Straßenverkehr: Jeder ist mal abgelenkt
Einmal nicht aufgepasst...
Straßenverkehr: Jeder ist mal abgelenkt
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Das ist eine Selbstanzeige. Ich predige Wasser und trinke Wein. Doch von vorn: Als Redakteur der ElektroRad bin ich Lobbyist des Fahrrads. Ich vertrete und transportiere unter anderem die Interessen der fahrradfahrenden Minderheit in deutschen Städten. Eine Forderung: Autofahrer sollen verdammt noch mal mehr Rücksicht nehmen auf ungeschütztere Verkehrsteilnehmer. Gerade eben habe ich für die nächste Ausgabe des Magazins einen Text geschrieben, in dem ich einen Überblick über vorausschauende Fahrweise gebe. Denn mit unaufmerksamen Auto- und Lastwagenfahrern sei immer zu rechnen.
Fußgängerampel: Ich tappe in die selbst gestellte Falle
Und jetzt bin ich es, der in die Falle tappt: Ich bin mal wieder zu spät dran, habe einen Termin in der Stadt. Weil die Radwege vereist sind, nehme ich die Tram statt des Fahrrads. Ich hetze zur Haltestelle, sehe die Bahn schon kommen. Zwischen mir und der Tram: eine Ampelkreuzung. Natürlich für Fußgänger rot. Vor mir staut sich der Verkehr, ich sehe meine Chance gekommen. Keine Kinder weit und breit, ich wage es bei rot über die Fußgängerampel – und vergesse die zweite Fahrspur. Ich sprinte auf die Straße, höre nur noch ein Hupen und einen erschrocken schauenden Fahrer in seinem Wagen. Er hat aufgepasst, ich nicht. Ich winke noch beschwichtigend und springe in die Bahn. Hinter mir wilde Flüche aus dem hastig geöffneten Autofenster.
Unflätige Flüche aus dem hastig geöffneten Seitenfenster
Gut, die Flüche waren unflätig. Aber kann ich sie dem Mann übelnehmen? Nein. Ich beschäftige mich jeden Tag mit Verkehrspolitik, mit dem Verhalten im Straßenverkehr und appelliere an Autofahrer, aufzupassen. Und jetzt das. Ich halte mich für einen umsichtigen Menschen. Umso ärgerlicher, dass es nur einer kleinen Abweichung in der Routine – meine ungewollte Eile – bedarf, um das Gerüst des selbst auferlegten Verhaltens zum Einsturz zu bringen. Plötzlich bin ich unaufmerksam, sehe nur meinen eigenen Vorteil. Drei Minuten später wäre übrigens die nächste Tram gekommen.
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Die berühmte eigene Nase
Was lerne ich nun daraus? Vor allem wohl, dass es immer einer gegenseitigen Rücksicht bedarf. Weder der Autofahrer darf seine Verantwortung als stärkerer Verkehrsteilnehmer abgeben, noch dürfen Radfahrer und Fußgänger nach Welpenschutz im Straßenverkehr schreien. „Mein“ Autofahrer hat geistesgegenwärtig reagiert und mir damit womöglich den Hals gerettet. Persönlich kann ich mich dafür nicht bedanken. Aber vielleicht kann ich das nächste Mal auf dem Rad etwas weniger vehement auf mein Recht pochen mit der Begründung, der Autofahrer solle verdammt nochmal aufpassen. Vielleicht ist er es, der gerade kurz abgelenkt war.