XXL-Räder im Test: Robuste E-Bikes für Alltag und Tour
Schwer in Ordnung
XXL-Räder im Test: Robuste E-Bikes für Alltag und Tour
in E-Bike
Vor einigen Jahren verzweifelte der bekannte Sportarzt Dr. Ludwig Geiger an einem seiner Patienten. Der Mann mit deutlichem Übergewicht nahm partout nicht ab. Nordic Walking, Wandern, selbst eine Magenverkleinerung halfen nicht. Die Lösung war das Pedelec. Weil damals Pedelecs nicht viel mehr als Fahrräder mit angeflanschtem Hilfsmotor waren, erfüllte kaum ein Modell Geigers Ansprüche. Kurzerhand entwickelte er zusammen mit dem bayerischen Fahrradbauer Corratec das Life: ein sogenanntes XXL-Bike. 180 Kilogramm Zuladung, ein kräftiger Motor, ergonomische Komponenten und ein tiefer Einstieg begründeten eine ganz neue Fahrradgattung: die XXL-Räder.
XXL-Räder: Nicht nur für Schwergewichte
Mit diesen Rädern steigen Menschen wieder aufs Zweirad, die entweder noch nie oder schon sehr lange nicht mehr körperlich aktiv waren. Und anders als auf Trainingsgeräten wie Ergometern bringen diese Räder vor allem Fahrspaß, neue Lust auf Natur und somit Lebensfreude – dank der Motorunterstützung von der ersten Pedalumdrehung an!
Mit der Zeit hat sich diese Radkategorie selbst weiterentwickelt. Aus sich selbst heraus erschlossen sie sich immer neue Käufergruppen. Denn XXL-Räder sind robuster, komfortabler und oft auch reisetauglicher als „klassische“ Trekking- oder City-E-Bikes. Zeit also, diese Kategorie mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Welche Komponenten zeigen XXL-Räder aus?
Hersteller der XXL-Räder setzen vor allem auf solide Komponenten. Bremsen, Motor, Schaltung und Rahmen sind auf hohe Zuladung ausgelegt. Sei es durch das höhere Körpergewicht der Fahrerinnen und Fahrer, sei es aufgrund schwereren Gepäcks – etwa auf Radreise. Die Teile können das in der Regel ab.
Die Bremsenscheiben haben meist mindestens 180 Millimeter Durchmesser. Die Bremssättel haben in der Regel vier Kolben. Auf solche Anlagen setzen Extremsportler in ihren Downhill-Bikes. Eine zuverlässige Verzögerung und damit hohe Sicherheit sind hier garantiert.
Typisch für den deutschen Markt ist die Dominanz von Bosch bei der Motorisierung: Fast alle setzen auf den sehr kräftigen Performance Line CX. Auch er ist ursprünglich für den Mountainbike-Sektor entwickelt. Seine 85 Newtonmeter Drehmoment sind auch in der Kategorie der XXL-Räder gefragt. Denn der Schwabe kommt auch mit hohem Gewicht sehr gut zurecht.
Gleiches gilt für den 90 Newtonmeter starken Brose Drive S-Mag im BH, dem einzigen vollgefederten Bike im Testfeld. Im Raleigh Kent und im Victoria eUrban arbeitet Boschs Performance Line-Mittelmotor, er hat mit 65 Newtonmetern etwas weniger Drehmoment als der CX. Er bewältigt aber auch schwere Aufgaben sehr zuverlässig, ist noch dazu kultivierter und leiser als sein kräftigerer Bruder.
XXL-Räder: Welche Schaltung kann ich erwarten?
Bei der Kraftübertragung setzen die meisten Hersteller auf die gute alte Kettenschaltung. Inzwischen aber etabliert sich auch Shimanos Inter-5E-Nabenschaltung im breiten E-Bike-Markt. Sie verkraftet das hohe Drehmoment der E-Bike-Motoren problemlos. Zwar hat sie „nur“ fünf Gänge, die Spreitzung ist aber für Touren und selbst Bergfahrten angemessen.
Ebenfalls mit dem hohen Drehmoment des CX bestens zurecht kommt die stufenlose Enviolo-Schaltnabe. Im Premium-Segment des Falkenjagd-Reiserads kommt die elektronische 14-Gang-Nabenschaltung von Rohloff zum Einsatz. Bei den Kettenschaltungen dominieren die 12-Gang-Kassetten. Nur Raleigh und Falter setzen auf eine 10-fach-Kassette. Hier hätten wir uns ein oder zwei Ritzel mehr gewünscht – zumindest für Fahrer aus bergigeren Regionen. Zwölfer sind unserer Ansicht nach zeitgemäßer.
Welches Gesamtgewicht halten XXL-Räder aus?
Laut Hersteller schultern alle XXL-Räder mindestens 160 Kilogramm. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, da alle Räder mit Ausnahme des Fullys von BH, des Kalkhoff Entice und des Reiserads von E-Bike Manufaktur Tiefeinsteiger sind. Das setzt klare physikalische Grenzen. So sind Tiefeinsteiger-Rahmen deutlich weniger steif als Diamant-Rahmen. Verwindung und somit Rahmenflattern tritt umso häufiger auf, je schwerer das Rad beladen und je höher die Geschwindigkeit ist. Alle Rahmen geben eine recht gute Figur ab.
Zwar ist keines der XXL-Räder mit breitem Durchstieg vollkommen flatterfrei. Das trat im Test aber meist erst ab einem Tempo jenseits der 30 Stundenkilometer deutlich auf. Und auch nur dann, wenn wir freihändig unterwegs waren und das Flattern bewusst provoziert haben. Von alleine aufgeschaukelt haben sich die Räder dann erst auf schnellen Abfahrten bei 40 Stundenkilometern und mehr – ebenfalls bei freihändiger Fahrt. Kleiner Tipp: Nicht nachmachen! Das sind hervorragende Werte, zumal wir die Testräder auf ein Gesamtgewicht von mehr als 150 Kilogramm aufgesattelt hatten.
Komfort und Ergonomie
Die getesteten XXL-Räder sind allesamt keine Sportgeräte für Leistungssportler. Nur das BH schielt mit mehr als einem Auge auch auf den einen oder anderen Trail. Spaßmaschinen sind die Räder trotzdem. Denn – wie Dr. Geiger berichtet – die E-Bikes bringen den Fahrer die Freude am Radfahren (zurück). Kein Leistungsdruck, keine Überanstrengung am ersten kleinen Anstieg. Stattdessen Lust auf Natur und auf sanfte, gesunde Bewegung.
Damit diese aber nicht nach wenigen Kilometern durch schmerzendes Gesäß und taube Hände getrübt wird, setzen die Hersteller auf ergonomische Kontaktpunkte. Flossengriffe und leicht gekröpfte Lenker sind überall Standard. Auch die Sättel sind für kräftigere Fahrer gut geeignet. Vorreiter war und ist hier weiterhin Corratec. Die Bayern setzen auf Komponenten des Ergonomie-Spezialisten SQlab. Auch die Sitzpositionen tendieren mehr hin zum komfortablen Sitzen als zur gestreckt-sportlichen Position.
Viel Gepäck
Gepäckträger und Ständer schließlich passen ebenfalls für alle XXL-Räder. Gute Gepäckaufnahmen, teils mit Federklappe, teils mit Expander, sicherer Stand und damit auch einfache Beladung sind weitere Merkmale dieser Räder. Wir meinen, sie sind alle echt schwer in Ordnung.
Testberichte der XXL-Räder
Wir haben drei Bikes der Kategorie City, drei aus dem Trekking-Segment, drei SUV-Bikes und zwei Reiseräder getestet. Sie kosten zwischen 3499 und 11.786 Euro.
E-Bike-Kategorie | Marke | Modell | Preis |
City/Urban | Victoria | eUrban 13.8 | 4299 Euro |
City/Urban | Bergamont | E-Ville Pro Belt Premium | 4999 Euro |
City/Urban | Wanderer | E-Tourer I-F5 Edition | 5099 Euro |
Tour/Trekking | Raleigh | Kent 10 XXL | 3499 Euro |
Tour/Trekking | Falter | E 9.8 KS Plus | 3999 Euro |
Tour/Trekking | Stevens | E-Universe 9.6 Plus FEQ | 4699 Euro |
SUV | Kalkhoff | Entice 5.B Advance+ | 3999 Euro |
SUV | Corratec | Life CX6 12S | 4099 Euro |
SUV | BH Bikes | AtomX Cross Pro-S | 5099 Euro |
Reise | e-bikemanufaktur | 15ZEHN EXT | 5849 Euro |
Reise | Falkenjagd | Hoplit E14Testbrief | 11.786 Euro |
Die ausführlichen Testbriefe der XXL-Räder lesen Sie in der ElektroRad 3/2021. Außerdem finden Sie dort Themen wie XXL-Kleidung für Radfahrer und die Erklärung, warum E-Bikes ideal für Ihre Fitness sind. Dazu gibt es 19 gefederte Sattelstützen im Test, Manuel Neuer im Interview und alles zum Sehnsuchtsort Sauerland. Hier können Sie die Ausgabe als E-Paper oder Printmagazin bestellen.
Die getesteten XXL-Räder in der Bildergalerie
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