Gravelbikes 2023 im Test: 27 Gravelräder für Straße und Schotter
Die sind so frei
Gravelbikes 2023 im Test: 27 Gravelräder für Straße und Schotter
in Test & Teile
Sind Gravelbikes noch Trend oder schon Kultur? Irgendwie doch beides. Auch das gehört vielleicht zu den Gravelbikes: dass man sich ihre Betrachtungsweise aussuchen kann. Klar ist, dass man mit ihnen die Freiheit hat, auf allen Wegen zu fahren, soweit und so wild man will, einfach unbekannte, neue Strecken erkunden.
Gravelräder sind so frei. Vielseitigkeit ist ihre Stärke. Das belegen die 27 Räder im Test mit Nachdruck. Ihre Bandbreite reicht vom wettkampforientierten Renner, der auch gern mal eine Straße unter die schmalen Reifen nimmt, bis zum soliden Tourer, der auch einer Weltreise nicht abgeneigt wäre. Dazwischen bewegt sich das Feld mal auf festerem Schotter, mal auf weichen Böden, einige verschmähen auch längere Wurzelpassagen und kurvige Trails nicht. Je nach Wendigkeit, Stabilität und Griffigkeit.
Gravelbikes als Universalfahrzeuge
Das Konzept Gravelbike, oder so wie es in den allermeisten Fällen ausgelegt wird, ist mit dem reinen Sportgerät aber zu kurz gegriffen. Es ist eher eine Art Universalfahrzeug mit sportlich leichten, agilen Rennradgenen. So sind die Räder sehr oft mit Aufnahmen für Schutzbleche, Heckträger und Lowrider ausgestattet und können zum alltagstauglichen Randonneur aufgerüstet werden.
Auf der anderen Seite können Gravelbikes bisweilen auch gut als Cyclocrosser durchgehen, wenn sie entsprechend kompakt ausfallen. So basiert das Stevens Prestige explizit auf einem der klassischen Querfeldein-Modelle.
Eignung zum Bikepacking
Neben den bekannten Anbau-Möglichkeiten sind die Schotterräder an Ober-, Unterrohr und Gabel oft mit Gewinde-Ösen für modernes Bikepacking-Equipment bestückt und verkörpern den entsprechenden (Kurz-)Abenteuer-Geist. Auf die Eignung zum Bikepacking haben wir bei der Auswahl der Testräder diesmal verstärkt geachtet. Trotzdem gibt es auch da eine Bandbreite, die von eher reduzierter Ausstattung (z. B. Stevens, Rennstahl) bis zum vollen Arsenal an vorstellbaren Montagepunkten (Rondo, 8 bar) reicht.
Zudem sind alle Testräder mit Kettenschaltungen ausgestattet. Die vergleichsweise seltenen Getriebeschaltungen wie Pinion und Rohloff haben wir in diesem Test ausgeklammert, um auch den sportlichen Aspekt etwas zu betonen. Gleichzeitig, um nicht immer nur die Toptechnik zu bekommen und auch erschwinglichere Modelle zu präsentieren, lag ein weiterer Schwerpunkt möglichst auf der Mittelklasse der einzelnen Hersteller. Auf Grund von Verfügbarkeiten war das aber nicht im jedem Fall umsetzbar.
Deutliche Preisunterschiede bei Gravelbikes
Der Test umfasst am Ende eine große preisliche Bandbreite. Angefangen beim Triban GRVL 520 von Decathlon für 1099 Euro, bis zum Falkenjagd Aristos R Gravel für fast schon unglaubliche 9292 Euro. Dazwischen steigt der Preis stetig und eher gleichmäßig an. Einen deutlichen, besser: überdeutlichen, Sprung von gut 4000 Euro gibt es dann vom Storck als zweitteuerstem Modell auf das Falkenjagd.
Außer der Ausstattung ist das Rahmenmaterial und dessen Güte ein zentraler Grund für die Unterschiede. Besonders in den günstigeren Preisregionen ist Aluminium das übliche Rahmenmaterial. Im Preis-Verlauf, ab etwa 2500 Euro, wird es nach und nach von Carbon und Stahl abgelöst. Die Eisen-Legierung kommt sieben Mal zum Einsatz, Kohlefaser acht Mal. Mit dem günstigen Marin (Stahl, 1299 Euro) und dem höherpreisigen Liteville (Aluminium, 4999 Euro) sind zwei Ausreißer darunter. Mit seinem Bambus-Rahmen hat das MyBoo ebenso ein Alleinstellungsmerkmal wie das Falkenjagd aus Titan. Dessen Rahmen ist zudem aus einem 3D-gedruckten Rohrsatz entstanden, was den exorbitanten Preis miterklärt.
Bei den Gabeln hingegen ist Carbon klar das Material der Wahl. Sie können so gezielt steif, robust (gepäcktauglich) und gleichzeitig komfortabel konstruiert werden. Von diesen Möglichkeiten profitieren selbstverständlich auch die Rahmen.
Viel Komfort?
Gerade die Carbonrahmen können ebenso exakt komfortabel oder extra-steif konstruiert werden. Im Test schaffen es die meisten Modelle, einen guten Kompromiss zwischen Fahrkomfort und Antrittssteifigkeit anzubieten. Etwas steifer fällt zum Beispiel das Storck aus, deutlich weich das Basic. Aluminumrahmen hinterlassen auch im Test einen klar steifen Eindruck.
Aber selbst Stahl ist kein Garant für höchsten Fahrkomfort. So fällt das Marin, bei seinem Preis weniger überraschend, eher fest aus, das Rennstahl und das Tout Terrain zum Beispiel wieder elastischer. Was der Rahmen nicht schafft, muss die übrige Ausstattung erledigen.
Ein guter Ansatzpunkt ist die Sattelstütze, da sie direkt den Fahrer entlasten kann. Alu- und Carbon-Sattelstützen können je nach Materialdicke und Durchmesser bocksteif oder hochflexibel ausfallen. Im Test überzeugt vor allem die taillierte Carbon-Stütze von Parapera. Eine sehr gute ist auch die D-förmige Carbon-Stütze von Giant, wenn sie zuverlässiger zu fixieren wäre. Aber auch Lenker können ein feines Komfort- und damit auch Ausdauer-Element sein.
Unterschiede in der Dämpfung sind klar vorhanden. Wichtiger bei deutlichen Gesamtschwankungen ist aber die Ergonomie, also der Schnitt und die Formgebung. Gerade im Gravelbereich sind die ausgestellten Unterlenker (Flare) sehr angenehm, weil sie auch viel Kontrolle verschaffen. Schon kleine Winkel bringen da viel. Am überzeugendsten ist, wieder, das Modell von Parapera. Außer dem leichten Flare bietet der Lenker eine leichte Erhöhung (Entspannung, Übersicht) und enge Bögen im Oberlenker (Kontrolle) an. Ähnlich überzeugt das Modell von Ritchey am Poison, mit welligem Unterlenker für sehr gute Ergonomie.
Reifen bei Gravelbikes: Griffig im Gelände
Großes Potenzial steckt auch in den Reifen. Anders als an Rennrädern, sind die Pneus nämlich im Minimum 35 Millimeter breit. Während 40 Millimeter ein guter Standard sind, kommen in Einzelfällen auch 50 (Rennstahl) oder sogar 54 (8 bar) Millimeter auf die Felgen. Jeder Millimeter Breite bringt auch mehr Komfort. Sind die Laufräder auch noch tubeless-ausgerüstet (z. B. Niner), können sie mit niedrigeren Drücken gefahren werden – ohne Durchschläge zu riskieren – und erzeugen dadurch noch mehr Grip und Komfort und sind zusätzlich sehr pannensicher.
Die Reifenprofile sind klein- und mittelstollig, teilweise mit einem deutlichen Mittellaufstreifen. Je zarter das Profil ausfällt und je schmaler die Reifen sind, desto lieber laufen die Räder auf festen, glatten und trockenen Wegen. Je gröber die Pneus, desto griffiger sind sie und damit besser für losere oder weichere Böden geeignet. Als bester Reifen erweist sich im Test der Schwalbe G-One Bite. Er bietet mit seinem etwas gröberen Rundstollenprofil eine gute Abmischung aus Griffigkeit auf harten und weicheren Böden und reichlich Geschwindigkeit. Selbst auf Straßen hinterlässt er einen sehr positiven Eindruck.
Zähne zeigen
Kettenschaltungen sind – nicht nur im Test – das sportliche Mittel der Wahl. Dabei findet man etwa zur Hälfte die leichten und aufgeräumten 1-fach-Systeme mit 11 bis 13 Gängen an Kassetten mit bis zu 50 Zähnen (Cube). Trotzdem fehlt es mal am schnellen oder langsamen Ende, je nach Kurbelgröße. Das kompensieren die auch bei sportlich ambitionierteren Rädern eingesetzten Schaltungen mit doppeltem Kettenblatt. Sie bringen eine größere Gangbandbreite mit deutlich schnelleren Übersetzungen bei gleichzeitig engerer Gangabstufung.
Shimanos GRX-Gravelsystem ist insgesamt die Schaltung der Wahl. Je nach Preislage in der 400-, 600- oder 810-Version.
Die Campagnolo Ekar ist mit ihren 13 Gängen an der progressiv ansteigenden Kassette eine elegante, sportliche Alternative mit optimaler Bedienung und Ergonomie. Im Test macht sie unterm Strich den besten, dynamischsten Eindruck, ist aber klar hochpreisig.
Die Sram Rival eTap AXS (am 8 bar oder am Liteville) schaltet per Funksignal und ist dank der sensiblen Taster super direkt. Ebenfalls per Funk schaltet die Schwestergruppe Sram GX AXS eTap am Cube. Dank der großen Eagle-Kassette (500 %) und bissigeren Bremsen hat sie noch mehr überzeugt.
Deutlich Luft nach oben hat die neue Schalt-Bremsgruppe von LTwoo, die am Basic verbaut ist. Ihr fehlt es an Schaltpräzision und Bremskraft.
Sicher stoppen
Die Bremsen entsprechen allgemein jeweils den Schaltgruppen oder sind ein Level darunter oder darüber angesiedelt und werden fast durchweg hydraulisch bedient. Im Einsteigerbereich findet man auch voll mechanische (Marin) oder kombinierte (Triban) Versionen. Außer in seltenen Ausnahmefällen (Felt, 160/140) sind Bremsrotoren mit ausreichend kräftigen 160 Millimetern Durchmesser verbaut. Tout Terrain bietet bereits reisetaugliche 180/160 mm.
Viele Schalt- und Bremsleitungen verschwinden im Rahmen. Sie direkt im Steuersatz, Vorbau oder gleich im Lenker zu verbergen, liegt im Trend. Optisch ist das sehr clean, wartungsmäßig aber nicht immer einfach zu handhaben.
Zur Sicherheit gehört auch das zulässige Gesamtgewicht. Besonders, wenn man das Rad mit Gepäck nutzen will. Wenn nach Abzug des Rades (also für die Zuladung) nicht einmal 100 kg bleiben, dann schränkt das die Nutzergruppe durchaus ein. Bei mehr als 120 oder 150 kg oder sogar unbegrenzter (Rocky Mountain) Zuladung, besteht kaum ein Anlass zur Diät, weder beim Fahrer noch beim Gepäck. Beim Gewicht der Räder selbst ist die Bandbreite überraschend überschaubar. Die Räder gruppieren sich samt Pedalen meist zwischen knapp 10 und 11 kg ein. Darüber wirkt so ein Rad schon eher schwer. 13,7 kg (Marin) haben deutlichen Einfluss auf die Dynamik und das Kletterpotenzial. Unter 9 kg sind ein sehr guter Wert, der viel Dynamik verspricht, getoppt hier nur von den 7,94 kg des Parapera.
Die Idealen
Das Testfeld weiß ganz allgemein zu überzeugen. Auf allen Rädern macht es richtig viel Spaß, den Staub aufzuwirbeln oder über erdige Pfade zu jagen. Dabei zeigt der Test eine spannende Bandbreite an Ausprägungen und repräsentiert so auch den Markt. Jedes Rad wird auf entsprechende Gegenliebe stoßen.
Etwas überraschend und interessant ist, dass einige Modelle (z. B. Rondo, Rennstahl) eine moderne MTB-Geometrie besitzen. Das macht sie laufruhig und trotzdem, mit Überzeugung am Steuer, sehr agil, also unterm Strich trailtauglich.
Bei aller Individualität gibt es im Test Modelle, die sich klar als am besten auf das Gravelbikeprofil zugeschnitten erweisen. Das sind das Cube, das Parapera und das Specialized. Nicht nur sitzt man stimmig auf ihnen, sie nötigen einem auch kein „Aber“ ab, sind einfach ideal geeignet, gehen die lange Schotterstrecke ebenso an wie gewundene Pfade. Die Mischung aus Komfort und sportlicher Direktheit ist sauber ausgelotet. Von möglichen Schwächen im Schottereinsatz – doch zu hart, doch zu weich, zu schwer, … – findet man bei den drei genannten eindeutig die wenigsten.
Diese Gravelbikes haben wir getestet
Marke | Modell | Preis | Prädikat | Bewertung |
Triban | GRVL 520 Subcompact | 1099 Euro | Preis/Leistung | 2,1 – Gut |
Marin | Four Corners | 1299 Euro | 1,7 – Gut | |
Giant | Revolt 1 | 1699 Euro | 1,9 – Gut | |
Stevens | Prestige | 1999 Euro | 1,7 – Gut | |
Drössiger | Gravel Pit 2 | 2099 Euro | Preis/Leistung | 1,5 – Sehr gut |
Felt | Broam 30 | 2299 Euro | 1,7 – Gut | |
Rondo | MYLC AL | 2399 Euro | Preis/Leistung | 1,8 – Gut |
Canyon | Grizl 8 1by Ekar | 2499 Euro | Preis/Leistung | 1,6 – Sehr gut |
Conway | GRV 9.0 | 2499 Euro | 1,9 – Gut | |
Koga | Colmaro Extreme | 2499 Euro | 1,8 – Gut | |
Rocky Mountain | Solo A50 | 2600 Euro | 1,9 – Gut | |
my Boo | Soto | 3199 Euro | 1,7 – Gut | |
Cube | Nuroad C:62 SLX | 3299 Euro | Empfehlung | 1,4 – Sehr gut |
Basic | Gravel #01 Custom | 3400 Euro | 2,2 – Gut | |
8bar | TFLSBERG Steel V2 | 3422 Euro | Empfehlung | 1,6 – Sehr gut |
Fuji | Jari Carbon 1.1 | 3499 Euro | 1,5 – Sehr gut | |
Poison | Tellur Gravel | 3572 Euro | 1,5 – Sehr gut | |
Ritchey | Ascent Gravel | 3703 Euro | 1,7 – Gut | |
Niner | 9 Steel, Sram Rival 1 | 3889 Euro | 1,8 – Gut | |
Rennstahl | 853 Trail GravelTestbrief | 3990 Euro | Empfehlung | 1,3 – Sehr gut |
Tout Terrain | Vasco GT 275 | 4004 Euro | 1,4 – Sehr gut | |
Norwid | Mandö | 4090 Euro | Empfehlung | 1,5 – Sehr gut |
Parapera | Anemos SETestbrief | 4205 Euro | Empfehlung | 1,3 – Sehr gut |
Specialized | Diverge Comp | 4900 Euro | Empfehlung | 1,3 – Sehr gut |
Liteville | 4-ONE MK2 ProTestbrief | 4999 Euro | 1,6 – Sehr gut | |
Storck | Grix.2 | 5199 Euro | 1,4 – Sehr gut | |
Falkenjagd | Aristos R GravelTestbrief | 9292 Euro | 1,3 – Sehr gut |
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