Pinion, E-Bike, Firmenporträt, Getriebe, Schaltung

Pinion: E-Bike Getriebe-Hersteller im Firmenporträt

Im Porträt: Der E-Bike Getriebehersteller Pinion

Pinion: E-Bike Getriebe-Hersteller im Firmenporträt

2010 entwickelten zwei Studenten eine Tretlagerschaltung nach Automotive-Standard. Seitdem begeistert Pinion sämtliche Radfahrer - und nun auch E-Biker.
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Autos und Motorräder haben längst fast verschleißfreie Getriebe. Warum nicht das Fahrrad? Fragten sich zwei Werkstudenten bei Porsche. Und entwickelten vor zehn Jahren in Eigenregie eine Tretlagerschaltung nach Automotive-Standard – die seitdem Globetreter, Tourenradler, Hardcore-Mountainbiker und neuerdings auch E-Biker begeistert: Pinion.

Pinion gewährt Einblicke

Der Mann im lässigen Sweatshirt und mit den wachen Augen vor mir ist ein Tüftler vor dem Herrn. Mal wieder hat er eine Prüfmaschine entwickelt, momentan seine Passion. Ebenso das Schrauben an seinem Joungtimer, verrät er. „Ein Golf 1, den könnte man mit Pinion Getriebe schalten.“

Wir sind im Schwäbischen, wenige Kilometer nordöstlich vom Stuttgarter Flughafen. Die schnucklige Gemeinde Denkendorf in Hanglage besitzt unten am Fluss, wo es gerade mal eben ist, ein kleines Gewerbegebiet.

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In den ehemaligen Fabrikanlagen der Firma Bosch, die vermutlich hier Waschmaschinen produzierte, logieren Startups, Gründerfirmen, Grafiker, Computerfreaks. Und in einem freundlich gelb gestrichenen Trakt, oben im ersten Stock, die Firma Pinion. Das Schild ist keine 40 Zentimeter groß.

Firmenporträt im Schwabenland

Oben geht’s an der Glasscheibe eines Computer-Office vorbei zu einer weißen Tür, Daumen auf die Klingel. Andrea Escher, PR-Referentin im Marketingteam, führt mich vorbei an lichtdurchfluteten Räumen, überall konzentrierte Stille, alle nicken freundlich, Buchhaltung, Personalbüro, Aufenthaltsraum mit Lümmel-Couch.

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In der offenen Großraumküche pocht das Herz von Pinion, am riesigen Kaffeeautomaten trifft sich die Belegschaft. Lächelnd begrüßt mich Dirk Stölting, Marketingleiter und seit den Anfangszeiten dabei. Schnell wird klar, dass hier jeder eine Persönlichkeit ist, dass hier Berufung statt Beruf die gemeinsame DNA ist.

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Blick in die Fertigung: Aktuell sind vier Getriebe-Linien in Arbeit (v. li. n. re.): P1.18, P1.12, P1.9 XR, die C1.6 mit sechs Gängen.

Michael Schmitz und Christoph Lermen, die Gründer von Pinion, sind momentan nicht greifbar. Lermen, bisher mit vielen Managementaufgaben überlagerter Luft- und Raumfahrttechnik-Ingenieur, weilt im Urlaub. Seinen Part übernimmt seit 2018 Geschäftsführer Thomas Raith, der nach Geschäftsführer-Herausforderungen bei Metabo, Magura und Derby Cycle hier seine immense Energie sprühen lässt.

Getriebe Erfahrungen bei Porsche

So beginnt die Erfolgsstory von Pinion: 2006 starten Schmitz und Lermen ihre Berufs karriere im Porsche-Entwicklungszentrum in Weissach. Als Werkstudenten in der Abteilung Rennsportgetriebe. Schlüsselerlebnis war, dass ihr Kollege – der täglich mit dem Rad zur Arbeit fuhr – mit massiver Verspätung und mit ölverschmierten Händen in die Werkstatt kam und über die Schaltung fluchte – für die beiden die Initialzündung zur Entwicklung eines Porsche-Getriebes fürs Fahrrad.

2007: Noch während ihrer Ausbildung pumpen sich die Erfinder Geld von Verwandten, mieten ein winziges Büro in Stuttgart Feuerbach, stellen zwei Helfer ein – heute übrigens führende Köpfe bei Pinion. „Tage- und nächtelang lief im Keller der Belastungsprüfstand“, erzählt Stölting. „Die Wände unserer Bude zitterten pausenlos.“

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Schließlich sollte das Getriebe hohe Drehmomente aushalten und die 250 Watt Leistung, die sportliche Radfahrer in die Pedale einbringen können. Was übrigens auch dem Antriebsstrang eines Mittelklasse-PKWs entspricht. Nur dass bei diesem ein Getriebe ruhig mal 60 Kilogramm wiegen darf, beim Fahrrad aber nicht mal drei. Zudem hat beim Bike der optimale Wirkungsgrad Priorität  – erreichbar nur mit perfekter Fertigung, überragender Präzision, halt mit Automobil-Standard.

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In der Montage: Der obere und untere Gehäusedeckel mit eingesetztem „Herzstück“ werden zu einer langlebigen Funktionseinheit.

Pinion wird gegründet

2008: Gründung der Firma Pinon. Ja, sie wollen die perfekte Schaltung machen – dauerfest, nahezu verschleißfrei, ein Fahrradleben lang haltbar. Nicht im Heck, sondern schwerpunktgünstig in der Fahrradmitte platziert – eine Tretlagerschaltung.

Entwicklungen gab’s schon: Ab den 1930er Jahren hatten die deutschen Radmarken Bismarck und Wanderer 2-Gang Getriebe im Tretlagerbereich, Adler eine 3-Gang-Schaltung. In den 50ern kam die „Mutaped“ der Schweizer Firma Rappa: drei, später vier Gänge, per Rücktritt zu schalten. Aufgrund des technischen Aufwands gerieten Tretlagerschaltungen in Vergessenheit.

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Bis 1991 das Schlumpf Drive-Zweigang-Getriebe vorgestellt wurde. Im Tretlager-Gehäuse platziert, nachrüstbar, via Fersenkick schaltbar, heute von Haberstock Mobility gefertigt und vertrieben.

Getriebe geht in Serie

„2011 waren wir endlich in Seriennähe. Nachdem einige Getriebe bei Testfahrten um Stuttgart nicht standhielten und wir fast blank waren“, erinnert sich Stölting. Dass das junge Team überhaupt die Ziellinie erreichte, hatte es einem Mentor eines Industriekonzerns, mit „hoher Affinität zum Fahrrad“, zu verdanken.

Der den Jungunternehmern die Prototypen finanzierte und noch heute als stiller Teilhaber dabei ist. „Das war unsere Rettung und Eintrittskarte in die Fertigungsmethodik der Automotive-Branche.“ In der Tat produzieren Pinions Vorlieferanten überwiegend für die Automobilindustrie.

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Vor der Präsentation auf der Eurobike 2011 dann die Feuertaufe für das Getriebe: die Himalaya-Tour des befreundeten Extremradlers Felix Fröhlich – über 1500 Kilometer und 24.000 Höhenmeter. Zur Risiko-Minimierung hatte er ein Ersatzgetriebe im Gepäck.

Auf der Rückseite einer verblichenen Post karte aus Nepal lobt Fröhlich die Funktion des Getriebes. „Das Rad war völlig verschlissen, die Federgabel defekt, aber das Getriebe lief tadellos“, bilanziert Andrea Escher.

Pinion auf der Eurobike

September 2011: Auf der Fahrradmesse Eurobike wird die Pinion P1.18 erstmals präsentiert – die Sensation der Show: 18 Gänge, relativ kompakt, mit 2,5 Kilo relativ leicht, gleichmäßige 11,5 Prozent-Gangsprünge, mit 636 Prozent-Übersetzungsbandbreite auf dem Niveau von Performance-Mountainbikes.

Ein Schnittmodell zeigt den Aufbau des Hightech-Getriebes: In einem Alugehäuse sitzen zwei hintereinandergeschaltete Stirnradsätze. Eines mit sechs, das andere mit drei Übersetzungsstufen. Ergibt multipliziert 18 Gänge.

Pinion Trekkingräder 2020 im Test

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Bevor es das Haus verlässt, muss jedes einzelne Getriebe einen Funktionstest auf dem selbst entwickelten Prüfstand überstehen.

Keine Überschneidungen wie bei Kettenschaltungen. Sequentiell durchschaltbar, auch im Stand. Kein Wunder, dass sich Reiserad-Freunde, aber auch Hardcore-Mountainbiker, die bislang als Alternative zu Kettenschaltungen die 14-Gang „Speedhub“ von Rohloff als Maß aller Dinge ansahen, am winzigen Pinion-Stand drängten.

In 2012 kamen die ersten Serienräder mit der P1.18 auf den Markt. Verbaut in Reiserädern innovativer Manufakturen, die das Potential, die technische Finesse und die Vorteile der Tretlagerschaltung erkannten. Und das Risiko auf sich nahmen, für ein Fahrrad mit Porsche-Getriebe spezielle Rahmen zu entwickeln, darunter Tout Terrain, Velotraum, Patria, Stevens.

E-Bikes werden leichter und günstiger

Heute bieten 120 Marken Pinion-Räder an, auch Idworx, Falkenjagd, Gudereit oder MTB Cycletech aus der Schweiz. 2016 kam übrigens als zweite Produktlinie die C-Linie hinzu – mit 12, 9 und 6 Gängen – die gerne in E-Bikes verbaut wird, als Partner von Heckmotoren. Hauptvorteil der C-Linie: Damit spezifizierte Räder sind nicht nur leichter, sondern auch günstiger: Einige Pinion-Modelle sind nun auch unter 2000 Euro erhältlich.

„Die Alu-Gehäuse werden aus massiven 1,6-Kilo-Blöcken gefräst. Am Ende wiegt jedes unter 500 Gramm. Alle Gehäuse der C-Versionen sind dagegen aus Magnesium-Druckguss, gefertigt von Automotive-Firmen“, erklärt Andrea Escher vor unserem Rundgang durch Produktion und Montage. Ich schiele hoch zur Decke. Oben im zweiten Stock sitzt die technische Entwicklung, Zutritt strengstens verboten.

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Wenige Mitarbeiter werkeln in dem Geviert der Montage. Alle so geschult, dass sie am Arbeitsplatz untereinander rotieren können. Vorne die Arbeitsvorbereitung mit den Gehäusen, die es in neun Farben gibt, eloxiert in Rot, Orange, Lila, Gold, Blau – für Custommade-Bikes. Gleich dahinter der Getriebe-Zusammenbau mit aufeinandergesetzten Zahnrädern und inwändiger Antriebswelle.

Getriebe in der Testmaschine

Dann die lange Werkbank für die „Hochzeit“ von Getriebe und Gehäuse – mit finaler Dichtigkeitsprüfung per Luftdruck. 100-Prozent-Check: Jedes Getriebe wird in eine Testmaschine eingespannt  – eine der vielen, die Geschäftsführer Schmitz aus dem Nichts entwickelte. Computer-überwacht läuft ein aufwändiges Prüf-Prozedere ab, werden sämtliche Gänge mit teils extremen Lastwechseln durchgeschaltet.

Steht das Signal auf Grün, ist das Getriebe zur Auslieferung freigegeben und landet in Wannen aus recycelter Pappe, deren Aufbau und Material an Eier-Kartons erinnern. In der Ecke ein „Backofen“, der Getriebe unter tropischen Temperaturen oder Sahara-Bedingungen testen kann.

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Steht das Signal der Maschine aber auf Rot, kommt der Mensch zum Einsatz. Und ein spezielles Prüf-Fahrrad, das in der Mitte der Fertigung auf einem hohen Tisch aufgebockt ist. Mit wenigen Handgriffen wird das ausgesonderte Getriebe in die Rahmenaussparung eingebaut.

Dann schwingt sich Christof Höfer, Leiter der Serviceabteilung, in den Sattel und drückt mit Gefühl in die Pedale. Er besitzt ein so ausgeprägtes Gespür für optimale Schaltvorgänge, dass er beim Kurbeln und Schalten das Veto der Prüfmaschine überprüfen und verifizieren kann.

Geht sein Daumen nach unten, muss das Getriebe zurück auf Anfang. Es wird wieder auseinander- und wieder zusammengebaut, durchläuft erneut das komplette Prüf-Prozedere. Neues Spiel, neues Glück.

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Gekapselte Schaltung ist Pflicht

Zurück im Konferenzraum. Michael Schmitz steht unvermittelt in der Tür  – Kompetenz in Personalunion, leuchtende Augen, 100 Prozent konzentriert. „Ein Alltags- oder Reiserad ohne gekapselte Schaltung geht gar nicht“, so eine seiner Kernaussagen. Später gesellt sich Thomas Raith dazu.

Seit 2018 bei Pinion als der dritte Geschäftsführer an Bord, wird er mit seiner mitreißenden Intensität die Marke Pinion global ausrichten. Und gibt damit Michael Schmitz und Christoph Lermen die Freiheit, sich um ihre wahre Passion zu kümmern: innovative Entwicklungen zu leisten.

Zusammenarbeit mit Motorenanbieter Alber

Die allerdings nicht nur die Optimierung der Getriebe betreffen, sondern auch E-Bikes: Weil die 9- und 6-Gang-Varianten ideal mit Heckmotoren harmonieren, entwickelte Pinion gemeinsam mit Motorenanbieter Alber („Neodrives“) und Rahmenbauer MiTech ein „Open-Mould-E-Bike-Rahmenset“.

Radhersteller, die ein Pinion-Modell anbieten wollen, können dies auf Basis dieses Rahmens schnell umsetzen und sparen sich so teuere Eigenentwicklungen.

Ach ja, oben im zweiten Stock hat die nächste Entwicklungsstufe für die Schaltung der Zukunft begonnen. Wir dürfen es zwar nicht sehen, aber als erstes Magazin vermelden: Pinion arbeitet am nächsten großen Wurf. Da werden auf einer der nächsten Eurobike wieder viele Hälse gereckt werden … am inzwischen riesigen Pinion-Stand. Man sieht sich dort.

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