19,4 kg
14.000 Euro
Huhn Cycles/44 Elf Jersey Giant 36: Mountainbike im Test
in Test & Teile
Huhn Cycles/44 Elf Jersey Giant 36: Mountainbike im Test
Die ganz große Nummer
Eines haben Tim Ahnsorge und seine Schöpfung, das 36″-Mountainbike Jersey Giant 36, gemein: Beide sind überdurchschnittlich groß. Ahnsorge misst 2,06 Meter, an seinem Jersey Giant 36 drehen sich riesige 36″-Laufräder. Sieben Zoll mehr also als bei ohnehin schon großen 29″-Rädern – eine Menge! Motivation von Tim Ahnsorge, der als Maschinenbauingenieur den Fahrrad-Anwendungsbereich beim Start-up-Unternehmen BASF 3D Printing Solutions leitet: Für sich ein tourenlastiges, Bikepacking-fähiges MTB schaffen, das mittels 36″-Rädern eine top Verteilung seines Körpergewichts auf dem Bike ermöglicht. Damit sollte sich das – zusammen mit den Rahmenbauern Ralf Holleis von Huhn Cycles und Hahn Rossman gefertigte – 36″-Bike etwa in Abfahrten wesentlich besser und kontrollierter fahren als Ahnsorge es vom Twentyniner gewohnt war. Nebeneffekt des Huhn/44 Elf (Unter 44 Elf Velos Art fertigt Ahnsorge Bike-Accessoires wie Pfeffermühlen aus Nabenkörpern.): Die Dimensionen des Bikes passen zu seiner Größe; das Rad wirkt in Relation nicht zwergenhaft.
Was das Huhn Jersey Giant 36 jenseits seiner 36″-Räder so interessant macht, ist die aufregende technische Umsetzung: Die edlen Reynolds 853-Stahlrohre wurden bei Huhn Cycles im Fichtelgebirge mit 3D-Druckteilen im Lötverfahren verbunden.
Ausgangswerkstoff der im High-Tech-3D-Drucker entstandenen 3D-Parts – Sitzrohrknoten, Tretlager-Yoke, die stylischen Ausfallenden – ist das Edelstahl-Verbund-Metallfilament Ultrafuse 17-4 PH von BASF 3D Printing Solutions. Beim vergleichsweise kostengünstigen „Fused Filament Fabrication“-Verfahren wird das als langer Draht vorliegende Filament in einer Düse aufgeschmolzen, das Bauteil dann aus sehr vielen übereinander liegenden Schichten präzise gedruckt.
Vorzüge von 3D-Druckteilen
Die ästhetischen 3D-Druckteile illustrieren das Potenzial dieser noch recht jungen Fertigungstechnik für Rahmenbauer, die meist in Kleinserie fertigen. Bei geringer Stückzahl könnten sich kreative, unter Umständen leichtere und auf Dauer kostengünstigere Rahmenlösungen rasch umsetzen lassen. Auch an spezielle Kundenwünsche ließen sich 3D-gedruckte Rahmenteile anpassen.
Auf die Vorzüge von 3D-Druckteilen setzt Tim Ahnsorge auch Parts-seitig: Die ergonomischen, auf seine Handform angepassten Personomic-Griffe entstammen ebenso dem 3D-Drucker wie der Posedla-Sattel oder die Zugfixierungen von 76 Projects aus England.
Unkomplizierte Aufwärmphase
Fahrtest! Mit fettem Grinsen hievt sich der 1,80 Meter kleine Fahrer in den Sattel, wobei er gut daran tut, das Riesenrad ein Stück zur Seite zu neigen, um mit viel Schwung ein Bein über den flugs per leichtgängiger Vecnum-Variostütze maximal abgesenkten Sattel zu heben. Grundvorsicht ist geboten: Als kleinerer Biker muss man sich mit der minimalen Schrittfreiheit arrangieren, sonst leiden bestimmte Körperteile. Der Aha-Moment: Mit der Sitzposition kommt ein 1,80-m-Fahrer zurecht. Zwar nimmt er ob extra langem Rahmen eine ziemlich sportive Sitzhaltung ein, zugleich bettet das 36″-Huhn/44 Elf seinen Fahrer angenehm zwischen die riesigen 36″-Laufräder.
Die gut ausbalancierte Geometrie gefällt, ebenso der super kurze Vorbau, der ein überraschend direktes Handling hervorbringt. Ein Gefühl der Erhabenheit stellt sich auf ersten Metern auf feinem Schotter ein: Was soll einem schon passieren, wenn 36″-Reifen vermutlich alles überrollen?
Im Anstieg: Hab Geduld!
Markant ist die Beschleunigung des Huhn-Bikes, denn infolge des üppigen Gewichts von 19 Kilo und der hohen Schwungmasse der 36″-Laufräder braucht man ziemlich viel Kraft und etwas Geduld, um das Bike auf Tempo zu bringen. Daran muss man sich anfangs erst gewöhnen. Ist das Huhn allerdings erst mal auf Tempo gebracht, überrollt man mithilfe der großen 36er Laufräder kleineres Wurzelwerk im Gelände mühelos. Zumal die Intend-Luftfedergabel sehr feinfühlig arbeitet, Stöße gekonnt schluckt.
Den Komfort pimpt der toll dämpfende Posedla-Sattel ebenso wie der mit wertvoller Eigendämpfung ausgestattete Stahlrahmen. Kleinere Unebenheiten? Überrollt man tiefenentspannt sitzend. In Anstiegen muss man erneut mehr Beinkraft einsetzen, um das schwerere 36″-Hardtail flüssig über fette Rampen hinwegzubewegen. Das Huhn geht nicht spritzig nach vorn; hier braucht’s etwas Geduld bis die 36er Pneus rollen. Mit vorausschauender Fahrweise manövriert man es trotzdem steile Uphills sicher hinauf, wobei die extra große Auflagefläche der VeeTire-36″-Pneus das Jersey Giant sicher auf den Boden heftet. Dank flinker Lenkung bleibt das Huhn stets gut kontrollierbar, lässt flinke Spurkorrekturen zu.
Temporeich talwärts
Bergab beeindruckt das rasante Tempo des Huhn-36″-Hardtails. Mithilfe der 36″-Räder hält es die Geschwindigkeit konstant hoch, liegt zugleich schön satt – auch, wenn es ruppig wird. Dabei erlaubt der kurze Vorbau bei Bedarf rasche Richtungsänderungen. Bei Highspeed ist das Huhn meist gut kontrollierbar. Noch etwas besser ginge dies, wäre die Laufradsteifigkeit höher.
Umsicht ist beim Ansteuern enger Serpentinen geboten: Aufgrund des Laufraddurchmessers und hohen Gewichts schiebt das lange 36″-Bike stark, was nach frühzeitigem Ansteuern der Kehren verlangt, will man sie flüssig fahren. Dank der guten Ausbalanciertheit des Bikes gerät die Fahrt aber nicht kippelig. Toll ist die Unerschrockenheit, mit der man lässig hohe Geländestufen hinuntergleitet: Die 36“-Räder verschlucken sich daran ebenso wenig wie an größten Schlaglöchern, reichen Fahrbahnstöße deutlich milder als etwa ein 27,5″-Hardtail durch.
Huhn Cycles/44 Elf Jersey Giant 36: Dezente Kritik
Speziell bei geringem Tempo bringen schnelle Lenkmanöver ein etwas schwammiges Fahrgefühl am Vorderrad hervor. Verursacht zum einen vom weicheren Laufrad, zum anderen von der geringeren, bauartbedingten Steifigkeit an der Schnittstelle Vorderradachse/Laufrad.
Und so scharf die Optik des noblen Ingrid-Schaltwerks, lässt seine Schaltgeschwindigkeit unter Volllast bergauf doch zu wünschen übrig. Sein ebenfalls 3D-gedruckter Schaltkäfig wirkt weniger steif, verwindet sich recht rasch. Zudem verlangsamen der am 36″-Bike extra lange Schaltzug und der verzögerte Radumlauf die Schaltvorgänge (der 36″-Laufradumfang ist 24 Prozent größer als beim 29″-Laufrad). Mehr Bremspower wünscht man sich, rast man bergab: Die sonst bissigen Magura MT7 würden mit großen 203-mm-Rotoren die 36″-Räder effizienter verzögern.
Ernsthaftes Potenzial für Großgewachsene
Das Huhn/44 Elf Jersey Giant 36 führt die Idee des 29er Mountainbikes konsequent fort. Großgewachsene werden ob des starken Überrollverhaltens der 36″-Räder und der günstigen Radlastverteilung ein besser zu kontrollierendes, spaßigeres Trail-/Touren-Hardtail erhalten, als dies mit 29″-Rädern und kleineren Rahmen möglich wäre.
Bedingung dafür ist ein wachsendes 36″-Teileangebot, das bezahlbare MTBs ermöglicht. Kleinere Fahrer, etwa um 1,80 Meter, profitieren von 36″-Bikes kaum, sind auf 29ern bestens aufgehoben.
Detailaufnahmen des Huhn Cycles/44 Elf Jersey Giant 36
Huhn Cycles/44 Elf Jersey Giant 36: Technische Details und Informationen
Preis | ca. 14.000 Euro (ohne 3D-Druckteile des Rahmens) |
Gewicht | 19,40 kg (inkl. Pedale & aller Taschen) |
Rahmen | Reynolds 853 Stahl, 3D-gedruckte Edelstahlmuffen aus BASF Ultrafuse 17-4 PH |
Gabel | Intend Samurai XC (mit RockShox‘ Charger-Raceday-Dämpfer), Federweg: 80 mm |
Vorbau / Lenker | Ride Farr / Ride Farr MTB Aero, inkl. Triathlonaufsatz |
Lenkergriffe | Personomic, 3D-gedruckt |
Lenkerband | Fizik |
Bremsen | Magura MT7, 180/180 mm; Oak Components CNC-Bremshebel |
Sattelstütze | Vecnum Nivo, Hub: 212 mm |
Sattel | Posedla, 3D-gedruckt/ Carbonstreben |
Kurbel | Ingrid, Kettenblatt: 42 Zähne |
Pedale | Carder Two Twelve |
Laufräder | Naben: Shutter Precision-Nabendynamo, Damil / Felgen: Alchemist Carbon |
Reifen | Vee Tire T-Monster, 36″ x 2.25″ |
Kassette | Ingrid, 10-48 |
Schalthebel / Schaltwerk | Sram NX/Ingrid (CNC-Alu/3D-gedruckt), 12-Gang |
Lichtanlage | v/h: Supernova M99 DY Pro/Supernova E3 Trail Light 2 |
Bikepacking-Taschen | Wit Slingers |
Mehr Informationen gibt es auf den Websites von Huhn Cycles und von BASF 3D Printing Solutions.