprechen? Diese Aussagen gegen E-Bike-Fahrer von Bikern empfinde ich als peinlich und einen Ausdruck fehlender Toleranz. Jeder soll die Möglichkeit haben, aus welchem persönlichen Gründen auch immer, seinem Hobby nachzugehen. Vorausgesetzt, er schadet damit niemandem.
Vielen bietet es auch die Möglichkeit, überhaupt wieder Sport auszuüben – darauf weise ich Kritiker regelmäßig hin. Meiner Meinung nach haben E-Biker mehr Berechtigung als jedes Auto und Motorrad, das auf der Welt herumfährt.
Von der ersten Stunde an begleiten Sie die Entwicklung des E-Bikes. Wie haben Sie diese verfolgt?
Zu Beginn 2010 wurden die normalen Komponenten quasi für die E-Bikes missbraucht. Schnell stellte man fest, dass man die Teile widerstandsfähiger auslegen muss. Angefangen mit den Bremsen, mit damals 180er Scheiben. Heute sollte ein vernünftiges E-Bike vorne und hinten mit 200er Scheiben unterwegs sein, vor allem wenn der Fahrer noch einen Rucksack trägt.
Mit der Zeit haben sich außerdem die Antriebssysteme geändert. Stufenlose Schaltungen, wie beispielsweise von Pinion. Kein Verschleiß, keine Schaltverzögerung – bei den höher wirkenden mechanischen Kräften eine super Sache, wartungsärmer unterwegs zu sein.
Welche Erfindung hat Sie in den zurückliegenden Jahren am meisten begeistert?
Ganz klar: Die absenkbare Sattelstütze, die sowohl auf Fahrrädern mit und ohne Motorunterstützung ein enormes Plus an Komfort bietet. Eine Entspannung der Muskulatur wird zugelassen, man muss nicht komplett absteigen und kann mit dem Remote-Hebel die Stütze runterfahren.
Daran anschließend ist die Sattelhöhe ein wichtiges Thema: Die meisten Leute sitzen zu tief, weil sie glauben, nicht mit dem Fuß auf den Boden zu kommen. Hier gilt die Formel: Sattelhöhe (Tretlagermitte bis zur Oberkante vom Sattel) = Schrittlänge x 0,885.
Werfen wir mal einen Blick in die Glaskugel. Wo sehen Sie das E-Bike in fünf Jahren?
Ich erinnere mich noch sehr gut an den Moment, als ich vor zwei Jahren bei meiner Trainingsgruppe als erster mit einem E-Bike aufgeschlagen bin. Alle haben gelacht und Scherze darüber gemacht, dass ich sowas in meinem Alter schon brauche.
Meine Antwort: Hat damit überhaupt nichts zu tun, macht einfach Spaß! Irgendwann kam der erste und wollte mal Probe fahren. Anschließend wollte er auch eines. Mittlerweile fahren fünf von neun Personen mit dem E-Bike – und das ganz ohne mein Rühren der Werbetrommel. Ich bin mir sicher, dass in fünf Jahren über 50 Prozent, wenn sie es sich leisten können, E-Bike fahren.
Speziell in bergigen Regionen kommen die Vorteile zum Tragen. Man kann die Unterstützung regulieren, wie sehr man sich quälen will. Außerdem lässt sich das Auto immer mehr ersetzen, gerade wenn ich an Lastenräder denke. Mit viel Gepäck und Steigung haut es dir ohne Motor schnell den Vogel raus. Die elektronische Unterstützung macht an der Stelle vieles einfacher und praktischer.
Und im technischen Bereich?
In der Antriebstechnik wird es Veränderungen geben müssen. Ich erlebe immer mehr, wie Schaltungen wegreißen, weil sie den Belastungen nicht standhalten. Das Gewicht wird geringer, bei gleichbleibender Stabilität.
Auch bei der Reichweite wird es nach vorne gehen, immer mehr Leute wollen längere Touren fahren. Es braucht ein Konzept, um unabhängiger sein zu können. Stationen zum Beispiel, an denen man Akkus laden, tauschen oder ausleihen kann.
Und was wird im Leben von Mike Kluge in fünf Jahren die große Rolle spielen?
Ich gehe mal schwer davon aus, dass es weiterhin das Fahrrad sein wird (lacht). Ich wohne im Schwarzwald – aufgrund der dortigen Topografie wird mein ElektroradAnteil sicher immer größer werden. Auf der Straße werde ich vermutlich weiterhin unmotorisiert unterwegs sein.
Sollte ich aber mit Gruppen fahren, die mich am Berg abhängen, wird auch dort sehr schnell ein E-Bike zum Einsatz kommen. Es macht eben einfach großen Spaß und verschieden fitte Menschen können ohne Stress ihren Sport zusammen ausüben!