Leichte E-Bikes 2023 im Test: Leichtgewichte für Alltag und Tour
Federleichte Fahrradfreuden
Leichte E-Bikes 2023 im Test: Leichtgewichte für Alltag und Tour
in E-Bike
Neulich auf dem Main-Radweg. An einer Biegung führt die Radroute auf eine langgezogene Kurve. Ein weiterer Pfad für Fußgänger aber ist vermeintlich kürzer und führt auf den ersten Blick in die richtigere Richtung. Viele Radfahrer biegen ganz intuitiv auf den Fußweg ab. Und stehen hinter einer Hecke vor einer kurzen Treppe. Es sind nur wenige Stufen. Die meisten drehen nicht um und fahren die langgezogene Rampe hinauf. Sie tragen ihre Räder die Treppe hinauf, oft mit vollem Marschgepäck, entsprechend laut stöhnen sie dabei.
Denn ein voll ausgestattetes, womöglich gar voll gefedertes E-Bike mit weltreisetauglichem Doppelakku und Reisegepäck wiegt schnell einmal 50 Kilogramm. Richtig handlich sind die Boliden ebenfalls nicht. So manch Radreisender geht da in die Knie – oder hebt sich einen Hexenschuss.
Weniger ist mehr
Dieses Extrembeispiel gehört so natürlich nicht zum Fahrrad-Alltag. Viel eher kommt es vor, das Rad zum Abstellen in den Keller oder in die Etagenwohnung tragen zu müssen. Pendler mit einem Verkehrsmittelmix – klassischerweise Fahrrad und Bahn – kennen zudem das Problem, wenn mal wieder der Fahrstuhl oder die Rolltreppe defekt sind, das Rad also auf den Bahnsteig getragen werden muss. Und nicht zuletzt endet manch ein Ausflug mit Auto und E-Bike schon vor der Garage, wenn der Fahrer sich beim Beladen des Heckträgers am 28-Kilo-E-Bike ordentlich verhebt.
Klar haben die „Dickschiffe“ unter den E-Bikes absolut ihre Daseinsberechtigung – das zeigen ja schon allein die Verkaufszahlen. Vollfederung, robuste Rahmen, hohe Zuladung, riesige Akkus; das alles ist dank des E-Antriebs unterwegs überhaupt kein Problem. Mit zunehmendem Gewicht verändert sich aber auch das Fahrverhalten weg vom Handling des klassischen Fahrrads. Gleichzeitig mehren sich die Stimmen eingefleischter E-Bike-Fahrer, denen das „höher, schneller, weiter“ langsam zu viel wird. Tourenfahrer, die mit moderater Geschwindigkeit und nur leichter Unterstützung unterwegs sind, merken, dass 750 Wattstunden im Akku und 90 Newtonmeter Drehmoment an der Kurbel des Guten zu viel sind. Die Unfallstatistiken zeigen, dass immer schwerere Bikes auch immer schwerer zu beherrschen sind. Die Industrie reagiert darauf mit technischen Lösungen wie dem E-Bike-ABS – oder eben mit der Rückbesinnung auf ein „weniger ist mehr“.
Natürliches Fahrgefühl, reduzierte Optik
Die Leicht-E-Bike-Pioniere von Coboc haben seit Firmengründung diese Maxime verfolgt. Anfangs bedienten sie damit eine kleine Nische. In Zeiten, als Fahrradfahrer das E-Bike mit Argusaugen betrachteten, galt ein schlankes, leichtes Pedelec, das seinen Antrieb noch dazu bestmöglich versteckt, noch vielmehr als „Selbstbetrug“ als die damals gängigen City- und Tourenräder mit klobigem Mittelmotor und sichtbarem Akku auf dem Gepäckträger. Diese Vorurteile sind glücklicherweise längst passé, auch bei den Leicht-E-Bikes. Fahrradkuriere, aus deren Szene Coboc einst entstanden ist, wissen inzwischen den E-Antrieb sehr zu schätzen. Andere Vielfahrer freuen sich ebenfalls über (dezente) Unterstützung, ohne den Gesundheitsaspekt des umweltfreundlichen Radfahrens völlig missachten zu wollen.
Riese & Müller ist ein gutes Beispiel für den gerade laufenden Paradigmenwechsel. Die Südhessen, deren Selbstverständnis immer kernige Tourenräder mit starken Motoren, dicken Akkus und wuchtiger Optik waren, setzen nun ebenfalls auf leichte Urbanbikes, die ihren E-Antrieb zwar ins filigrane Design integrieren, ihn aber nicht verstecken. Die Hersteller arbeiten mit viel Detailliebe an der Symbiose aus E-Bike und Fahrrad.
Die Technik macht‘s möglich
Dass vollwertige E-Bikes mit einem Gewicht unter 20 Kilogramm keine Selbstverständlichkeit sind, liegt auf der Hand. Akkus und Motoren haben nun mal ihr Gewicht. Sprechen wir bei den leistungsstärksten Motoren und größten Akkus in Kombination schnell von sieben oder gar acht Kilo und mehr, bringen die aktuellen Leichtgewichte beim Antrieb im Bestfall etwa die Hälfte auf die Waage.
Dazu kommt, dass aktuelle Verfahren beim Rahmenbau etwa ebenfalls das Gewicht drücken. Ein filigranes, leichtes Rad kann auch bei den Komponenten Gewicht sparen. So muss es dann nicht unbedingt die allergrößte – und schwere – Bremsanlage sein. Bremsscheiben mit 160 Millimetern Durchmesser bringen hier schon Top-Verzögerungswerte. Weniger Gewicht lässt auch leichtere Laufräder zu. Der Wegfall von großen Displays schließlich trägt auch eine Kleinigkeit zum niedrigen Gesamtgewicht bei.
Leichtgewicht = Verzicht?
Was bedeutet diese Entwicklung nun für uns Radfahrer im Alltag? Bedeutet das Weniger an Gewicht, dass leichte E-Bikes weniger Fahrspaß, Vielfalt und Nutzungstauglichkeit bieten? Mitnichten. Wer sich auf diese Räder einlässt, gewinnt mehr, als dass er verliert. Da ist zum einen das Fahrgefühl sehr nah am klassischen Fahrrad. Selbst ganz ohne Motorunterstützung sind diese Räder leichtfüßig unterwegs, sehr dynamisch und agil. Die Fahreigenschaften sind insgesamt etwas spielerischer, und brauchen nicht die beherzte Kontrolle eines schweren SUV am Volant.
Dazu kommt: Unsere Testräder haben insgesamt nicht deutlich weniger Zuladung als ihre schwergewichtigeren Vettern. Die zulässigen Gesamtgewichte liegen zwischen 120 (Tenways) und 150 Kilogramm (Poison). Sie können netto also oft sogar mehr zuladen als zehn Kilo schwerere E-Bikes. Radreise mit dem Leicht-E-Bike? Gar kein Problem. Beim Komfort freilich scheiden sich die Geister. Wer schon lange und zufrieden auf seinem voll gefederten SUV-Rad unterwegs ist, wird sich von den recht steifen und oft kaum bis gar nicht gefederten Bikes abschrecken lassen. Die Praxis aber zeigt, dass auch klug gewählte Kombinationen aus Reifen, flexender Starrgabel und Sattelstütze sowie passender Ergo-Kontaktpunkte (Sattel, Cockpit, Griffe) ebenfalls für viel Komfort sorgen, ohne dass ein Teil des Vortriebs vom Hub großformatiger Federgabeln und Dämpfer geschluckt wird.
Welche Reichweite haben leichte E-Bikes?
Und wie sieht es mit der Reichweite aus? Auch hier besteht kaum ein Grund zur Sorge. Denn die Räder sind in vielerlei Hinsicht sparsam. Schmalere Reifen mit leicht laufendem Profil – ohne dass viel Grip verloren geht – und das geringere Gewicht tun hier ihr Übriges.
Es kommt aber noch etwas dazu: Diese Räder animieren den Fahrer dazu, aktiver zu fahren, bewusster zu treten und oft fast automatisch mit höherer, sprich effizienterer Trittfrequenz unterwegs zu sein. Der Eigenanteil nimmt entweder zu oder geht zumindest weniger im hohen Gesamtgewicht unter. Eine weitere Beobachtung zeigt: Fahrer leichter E-Bikes fahren eher selten in den höchsten Unterstützungsstufen. Und schließlich fällt bei diesen Rädern auch der gefühlte Anker weg, wenn man die Unterstützungsschwelle jenseits der 25 km/h erreicht. Schneller zu fahren ist im Alltag mit leichten Pedelecs kein Problem. Dann arbeitet der Motor gar nicht mehr mit.
Das alles zusammen bedeutet: Um die gleiche Durchschnittsgeschwindigkeit zu erreichen wie die schweren E-Bike-Modelle, verbrauchen die Leichtgewichte weniger Strom. Das zeigen immer wieder unsere Reichweitentests in unterschiedlichem Gelände. Bei allen unseren Testrädern gehen wir von einer Mindestreichweite von 75 Kilometern aus – in der mittleren Unterstützungsstufe. Und müssen Sie unterwegs doch einmal nachladen, geht es schneller, da sie für eine längere Strecke weniger Wattstunden nachtanken müssen als beim schweren E-Bike.
Die Testräder
Wir haben die Testräder in zwei Gruppen aufgeteilt: Urbanbikes und Trekkingräder. Die Trennschärfe zwischen diesen Gruppen ist dabei gar nicht so groß, die Übergänge fließend. Manch Urbanbike taugt auch für lange Touren, Trekkingräder können natürlich auch urbane Pendler erfreuen. Es lohnt sich also, alle Testräder genau unter die Lupe zu nehmen.
Diese Räder haben wir getestet
Radtyp | Marke | Modell | Gewicht | Preis | Prädikat |
Trekkingrad | Poison | E605 | 19,2 kg | 3539 Euro | Empfehlung |
Trekkingrad | Coboc | Vesterbro | 15,9 kg | 4799 Euro | |
Trekkingrad | Simplon | Spotlight Mahle XTTestbrief | 17 kg inkl. Range-Extender | 5049 Euro | |
Urbanbike | Tenways | CGO 600 ProTestbrief | 18 kg | 1799 Euro | |
Urbanbike | Voltaire | Bellecour | 21,5 kg | 2290 Euro | Preis/Leistung |
Urbanbike | Bergamont | E-Sweep Tour | 17,66 kg | 3599 Euro | |
Urbanbike | Canyon | Commuter:ON 8 Ltd | 16,3 kg | 3799 Euro | |
Urbanbike | Riese & Müller | UBN Seven Touring | 19,2 kg | 4899 Euro | Empfehlung |
Urbanbike | Urwahn | Platzhirsch – Torquato Edition | 15,34 kg | 4999 Euro |
Die ausführlichen Testberichte lesen Sie in der ElektroRad 3/2023. Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.
Leichte E-Bikes: So sieht das Testfeld aus
Bei den Tourenrädern steigen wir mit dem hoch individualisierbaren Poison ein. Mit einer angepassten Konfiguration lassen sich sogar beim 19,2 Kilogramm leichten, voll ausgestatteten Tourenrad noch einige Hundert Gramm bis hin zu ein, zwei Kilogramm einsparen. Etwas stört, dass der Bafang-Motor nach längerer Standzeit über einen Knopf am Tretlager reaktiviert werden muss. Was uns neben den tollen Fahreigenschaften am Poison besonders gut gefallen hat: Das schicke Retro-Pixel-Design. Wem das nicht gefällt: Auch hier gibt es schier unzählige Möglichkeiten, das Rad nach Wunsch gestalten zu lassen. Wir vergeben für das Poison E605 eine klare Kaufempfehlung.
Das Vesterbro von Coboc ist das einzige Rad im Test, bei dem der Motor nicht unterschiedliche Fahrstufen bietet. In der Coboc-App lässt sich der Schub aber anpassen. Apropos App: Die meisten Bikes im Test sind mit Smartphone-Unterstützung zu haben. Sie übernehmen an den cleanen, aufgeräumten Bikes die Tacho-Funktion. Bis auf wenige Ausnahmen (Voltaire, Poison, Tenways) verzichten alle Bikes auf ein Display mit Geschwindigkeitsanzeige.
Das Besondere am Simplon Spotlight: Als ein ganz seltenes E-Bike-Exemplar hat es vorn ein Dreifach-Kettenblatt, kommt so auf insgesamt 30 Gänge. Das Simplon hat zudem mit 236 Wh den kleinsten Akku im Test. Mit Range-Extender aber schließt die Batterie zu den anderen Testrädern auf. Das Spotlight hat also einen Mix aus abnehmbarem und fest verbautem Akku. Gleiches gilt für das Bergamont. Urwahn, Coboc und Poison setzen ausschließlich auf fest verbaute Akkus, bei Canyon, Riese & Müller, Voltaire und Tenways lässt sich der Akku komplett entnehmen.
Motorseitig ist auffällig, dass der Heckmotor, anders als bei den schweren E-Bikes, deutlich überwiegt. Die kompakten Aggregate passen gut zu diesem E-Bike-Konzept. Denn zwar lassen sie etwas Kraft an steilen Anstiegen vermissen, sind dafür aber flüsterleise und sorgen auf der Ebene und im welligen Terrain für sehr angenehmen, gleichmäßigen und wohldosierbaren Schub. Nur Canyon sowie Riese & Müller setzen auf den Fazua-Mittelmotor. Auch er ist sehr harmonisch und laufruhig.
Noch mehr leichte E-Bike-Vielfalt
Im jüngsten „Großen ElektroRad-Test 2023“ haben wir bereits einige leichte E-Bikes vorgestellt, die wir hier im Heft nun nicht wiederholen. Sie finden in den Ausgaben ElektroRad 1/2023 und 2/2023, sowie gebündelt in unserem großen Radfahren.de-Kaufberater 2023 (als E-Paper für Abonnenten kostenlos) folgende weitere Modelle:
- Specialized Turbo Vado SL, 16,9 Kilogramm, 5200 Euro, 90 Punkte
- Storck Urban CTS, 19,1 Kilogramm, 4999 Euro, 92 Punkte
- Tenways CGO600, 17 Kilogramm, 1599 Euro, 89 Punkte
- Java Urban Frenetica, 18,4 Kilogramm, 1949 Euro, 89 Punkte
- Lemmo One, 19,1 Kilogramm, 1990 Euro, 88 Punkte
- Diamant 365 Deluxe, 18 Kilogramm, 2649 Euro, 91 Punkte
- BH Core Cross, 21,1 Kilogramm, 2899 Euro, 91 Punkte
- E:Raddar 2, 21,5 Kilogramm, 3299 Euro, 90 Punkte
- Storck Name:2 Classified, 15 Kilogramm, 6199 Euro, 88 Punkte
- Coboc Sydney, 15,2 Kilogramm, 3999 Euro, 92 Punkte
- Scott Solace Gravel eRide 20, 13,5 Kilogramm, 7599 Euro, 91 Punkte
- Cyklær E-Gravel, 14,5 Kilogramm, 8199 Euro, 92 Punkte