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E-Trekkingräder mit Getriebeschaltungen im Test: Premium-E-Bikes

Komm in die Gänge

E-Trekkingräder mit Getriebeschaltungen im Test: Premium-E-Bikes

Hochwertige Getriebeschaltungen sind am klassischen Fahrrad das Nonplusultra für Langstrecken-Tourenräder. Im E-Bike-Markt tun sie sich mitunter schwer. Dabei bieten sie eine Menge Mehrwert – und der rechtfertigt selbst den hohen Anschaffungspreis.
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Rhön, kurz unterhalb des Kreuzberg-Gipfels. Der „heilige Berg der Franken“ ist ein wunderbares Fahrrad-Ziel. Das Panorama weit hinein ins „Land der offenen Weiten“ ist spektakulär, die Einkehr oben in die Klosterschänke der Franziskaner allein schon aller Mühe wert. Ja, Mühe steckt schon vor der optischen und kulinarischen Belohnung oben am Gipfelkreuz. Ich kurbele den ausgewaschenen Waldweg hinauf, der langsam aber stetig immer steiler wird. Kurz passe ich nicht auf, verreiße meinen Lenker und mache daraufhin einen Schlenker hin zum Wegrand – an dem ausgerechnet jetzt ein großer Fels liegt. Den touchiere ich mit meiner Kettenschaltung. Zack – Schaltauge verbogen, ein kurzes Krachen und nichts geht mehr. Die Kette springt ab, verhakt sich, der Hinterreifen dreht sich nicht mehr. Ich fluche, biege die Schaltung notgedrungen zurecht, lege per Hand die Kette zurück auf die Ritzel, sodass sich zumindest das Rad wieder bewegen lässt. An Treten und Fahren ist aber nicht mehr zu denken. Also schiebe ich die letzten Kilometer zur Klosterschänke hinauf. Oben wasche ich mir notdürftig die ölverschmierten Hände, ehe ich mich leicht missmutig den Speisen und Getränken widme. Die Mehrtagestour durch die Rhön ist für mich beendet. Ärgerlich – aber unvermeidlich? Nicht ganz.

Keine Ablenkung bitte

Radreisende – ob mit oder ohne E-Antrieb – wollen unterwegs vor allem ihre Touren genießen; fremde Landschaften, unbekannte Kulturen, neue Wege. Pannen, Wartung und Pflege stören da nur. Doch wie hätte ich meinen ärgerlichen Vorfall in der Rhön abwenden können? Angelika Hinteregger und Reinhard Maxbauer hätten eine einfache Antwort: Fahre mit Getriebe! Die beiden Fahrrad-Weltenbummler und Blogger (www.saddlestories.at) berichteten jüngst im Radclub-Webinar ausführlich über die Vorzüge der Pinion-Schaltung, mit der sie seit einigen Jahren unterwegs sind. Selbst auf der ruppigen Seidenstraße zwischen dem Iran, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan machte das Tretlagergetriebe an ihren Reiserädern keinerlei Zicken.

Pinion empfiehlt alle 10.000 Kilometer einen Ölwechsel fürs gekapselte Getriebe, Rohloff nennt als Faustregel einen Ölwechsel pro Jahr.  Mehr ist nicht nötig, um reibungsarme Gangwechsel zu gewährleisten.

Klassische Nabenschaltungen bieten kein besonders breites Gangspektrum an. Die Nexus Inter-8 von Shimano etwa liegt bei überschaubaren 307 Prozent. Nicht so die Edel-Shifter. Die Rohloff Speedhub mit ihren 14 Gängen bietet 526 Prozent Bandbreite, Pinions C1.9XR, die in unseren Testrädern zum Einsatz kommt, 568 Prozent. Zum Vergleich: Eine 3×10-Gang-Kettenschaltung (rechnerisch 14 echte Gänge) liegt je nach Ritzelkassette bei etwa 573 Prozent Gesamtbandbreite – und damit nicht deutlich besser als die hochwertigen Getriebeschaltungen. Pinions Top-Modell P1.18 übertrifft das sogar: Stolze 636 Übersetzungsprozent liegen zwischen Gang 1 und Gang 18.

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Beide Getriebeschaltungen sind eine Freude auf Tour – denn sie sind sehr wartungsarm

E-Trekkingräder mit Getriebeschaltungen: Wartungsarm, aber hochpreisig

So wartungsarm und breitbandig Rohloff und Pinion sind, so hochpreisig sind sie auch. Weit über 1000 Euro kosten sie für Endverbraucher. Bei kompletten E-Bikes, die mit den Edel-Shiftern ausgestattet sind, werden noch einmal deutlich höhere Aufpreise fällig im Vergleich zu Schwestermodellen mit Kettenschaltungen oder einfacheren Getrieben.

Das liegt hier aber auch daran, dass zusätzlich zu den hochwertigeren Schaltungen auch edlere weitere Komponenten verbaut werden; etwa kräftigere Bremsen und hellere Lichtanlagen, zum Teil mit Fernlicht.

Insgesamt hochwertiger

Das zeigt sich auch an unseren Testrädern. Das Qio etwa beginnt laut Liste bei 2999 Euro – mit 8-Gang-Nabenschaltung, Bosch Active-Line-Motor, 400-Wattstunden-Akku, Contec-Beleuchtung, 2-Kolben-Bremse und einfacher Sattelstütze.

Das Top-Modell hat neben der Rohloff Speedhub E14-Schaltung einen kräftigeren Motor, einen größeren Akku, einen Scheinwerfer von Busch+Müller mit Fernlichtfunktion, hydraulische 4-Kolben-Scheibenbremsen und eine by.Schulz-Parallelogramm-Federsattelstütze. Dafür kostet das Qio Eins P-R ganze 2600 Euro mehr als das Qio Eins A-8. Bei den anderen drei Testrädern – allesamt Manufakturräder mit zahlreichen Konfigurationsmöglichkeiten – sieht es ähnlich aus. Doch was genau bringen die Mehrkosten? Für wen lohnt sich diese deutlich spürbare Investition?

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Getriebeschaltungen stehen für Zuverlässigkeit – und somit ungetrübte Bike-Freude

Für Allesfahrer

Eine Antwort gibt Rohloff-Produktmanager Marco Rauch. Den Nordhessen sei keine einzige der inzwischen mehr als 350.000 verkauften Rohloff-Naben bekannt, die aufgrund von Verschleiß oder Bauteilbrüchen ausgefallen sei. Laufleistungen von 100.000 Kilometern und mehr kennen beide Hersteller. Heißt: Die Getriebe sind unschlagbar robust und zuverlässig. Das kommt tatsächlich nicht nur Reisenden zugute, die in den entlegensten Gegenden der Erde auf zwei Reifen unterwegs sind.

Denn seien wir ehrlich: Eine Panne auf dem kurzen Weg zur Arbeit ist mindestens so ärgerlich und kommt genauso zur Unzeit wie die auf dem Pamir Highway in Zentral-Asien. Ich will meine Feierabend-Runde, die Genusstour am Wochenende mit meiner Familie und das verlängerte Wochenende auf einem der vielen, wunderschönen Flussradwege ohne Einschränkung genießen.

Ist der Preis bei E-Bikes mit Getriebeschaltungen berechtigt?

Klar: E-Bikes sind per se teuer – und werden immer teurer. Im jüngsten Großen ElektroRad-Test lag der Durchschnittspreis der Testräder bei schwindelerregenden gut 4500 Euro. Da nun noch mal 1100 Euro oder (deutlich) mehr draufpacken?

Eine pauschale Antwort gibt es darauf natürlich nicht. Wer sich mit Fahrradtechnik auskennt, Wartung und Pflege nicht als notwendiges Übel, sondern als einfach, schnell erledigt und wichtigen Beitrag zum Werterhalt des Bikes versteht, der kann locker zum Bike mit hochwertiger Kettenschaltung greifen. Zumal es auch an diesem hochwertige Bremsen, helle Lichtanlagen und kräftigere Motoren gibt. Die wartungsarme, kostengünstige Alternative sind die „einfacheren“ Nabenschaltungen mit weniger Bandbreite – und weniger kräftigen Motoren.

Denn auch das ist ein Punkt, den Käufer von E-Bikes bedenken sollten: Die Großserien-Nabenschaltungen verkraften nicht das große Drehmoment der stärksten E-Bike-Motoren. Boschs CX oder Shimanos EP8 gibt es daher nicht mit „normalen“ Nabenschaltungen. Rohloffs Speedhub hingegen hat kein Problem mit Motor-Drehmomenten sogar weit jenseits der 100 Nm. Bei Pinion stellt sich diese Frage erst gar nicht, denn das Tretlagergetriebe lässt sich nur mit Nabenmotoren kombinieren, deren Kraft direkt am Hinterrad wirkt, also nicht am Antriebsstrang zerrt. Nichtsdestotrotz gibt es von Pinion keinerlei Belastungs-Obergrenze für die Getriebe.

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Pinion oder Rohloff? Eine Frage der Vorliebe – in vielerlei Hinsicht

Festgelegte Motorkombination

Das Pinion-Getriebe kann wegen seiner Positionierung am Tretlager nicht mit Mittelmotoren à la Bosch oder Shimano kombiniert werden. Als E-Bike funktioniert Pinion also nur mit Nabenmotoren, seien sie am Vorder- oder Hinterrad verbaut. Hier ist der Heckmotor Standard, sei es wie in den beiden Testrädern der Neodrives Z20 von Alber oder der hauseigene Hecknabenmotor von Klever, ein leichtes Aggregat von Coboc, Bafang oder E-Bikemotion.

Zudem benötigt das Pinion-Getriebe eine individuelle Aufnahme. Eine Standard-Tretlagerhülse passt hier nicht. Auch das treibt den Preis fertiger Pinion-Bikes in die Höhe und vereitelt das Nachrüsten. Das hingegen ist bei Rohloff grundsätzlich möglich. Benötigt wird „nur“ die Getriebenabe, ein neues Laufrad und neue Speichen. Um hier möglichst flexibel zu sein, gibt es die Rohloff-Nabe mit unterschiedlichen Breiten.

Was mit dem Heckmotor wiederum grundsätzlich möglich ist: Sie können das Bike als E- und als Nicht-E-Bike nutzen. Hersteller wie Rennstahl etwa, die neben Rohloff- auch Pinion-Räder mit Heckmotor im Angebot haben, bieten ihre Bikes ab Werk als Hybrid an: Dazu gibt es ein zusätzliches Laufrad ohne Motor, der Akku lässt sich ausklicken, die Kontakte abdecken. Mit wenigen Handgriffen wird aus dem Pedelec ein klassisches Fahrrad.

Die Testräder mit Getriebeschaltungen

Für unseren Vergleichstest haben wir vier Räder ausgewählt: Zwei mit Pinion-, zwei mit Rohloff-Schaltung. Dabei decken wir eine große Bandbreite an Radkonzepten ab:

Das Qio ist ein wendiges, vielseitiges Kompaktrad, das sich dank seiner kompakten Maße, dem dank Speedlifter-Vorbau drehbaren Lenker und der abklappbaren Pedale für Camper, Bahnpendler und Menschen mit wenig Stellplatz eignet.

Das Electrolyte Dauerläufer ist ein klassisches Tourenrad mit deutlichem Hang zur Radreise. Es ist gewichtsreduziert – wenn auch nicht ganz leicht –, hat eine hohe Zuladung und eine hochwertige Komfort-Ausstattung.

Das Tout Terrain Camden rollt als Urban-Bike auf breiten Super-Moto-Reifen daher, spielt aber auch bei der Tourentauglichkeit weit vorn mit – wenn der Weg vor allem über feste Wege und Asphalt führt. Dazu kommt seine progressive Optik, die uns sehr gut gefällt.

Das Fernreiserad schlechthin ist abschließend das Rennstahl 853. Viel edler kann ein Rad kaum ausgestattet sein. Es ist gleichzeitig funktionell, robust und hochwertig. Wir haben den Eindruck, nichts und niemand kann dieses Bike aus der Ruhe bringen.

Nur in Kombination mit Nabenmotoren möglich: Pinion-Tretlagergetriebe

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Heckmotor ausgeschlossen: Rohloff Speedhub E14

Technik Made in Germany

Nach den vier Einzeltests befassen wir uns in einem weiteren Artikel ab Seite 40 intensiv mit der Technik, die in den robusten Schaltungen von Pinion und Rohloff steckt. Beide Getriebe sind „Made in Germany“ und auch hierzulande entwickelt. Mehr über Heckmotoren, ihren hauptsächlichen Einsatzzweck und das bevorzugte Terrain dieser leider bei uns weiterhin in der Nische steckenden Antriebe erfahren Sie ab Seite 72.

Und was ist mit Kettenschaltung?

Natürlich hat die Kettenschaltung weiterhin ihre Daseinsberechtigung – und auch ein paar Vorteile gegenüber den Getriebeschaltungen. Darum haben wir zwei weitere Trekking-Räder, die mit der hochwertigen Shimano-XT-Kettenschaltung ausgestattet sind.

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Diese E-Trekkingräder mit Getriebeschaltungen haben wir getestet

Marke Modell Schaltung Preis
Qio Eins P-R Rohloff elektronische Nabenschaltung Rohloff E14 5599 Euro
Electrolyte Dauerläufer S6E Travel Getriebeschaltung, Pinion C1.9 XR 6290 Euro
Tout Terrain Camden Trapez Select 22.1 Getriebeschaltung, Pinion C1.9 XR 6499 Euro
Rennstahl 853 E-Reiserad RohloffTestbrief Nabenschaltung, Rohloff E-14 8749 Euro

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